Rauchentwöhnung

Sollten Nikotinkaugummis von den Krankenkassen erstattet werden?

Berlin - 07.09.2018, 10:25 Uhr

Nikotinersatzpräparate können Entzugswilligen eine wertvolle Stütze sein. Suchtexperten fordern deren Erstattungsfähigkeit. (Foto: Imago)

Nikotinersatzpräparate können Entzugswilligen eine wertvolle Stütze sein. Suchtexperten fordern deren Erstattungsfähigkeit. (Foto: Imago)


Nikotinersatzprodukte steigern die Chancen auf einen erfolgreichen Rauchausstieg. Diese Präparate sind derzeit von der Erstattungsfähigkeit ausgeschlossen, weil sie unter die sogenannten Lifestyle-Paragraphen fallen. Suchtexperten wollen dies ändern. Denn die Kostenerstattung durch die Krankenkassen würde das Gesundheitssystem langfristig entlasten.

Schätzungen der WHO zufolge sterben jährlich sechs Millionen Menschen an den Folgen von NIkotinkonsum, was zahlenmäßig ungefähr der Bevölkerung von Dänemark oder Lybien entspricht. In Deutschland tötet Tabak etwa 125.000 Süchtige pro Jahr. Angesichts dieser Zahlen wäre es naheliegend, Aufhörwilligen jede mögliche Unterstützung zukommen zu lassen.

Auf dem Europäischen Tabakkongress, der am Donnerstag in München gestartet ist, fordern Suchtexperten daher, dass die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für Arzneimittel zur Raucherentwöhnung erstatten sollen. „Obwohl das Tabakrauchen den mit Abstand wichtigsten gesundheitlichen Risikofaktor und in vielen Fällen eine Suchtkrankheit darstellt, verweigert die Bundesregierung die notwendigen Konsequenzen“, erklärt Dr. Tobias Rüther von der Spezialambulanz für Tabakabhängigkeit in München gegenüber der Nachrichtenagentur dpa.

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Auch die drogenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion und Psychiaterin, Dr. Kirsten Kappert-Gonther, erklärt gegenüber DAZ.online, dass sie eine Kostenerstattung befürwortet: „Nikotin ist ein starkes Suchtmittel. Wer aufhören möchte, muss Zugang zu Informationen und therapeutischer Unterstützung bekommen. Eine Kostenerstattung von medizinischen Rauchentwöhnungstrainings und Medikamenten wie Nikotinpflaster wäre der richtige Weg.“

„Lifestyle“-Paragraph verhindert Erstattung

Derzeit müssen Aufhörwillige ihre Entwöhnungsmedikamente aus eigener Tasche bezahlen. Denn rezeptfreie Nikotinersatzpräparate sowie verschreibungspflichtige Entwöhnungsmedikamente wie etwa Zyban® (Bupropion) oder Champix® (Vareniclin) fallen unter den sogenannten Lifestyle-Paragraphen, § 34 SGB V. Nach dieser Regelung ist eine Erstattungsfähigkeit ausgeschlossen. Auf der „Lifestyle-Liste“ stehen auch Anorektika, Botox gegen Falten sowie potenzsteigernde und den Haarwuchs fördernde Mittel. Im Gegensatz zu diesen Medikamenten, deren Indikationen sich auf die Optimierung des Äußeren beziehen, dienen Rauchentwöhnungspräparate zur Reduktion lebensbedrohlicher Risiken.

Die Kosten für die Nikotinersatztherapie (NET) in Form von Pflastern oder Kaugummis liegen zwischen zwei bis drei Euro pro Tag. Werden die Produkte kombiniert, wie es die Hersteller zur Verbesserung der Erfolgsquote empfehlen, wird es entsprechend teurer. Je nachdem, wie viele Zigaretten der werdende Nichtraucher zuvor konsumiert hat, ist die Kostenersparnis durch das Aufhören gering bis nicht existent. Für manche Aufhörwillige eine Hürde. 

Investition zahlt sich aus

Für das Gesundheitssystem wäre die Investition gut angelegt: Statistiken des Deutschen Krebsforschungszentrums zufolge verursacht das Rauchen in Deutschland für das Sozialversicherungssystem Kosten von rund 80 Milliarden Euro pro Jahr, die umgelegt auch Nichtraucher mittragen müssen. Jeder Raucher, der aufhört, entlastet folglich nicht nur seinen eigenen Geldbeutel, sondern auch die Allgemeinheit. Berechnungen der Universität Chemnitz zufolge können durch durch einen erfolgreichen Rauchstoppversuch mit NET 2,9 Lebensjahre je Person gewonnen und zugleich Kosten im Restlebenszyklus von 15.407 € eingespart werden. „Tabakabhängigkeit ist eine Suchterkrankung, ihre Behandlung ist die wirksamste und kosteneffektivste Möglichkeit, die Sucht zu behandeln und Folgeerkrankungen abzuwenden“, fasst Rüther in München zusammen. 

Einer aktuellen Cochrane-Analyse zufolge, die im Mai publiziert wurde, können Nikotinersatzprodukte die Chancen um 50 bis 60 Prozent steigern. „Die Kostenübernahme ist für die Effektivität der Tabakentwöhnung wichtig. Das geht aus einer Analyse der Cochrane-Gesellschaft hervor“, weiß die Grünen-Gesundheitspolitikerin Kappert-Gonther.

Wird die Sucht verlagert?

Apotheker wissen, dass Kaugummikauen alleine nicht ausreicht, um Zigaretten langfristig zu entsagen. Während der werdende Nichtraucher die NET anwendet, kann er Rauchgewohnheiten erfolgreich verlernen. Um sich im zweiten Schritt von der medikamentösen Hilfe zu lösen, ist ein starker Wille erforderlich. Manchmal wird die Sucht lediglich verlagert. Wenn derselbe Kunde über mehrere Monate unverändert hohe Mengen Nikotinkaugummis kauft, sollten Apotheker hellhörig werden.

Nikotin hat ein hohes Suchtpotenzial, das mit dem von Heroin vergleichbar ist. Sein Konsum verändert das Gehirn. So kann es bis zu drei Monaten nach Abstinenzbeginn dauern, bis sich die Dopaminausschüttung wieder normalisiert. Dies gilt für den Rauchstopp gleichermaßen wie beim Abschied vom Kaugummi. In dieser Phase können depressive Verstimmungen auftreten. Sollten sich diese nach einigen Monaten nicht bessern, ist über Psychotherapie nachzudenken. Denn manche Raucher versuchen unbewusst, mit Zigaretten eine unerkannte Depression zu maskieren. Bei stärkerer Abhängigkeit ist grundsätzlich ein multimodaler Ansatz ratsam, der auch nicht-medikamentöse Maßnahmen wie etwa Psychotherapie und Beratung umfasst.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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