Pro Generika zur Valsartan-Krise

Warum sich Wirkstoffhersteller nicht einfach austauschen lassen

Stuttgart - 05.09.2018, 09:00 Uhr

Der Wirkstoffhersteller informiert den Zulassungsinhaber von Arzneimitteln nur grob über Änderungen bei der Herstellung, warum wechselt der pharmazeutische Unternehmer dann nicht einfach den Hersteller? (Foto: arsdigital / stock.adobe.com)

Der Wirkstoffhersteller informiert den Zulassungsinhaber von Arzneimitteln nur grob über Änderungen bei der Herstellung, warum wechselt der pharmazeutische Unternehmer dann nicht einfach den Hersteller? (Foto: arsdigital / stock.adobe.com)


Angesichts der Valsartan-Krise stellt sich die Frage: Was erfährt der pharmazeutische Unternehmer, wenn sein Wirkstoffhersteller die Synthese einer Substanz ändert? Laut Pro Generika erhält er nur eine „grobe Kurzbeschreibung“ – aus Gründen des Vertraulichkeitsschutzes. Geben sich die Unternehmen damit zufrieden? Und warum suchen sie sich keinen neuen Wirkstoffproduzenten? Darüber hat DAZ.online mit Pro Generika gesprochen.

Wer trägt die Verantwortung am Valsartan-Skandal, also daran, dass NDMA jahrelang unentdeckt in Valsartan-Tabletten enthalten war? Sicherlich ist es zu einfach, mit dem Finger auf einen einzigen Akteur zu zeigen – eher haben an mehreren Stellen wohl die Sicherheitskontrollen versagt.

Doch es gibt berechtigte Fragen: Was hätte der pharmazeutische Hersteller wissen können oder wissen müssen? Fragen die Zulassungsinhaber nicht aktiv zu Änderungen im Syntheseprozess nach oder weigern sich die Wirkstoffhersteller schlicht, diese Informationen an diese weiterzugeben? DAZ.online hat beim Branchenverband Pro Generika nachgefragt.

Zusammenspiel EDQM und Wirkstoffhersteller

Werden Herstellprozesse bei der Wirkstoffsynthese geändert, informiert der Wirkstoffhersteller die EU-Arzneimittelbehörde EDQM. Dieses Europäische Direktorat für die Qualität von Arzneimitteln ist zuständig für die Ausstellung sogenannter CEP-Zertifikate (Certificate of Suitability of Monographs of the European Pharmacopoeia), die auch letztlich Bestandteil der endgültigen Arzneimittelzulassung sind. Die CEPs bescheinigen den Wirkstoffherstellern, dass der Wirkstoff mit den Vorgaben des Europäischen Arzneibuches übereinstimmt. Damit das EDQM dies bewerten kann, legt der Wirkstoffhersteller bestimmte Daten vor, unter anderem muss er die chemische Synthese der Substanz umfassend beschreiben und mögliche und tatsächliche Verunreinigungen nennen. Auch bei Änderungen im Prozess.

Doch, wenn sich das Herstellverfahren wie im Falle von Valsartan ändert, wird nur das EDQM in Kenntnis gesetzt? Oder werden auch die Zulassungsinhaber  informiert? 

Zulassungsinhaber erfahren Syntheseänderungen „grob“

Pro Generika antwortet auf diese Frage: „Änderungen des CEP werden vertragsgemäß vom Wirkstoffhersteller an die pharmazeutischen Unternehmen gemeldet. Die Art der Änderung wird den pharmazeutischen Unternehmen in einer groben Kurzbeschreibung übermittelt. Die detaillierte Dokumentation wird dem EDQM durch den Wirkstoffhersteller zur Verfügung gestellt.“

Nicht nachgefragt oder Auskunft verweigert?

Eine „grobe Kurzbeschreibung“ – geben sich die pharmazeutischen Unternehmer damit zufrieden? Fragen die Zulassungsinhaber nicht näher nach? Oder weigern sich die Wirkstoffhersteller schlicht, diese Informationen weiterzugeben?

Gegenüber DAZ.online erklärt Pro Generika hierzu, dass Syntheseprozess-spezifische Details oft der Geheimhaltung unterliegen und aus diesem Grund vom Wirkstoffhersteller nicht mit dem Zulassungsinhaber geteilt würden. Somit wissen tatsächlich wohl nur Wirkstoffhersteller und das EDQM diese synthesespezifischen Feinheiten. Hat also das EDQM versagt?

EDQM: Geschäftsbeziehungen nur mit Herstellern, die Synthese offenlegen

Das EDQM will sich diesen Schuh der alleinigen Verantwortung nicht anziehen. Die DAZ veröffentlichte jüngst eine ausführliche Stellungnahme des EDQM zu Verantwortungsfragen im Zusammenhang mit dem Vasartan-Skandal. Diese sieht durchaus auch den pharmazeutischen Unternehmer in der Pflicht

Laut der Europäischen Zertifizierungsbehörde kommt der Wirkstoffhersteller nämlich gar nicht umhin, den Zulassungsinhaber über den genauen Herstellprozess zu informieren: „Der Hersteller des Fertigarzneimittels ist verpflichtet, seinen Wirkstoffhersteller zu qualifizieren und regelmäßig zu ­auditieren. Dies hat zur Folge, dass in der Praxis nur mit solchen Wirkstoffherstellern Geschäftsbeziehungen unterhalten werden können, die bereit sind, ihr Herstellungsverfahren gegenüber ihrem Kunden offenzulegen“, erklärte die EDQM-Sprecherin in der DAZ.

Das relativiert Pro Generika teilweise: Mit einem Zertifikat der Behörde werde (ähnlich der Zulassung eines Arzneimittels mit einem neuen Wirkstoff), bescheinigt, dass alle Vorgaben erfüllt und behördlich geprüft worden sind. Bei den Audits werde dann der Soll-Zustand, also die Einhaltung der GMP-Regeln und der Zulassung vor Ort beim Wirkstoffhersteller überprüft, soweit das der Open Part zulässt. Jedoch: „Aus Vertraulichkeitsschutz werden aber nicht alle Details offengelegt. Das CEP-Verfahren dient hierbei dazu, das geistige Eigentum des Wirkstoffherstellers zu schützen.“

Zu wenig Wirkstoffhersteller, um kritisch zu selektieren

Zusätzlich ist nach Ansicht der EDQM-Sprecherin in der Praxis eine Geschäftsbeziehung nur mit Herstellern möglich, die bereit sind, „ihr Herstellungsverfahren gegenüber ihrem Kunden offenzulegen“. Weigert sich der Wirkstoffhersteller also, dies zu tun, wäre folglich wohl die logische Konsequenz der Zulassungsinhaber, mit diesem Wirkstoffhersteller keine Geschäftsbeziehungen zu unterhalten. Ist es wirklich so einfach? 

So trivial ist die Lösung nach Ansicht von Pro Generika nicht:


Das Ausweichen auf andere Wirkstoffhersteller setzt voraus, dass es genügend qualifizierte Wirkstoffhersteller gibt. (...) Daher gibt es einige Fälle, in denen Arzneimittelunternehmen nicht auf andere Wirkstoffanbieter zurückgreifen können – selbst wenn sie das wollten.“

Pro Generika


Und weiter: „Pro Generika weist seit langem daraufhin, dass der Kostendruck entlang der gesamten Produktionskette zu Konzentrationseffekten auch am Anfang der Produktionskette führt.“ Der Engpass beim Reserveantibiotikum Piperacillin/Tazobactam habe dieses Problem im letzten Jahr nun auch ins Bewusstsein von Gesundheitspolitik und Öffentlichkeit gehoben.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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5 Kommentare

Pro Schmuddel-Pharma

von HP Müller am 06.09.2018 um 11:55 Uhr

Der Interessenverband Pro Generika (treffender wäre Pro Schmuddel-Pharma) bringt es auf den Punkt:
„Änderungen des CEP werden vertragsgemäß vom Wirkstoffhersteller [...]in einer groben Kurzbeschreibung übermittelt.
Mit dem Wirkstoffhersteller wird also vertraglich vereinbart, dass eine grobe Kurzbeschreibung zur Synthese Änderung von den AM-Hersteller ausreichend ist.

Man will bei Schmuddel-Pharma gar nicht wissen, was es mit der Wirkstoffqualität auf sich hat.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Pro Schmuddel-Pharma

von Kritiker am 09.09.2018 um 6:11 Uhr

“Man will bei Schmuddel-Pharma gar nicht wissen, was es mit der Wirkstoffqualität auf sich hat.“

So scheint es leider zu sein.

Boykott der Marktführer und Billigbuden unter den Generikaherstellern sollte die Konsequenz sein.

Im OTC Bereich Neuralgin extra Ibu Lysinat und ben u ron statt den entsprechenden Produkten der Marktführer und Billigbuden.

Eingangsanalytik??

von Peter Bauer am 05.09.2018 um 9:28 Uhr

Wenn in deutschen Apotheken Stoffe für die Rezeptur eingekauft werden ,müssen Sie nach Arzneibuch analysiert werden oder zumindest die Identität im Labor nachgewiesen werden,wenn ein Analysenzertifikat des Herstellers beiliegt.Nach 25jahren Apotheke kann ich behaupten,dass bei unseren einschlägigen Lieferanten,noch nie eine falsche Rezeptursubstanz geliefert wurde.Ein also meiner Meinung nach vollkommen überholtes Relikt aus längst vergangenen Tagen,das mit ausordentlich viel nicht bezahltem Aufwand verbunden ist und abgeschafft gehört.Geschaffen von Leuten mit apothekenpolitischem Hintergrund,die wahrscheinlich selbst in den letzten Jahrzehnten nicht mehr in einer Apotheke gearbeitet haben.Besonders wenn man solche Nachrichten liest stellt sich die Frage: müssen die Hersteller unserer Arzneimittel keine Eingangskontrolle Ihrer Wirkstoffe machen?Gibts da keinen Peek auf dem Chromatographen,keine dezidiert wirkstoffspezifischen Prüfvorschriften?Oder wird da gewissentlich etwas"übersehen"?Uns rügt der Pharmazierat ,wenn die Protokolle nicht korrekt sind ,und bei großen Pharmafirmen findet von Behördenseiten offensichtlich keinerlei Kontrolle statt.Als Praxisapotheker kann man sich einfach nur noch übergeben bei diesen Zuständen.

» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten

AW: Eingangsanalytik

von Thomas Kerlag am 05.09.2018 um 18:54 Uhr

Pharmazeuten wissen doch, dass man Qualität produzieren muss und nicht "hineintesten" kann.
Wenn nicht Mal der Synthesewege klar ist. Welche Verunreinigungen sind dann schon klar zu erwarten. Man muss schon wissen, wonach man sucht.

AW: AW: Eingangsanalytik

von Kommentator am 05.09.2018 um 19:40 Uhr

Ihren Unmut kann man in jeder Hinsicht teilen.
Eine wesentliche Ursache des vorliegenden Skandals liegt auf jeden Fall im bestehenden Paragraphen-Dickicht sowie in der "Intransparenz-Politik", was die Syntheseverfahren betrifft. Hier schlummert unter dem Deckmantel von "Betriebsgeheimnissen" zweifellos ein gehöriges Maß an Kriminalität. Und die hyperkomplexe Verflechtung von unzähligen Gesetzen, EU- u. Nicht-EU-Verordnungen sowie nationalen Eigenheiten in Verbindung mit haarsträubenden "Zuständigkeits-Rangeleien" etc. etc. sorgt gleichzeitig dafür, dass allfällige Schlampereien erst nach vielen Jahren oder schlichtweg gar nicht an den Tag kommen!
Vorläufiger Höhepunkt: Valsartan-Skandal.

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