Thrombozytenaggregationshemmung

Primärprävention mit ASS bei Senioren: Mehr Schaden als Nutzen

Berlin - 24.09.2018, 17:45 Uhr

70 Jahre und sonst herzgesund? Dann lieber weiter so - ohne ASS zur Primärprophylaxe, sagt eine neue Studie. (r / Foto: Imago)

70 Jahre und sonst herzgesund? Dann lieber weiter so - ohne ASS zur Primärprophylaxe, sagt eine neue Studie. (r / Foto: Imago)


Der Einsatz von Niedrigdosis-ASS zur Primärprävention ist umstritten. Einer aktuellen klinischen Studie mit mehr als 19.000 über 70-Jährigen zufolge kann die prophylaktische Gabe des Plättchenhemmers sogar kontraproduktiv sein. Denn es zeigte sich, dass unter 100 Milligramm ASS nicht weniger kardiovaskuläre Ereignisse auftraten als unter Placebo, dafür mehr schwere Blutungen und Krebstodesfälle. Auch die Hypothese, ASS könne Darmkrebs vorbeugen, konnte nicht bestätigt werden.

Mein tägliches Low-Dose-ASS gib uns heute? Einer aktuellen Studie zufolge lieber nicht – zumindest wenn man noch keinen Infarkt hatte und älter als 70 Jahre ist. Den Daten zufolge, die im New England Journal of Medicine publiziert wurden, schützten 100 Milligramm ASS nicht vor Herzinfarkt und Schlaganfall, führten jedoch zu mehr Blutungen und zu einer höheren Sterblichkeit.

Studie mit mehr als 19.000 „rüstigen“ Senioren

In der sogenannten ASPREE-Studie beobachteten die Forscher von Februar 2015 bis März 2017 insgesamt 19.114 Menschen aus Australien und den USA, die zu Studienbeginn älter als 70 Jahre waren. Vor der Randomisierung untersuchten die Wissenschaftler in einer einmonatigen Run-in-Phase mit Placebos, wie gut die Einnahme-Adhärenz war und schlossen nur diejenigen Personen ein, deren Einnahmetreue über 80 Prozent lag.

Die Teilnehmer wiesen alterstypische kardiovaskuläre Risikofaktoren auf: So litt etwa die Hälfte unter Hypertonie, zwei Drittel unter Hyperlipidämie, ein Viertel hatte eine eingeschränkte Nierenfunktion (Glomeruläre Filtrationsrate < 60 Milliliter pro Minute) und 11 Prozent Diabetes Mellitus Typ 2. Vorerkrankungen mit einer Indikation zur ASS-Einnahme waren ausgeschlossen.

Kein Nutzen für Herz, Hirn und Eigenständigkeit

Den primären Endpunkt bildete das „behinderungsfreie Überleben“ – also wenn die Teilnehmer weder verstorben waren, noch unter Demenz oder einer bleibenden körperlichen Behinderung litten. Sekundäre Endpunkte waren die Gesamtsterblichkeit und das Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse wie etwa Herzinfarkt, Schlaganfall oder Krankenhauseinweisungen aufgrund von dekompensierter Herzinsuffizienz.

Der präventive Nutzen blieb hinter den Erwartungen zurück. So gab es weder beim primären noch bei den sekundären Endpunkten einen signifikanten Vorteil für die ASS-Gruppe. Bezüglich der kardiovaskulären Ereignisse war lediglich ein nicht signifikanter Trend zugunsten von ASS zu verzeichnen (10,7 in der ASS-Gruppe versus 11,3 pro 1.000 Personenjahre in der Placebo-Gruppe). Die Studie, die eigentlich bis Ende des Jahres 2017 laufen sollte, wurde vorzeitig abgebrochen, weil sich abzeichnete, dass kein Vorteil für die ASS-Gabe zu erwarten war.

Mehr Blutungen und Krebstodesfälle unter ASS

Bei der Gesamtmortalität gab es sogar nicht signifikanten Trend zu Ungunsten von ASS (5,9 in der ASS-Gruppe versus 5,2 Prozent in der Placebo-Gruppe; Konfidenzintervall 1,01 – 1,29). Die Todesfälle wurden zudem auf ihre Ursachen ausgewertet und dabei stellte sich heraus, dass unter Aspirin signifikant mehr Krebstodesfälle (3,1 versus 2,3 Prozent, Konfidenzinterfall: 1,10 – 1,56) auftraten, darunter auch mehr Kolorektalkarzinome. Die diskutierte präventive Wirkung auf Darmkrebs konnte in dieser Studie nicht bestätigt werden. Allerdings bildeten die 55 Todesfälle durch Darmkrebs (35 in der ASS- und 20 in der Placebogruppe, Konfidenzintervall: 1,02 – 3,06) eine kleine Subgruppe mit relativ großer Streuung und moderater Aussagekraft.

Das Risiko für eine schwere Blutung war unter ASS signifikant erhöht (3,8 versus 2,8 Prozent, p<0,001). Zu den schweren Blutungen zählten intrakranielle, gastrointestinale oder sonstige Blutungen, die eine Transfusion oder eine Hospitalisierung erforderten.

Bei Senioren überwiegt das Risiko

Das Nutzen-Risiko-Verhältnis der Primärprävention mit ASS für Senioren ist in dieser Studie eindeutig negativ. Weshalb hat die Arbeitsgruppe um McNeil überhaupt diese Senioren-Studie durchgeführt? Der Nutzen von Niedrigdosis-ASS zur Sekundärprävention nach Schlaganfall oder Herzinfarkt ist umfänglich belegt. Da lag es nahe, zu untersuchen, ob man mit ASS auch dem ersten Auftreten von Herzinfarkt und Schlafanfall vorbeugen kann. Außerdem wurde diskutiert, ASS könne Darmkrebs vorbeugen, der im Alter gehäuft auftritt. Und da Schlaganfälle zur vaskulären Demenz führen und ASS zur Sekundärprävention von Schlaganfällen eingestzt wird, erhoffte man sich auch hier einen primär-präventiven Effekt.

Die bisherige Datenlage zur Primärprävention war jedoch nicht eindeutig. Im vergangenen Monat wurden auf dem ESC Daten präsentiert, wonach der Nutzen der Primärprävention bei Herzgesunden nicht eindeutig war: So profitierten Herzgesunde über 55-Jährige ohne Diabetes nicht, während eine Studie mit Diabetikern einen moderaten Nutzen bei erhöhter Blutungsrate zeigte.

Bin dieser neuesten Studie ist die Datenlage bei über 70-Jährigen klar: Von der prophylaktischen Einnahme von ASS ist abzuraten.  Darüberhinaus sind 100 mg ASS in Deutschland zur Primärprophylaxe gar nicht zugelassen. 



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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