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Kanada
Wie funktioniert jugendfreundliche Cannabis-Legalisierung?
Seit dem 17. Oktober ist es soweit: In Kanada haben die ersten Cannabis-Shops eröffnet. Ein völlig neuer, regulierter Markt entsteht. Die Konsumenten sind begeistert. Doch es gibt auch kritische Stimmen: wie etwa den kanadischen Jugendpsychiater Dr. Umesh Jain, für den die Legalisierung zu rasch und unüberlegt in Kraft getreten ist.
Snoop Dogs Eigenmarke für Cannabis-Bongs, ein wasserdichtes Köfferchen für Kiffer-Utensilien – die Aussteller der Weedstock-Messe vergangene Woche in Toronto überboten sich an Marketingideen rund um Cannabis. Neben Anbietern für Marihuana und Rauchzubehör warb eine „Cannabis-Anwältin“ für ihre Dienste. Auch eine NGO namens „Norml“, die im Vorfeld der Gesetzesänderung für die Legalisierung von Cannabis gekämpft hatte, war vertreten und beschäftigt sich mit den Sorgen und Nöten der Konsumenten, wie etwa Problemen im Straßenverkehr.
Ist Cannabis in Kanada ein Konsumgut wie jedes andere? Ganz so frei wie etwa bei Schokolade ist der Cannabishandel natürlich nicht. Erwachsene Konsumenten können bis zu vier Cannabispflanzen aufziehen und bis zu 30 Gramm getrocknete Blüten besitzen. Die Provinzen in Kanada können diese Regelungen individuell verschärfen. Die Ware darf nur in Verkaufsstätten, die von der zuständigen Provinzialregierung genehmigt sind, erworben werden. In der Provinz Ontario hat der Verkauf noch nicht begonnen.
Gefährlich: Cannabis als Selbstmedikation bei Jugendlichen
Auch vor dem 17. Oktober war der Cannabiskonsum in Kanada weit verbreitet. So konsumierten laut dem Canadian Tobacco Alcohol and Drugs Survey schon 2015 knapp ein Drittel der 18- bis 24-Jährigen Cannabis. Bei den 15- bis 17-Jährigen waren es knapp 18 Prozent. Einer Erhebung aus der kanadischen Provinz British Columbia zufolge beginnen Jugendliche mit 13 Jahren mit dem Kiffen.
„Alarmierend“, betonte der Jugendpsychiater Dr. Umesh Jain vergangene Woche auf einem Expertentreffen in Toronto, das von dem Cannabisproduzenten Wayland unterstützt wurde. An dieser Diskussionsrunde nahmen auch der pharmazeutische Biologe Professor Theodor Dingermann, Strafrechtsprofessor Lorenz Böllinger und der Genfer Psychiater Professor Danielle Zullino teil.
Das jugendliche Gehirn sei noch in der Entwicklung begriffen und könne durch den Cannabiskonsum irreversibel geschädigt werden, erläuterte Jain. Jugendliche, die frühzeitig mit dem Kiffen beginnen, seien um den Faktor 15 mehr gefährdet als andere, eine Schizophrenie zu entwickeln. Cannabiskonsum erfolge in jungen Jahren entweder aus Neugier, unter sozialem Druck oder, um seelische Probleme zu kaschieren. Insbesondere letzteres Motiv ist gefährlich, weil es die adäquate Behandlung einer psychischen Erkrankung wie etwa Depressionen und Angststörungen verhindern kann, appellierte der Psychiater.
Jugendpsychiater: Legalisierung kam zu schnell
Die neuen gesetzlichen Regelungen in Kanada untersagen eine Abgabe an Minderjährige. Doch aus Sicht des Jugendpsychiaters sind die geltenden Vorsichtsmaßnahmen ungenügend. Die Legalisierung sei zu schnell und zu unüberlegt gekommen. Das Mindestalter für den Erwerb solle aus seiner Sicht mindestens 25 Jahre betragen. In die Schulen sollen für die Altersgruppen 11 bis 14 Jahre Aufklärungsprogramme integriert und die Sensibilität für psychische Probleme erhöht werden.
Die Legalisierung trage zur Verharmlosung bei, der zum Schutz der Jugendlichen unbedingt entgegengewirkt werden müsse. Aus seiner Sicht sei es falsch, auf Daten zu warten, die einen verbesserten Jugendschutz durch Legalisierung belegen. Hier sei Sicherheit wichtiger als Evidenz, betonte der Psychiater.
Jeder will Jugendschutz
Allerdings gibt es bereits Erfahrungswerte aus US-Bundestaaten wie etwa Colorado, die nahe legen, dass der Konsum bei den Jüngeren nach einer Legalisierung zurückgehen kann. Und der grundsätzliche Gedanke der Legalisierungsbefürworter – auch derjenigen in Deutschland – ist, dass durch die regulierte Abgabe der Schwarzmarkt verdrängt und die Jugendlichen besser geschützt seien. Denn Jugendschutz haben sich beide Seiten – sowohl die Legalisierungsgegner als auch die Befürworter auf die Fahne geschrieben, nur jeweils auf entgegengesetzten Wegen.
Dem Bundestag in Deutschland liegen derzeit drei Anträge vor, die jeweils auf unterschiedliche Weise an der Cannabisprohibition rütteln. So schlägt die FDP-Bundestagsfraktion wissenschaftliche Modellprojekte zur kontrollierten Cannabisabgabe – unter anderem in Apotheken – vor. Die Linken wollen bundesweit den Besitz von 15 Gramm Cannabis entkriminalisieren, während die Grünen ein Gesetz entworfen haben, das den Konsum von und Handel mit Cannabis umfassend regeln soll.
Dingermann, der sich wissenschaftlich mit medizinischem Cannabis beschäftigt, kann die Bedenken des kanadischen Jugendpsychiaters teilweise nachvollziehen: „Dr. Jain sorgt sich um diese vulnerable Altersgruppe, die dringend vor Cannabis geschützt werden muss. In Kanada scheint es allerdings an geeigneten Konzepten dazu zu fehlen. Man fühlt sich von der sehr schnellen Legalisierung des Cannabis-Gebrauchs gewissermaßen überrollt.“ Grundsätzlich sei er kein Legalisierungsgegner. So ist Cannabis für Erwachsene aus toxikologischer Sicht weniger gefährlich als Alkohol, so der pharmazeutische Biologe.
Böllinger: Regulierung statt Strafverfolgung
Doch wie kann Deutschland mit Cannabis verantwortungsbewusst umgehen? Für Böllinger war die Prohibition grundsätzlich der falsche Weg. „Strafverfolgung reduziert nicht den Cannabis-Konsum. Besser wäre eine kontrollierte, mengenbegrenzte Abgabe an registrierte Erwachsene. Durch die Entkriminalisierung würden Konsumenten entstigmatisiert und der Schwarzmarkt würde an Bedeutung verlieren. Von den drei Vorschlägen, die derzeit dem Bundestag vorliegen, ist das Cannabis-Kontrollgesetz der Grünen am weitesten ausgearbeitet. Langfristig bin ich für eine substanzspezifische Regulierung aller Drogen“, so der Jurist.
Zullino: „Mündige Entscheidung eines Erwachsenen“
In unserem Nachbarland, der Schweiz, gibt es Bestrebungen, Modellprojekte zum kontrollierten Cannabiskonsum, ähnlich wie die deutsche FDP sie vorschlägt, auf den Weg zu bringen. Ein Projektentwurf aus Bern sieht die Abgabe in Apotheken vor. Noch hat die Gesetzgebung nicht entschieden.
In Genf plant Zullino ein wissenschaftliches Studienprojekt, das auch Problemkonsumenten mit einbezieht. Bei diesem Genfer Projekt soll Marihuana nicht in Apotheken, sondern in speziellen Clubs und unter Betreuung abgegeben werden. „Auch grundsätzlich halte ich die Apotheke nicht für die geeignete Abgabestelle für Freizeitcannabis, weil so der Konsum unnötig pathologisiert wird. Eine pharmazeutische Beratung für Freizeitkonsumenten ist nicht erforderlich. Bei Bier und Wein findet sie ja auch nicht statt. Es ist die mündige Entscheidung eines Erwachsenen, Cannabis zu konsumieren“, so Zullino.
Alternativ schlägt der Schweizer Psychiater eine aufklärende Produktinformation vor, ähnlich wie beim Tabak und Alkohol. Die Legalisierung des Produktes würde es außerdem erlauben, öffentlich über angepassten versus problematischen Konsum zu diskutieren, wie dies für Tabak und Alkohol bereits möglich ist, und so die Kenntnisse in der Bevölkerung zu verbessern.
Schizophrenierisiko: Kausalität oder Koinzidenz?
Wie alle Legalisierungsbefürworter hat der Jugendschutz auch für Zullino oberste Priorität. Was das Risiko betrifft, eine Schizophrenie zu entwickeln, ist seine Einschätzung nicht so eindeutig wie die von Dr. Jain: „Cannabiskonsum erhöht das Risiko, eine Schizophrenie zu entwickeln, statistisch um den Faktor 2 – ähnlich wie Alkohol oder Tabak. Ob es sich dabei um eine Kausalität oder eher eine Koinzidenz handelt, also ob Risikopersonen für eine Psychose vielleicht eher zum Substanzkonsum neigen, geht aus den Literaturdaten nicht hervor“, so der Schweizer Psychiater.
6 Kommentare
Ich kann
von Stefan Haydn am 05.11.2018 um 18:00 Uhr
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Legalisierungsgegner; angewiesen auf fehlenden Jugendschutz !
von M.Thole am 02.11.2018 um 22:59 Uhr
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Pharmaindustrie
von Dennis Bartel am 02.11.2018 um 16:33 Uhr
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Zu unüberlegt
von Johann am 02.11.2018 um 14:51 Uhr
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Cannabis Alter und abgebliche Verursachung von Schizophrenie
von Commentary am 02.11.2018 um 11:03 Uhr
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Gut zu wissen:
von test am 02.11.2018 um 10:15 Uhr
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