SPD-Gesundheitspolitiker zu Bottrop

„Eine staatlich verankerte Taskforce muss den Zyto-Skandal aufarbeiten“

Karlsruhe - 07.11.2018, 10:15 Uhr

Josef Neumann, gesundheitspolitischer Sprecher der NRW-SPD, fordert, dass eine staatliche Taskforce zur Aufarbeitung des Bottroper Zyto-Skandals gegründet wird. (Foto: Büro Neumann, SPD)

Josef Neumann, gesundheitspolitischer Sprecher der NRW-SPD, fordert, dass eine staatliche Taskforce zur Aufarbeitung des Bottroper Zyto-Skandals gegründet wird. (Foto: Büro Neumann, SPD)


Die vergangene Landesregierung muss mit großer Demut auf den Umgang mit dem Bottroper Zyto-Skandal blicken, sagt der gesundheitspolitische Sprecher der NRW-SPD, Josef Neumann, gegenüber DAZ.online. Er fordert die Einrichtung einer Taskforce, die das Behördenhandeln aufarbeiten soll – und die Prüfung, ob Betroffene eine staatliche Entschädigung erhalten sollten.

Auch knapp zwei Jahre nach Inhaftierung des Bottroper Zyto-Apothekers Peter S. sind viele Fragen offen. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hat kürzlich erneut Änderungen in den Apothekenkontrollen angekündigt, die von Patienten auch auf Bundesebene in einer Petition gefordert werden, die rund 5000 Unterstützer gefunden hat. Wie sieht die SPD-Fraktion die Aufarbeitung des Skandals? Sie führte bis Juni 2017 die Landesregierung – mit der Grünen-Gesundheitsministerin Barbara Steffens. DAZ.online hat bei Josef Neumann, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag, angefragt. Er ist unter anderem gelernter Heilerziehungspfleger und war Geschäftsführer einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Neumann ist seit 2010 Mitglied des Landtags und auch Inklusionsbeauftrager der SPD-Fraktion.

DAZ.online: Vor knapp zwei Jahren wurde der Zyto-Apotheker Peter S. aus Bottrop wegen des Unterdosierens von Krebsmitteln inhaftiert – im Juli wurde er in erster Instanz zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Wie blicken Sie mit nun etwas Abstand auf den Fall, Herr Neumann?

Neumann: Ich glaube, dass wirklich alle, die mit dem Thema zu tun hatten, geschockt waren, dass so etwas möglich ist. Es geht um eine Person, die in weißem Kittel einen sehr hohen Respekt genießt. Das war für uns ziemlich erschlagend. Der Betroffene ist jetzt verurteilt worden – aber sie wissen auch: Der Apotheker ist verurteilt und wird sicher auch Schadensersatz zahlen müssen. Aber wir wissen nach wie vor nicht, wie viele Opfer es gibt und was es für die einzelnen Personen bedeutet. Wir müssen jetzt die richtigen Konsequenzen aus dem Skandal ziehen und sicherstellen, dass sich so etwas nicht wiederholt.

„Die Dimension hat keiner für möglich gehalten“

DAZ.online: Hat die Politik zu langsam reagiert?

Neumann: Man muss natürlich auch mit großer Demut auf die eigene Regierungszeit zurückschauen, selbstverständlich. Zunächst arbeitet die Staatsanwaltschaft, währenddessen wartet man ab. Aber ich glaube, die gesamte Dimension hat kaum einer für möglich gehalten. Ich glaube, es ist jetzt im Nachhinein nicht nötig zu sagen, wer was nicht gemacht hat – sondern wir müssen dafür sorgen, dass den Patienten geholfen wird.

DAZ.online: Sollte die politische Ebene sich des Themas weiter annehmen?

Neumann: Ja, wir hatten im Landtag einige ähnliche Themen – so die Aufarbeitung von Medikamentenversuchen an Behinderten in Heimen. Ich habe damals das Thema unverzüglich aufgenommen, weil Behindertenpolitik ein Schwerpunkt meiner politischen Arbeit ist. Medikamentenskandale sind keine seltenen Fälle, sondern kommen in der Bundesrepublik häufiger vor. Wir müssen enorme Anstrengungen unternehmen, damit wir eine Ausschließlichkeit für solche Vorfälle erreichen. Bei Medikamenten geht es häufig um enorme Gewinnsummen.

NRW-SPD will Apotheker nicht unter Generalverdacht stellen

DAZ.online: Was sollte jetzt konkret unternommen werden?

Neumann: Wir müssen prüfen, ob die Betroffenen nicht in das Opfer-Entschädigungsgesetz kommen sollten. Sie sind ja Opfer von kriminellen Machenschaften und man muss prüfen, wie sie eine Entschädigung bekommen können, wenn das noch nicht möglich ist. Ich denke, dass alle die Opfer von Medikamentenskandalen auch im Opferentschädigungsgesetz erfasst werden sollten. Es ist erforderlich, das jetzt zu prüfen. Da erwarte ich von Minister Laumann, zu sagen: Wenn wir das Leid dieser Menschen zumindest teilweise entschädigen möchten, dann müssen wir die Gesetze ändern. Außerdem sollten Wirtschaftsprüfer den Warenein- und ausgang von Schwerpunktapotheken kontrollieren. Anhand der Summen kann man schon ermitteln, was dabei rumkommt. Das ist ein wichtiger Punkt, den ich nachdrücklich nochmal einfordere.

DAZ.online: Man kann ja kaum feststellen, welche Patienten unterdosierte Mittel bekommen haben. Wie wollen Sie regeln, wer eine Entschädigung erhält?

Neumann: Das ist eine der großen Herausforderungen, nicht nur in dieser Debatte – auch etwa beim Missbrauch in Heimen. Man kann zum Beispiel über ein Stufensystem nachdenken: Hat jemand körperliche Schäden erhalten, hat jemand psychische Probleme bekommen, oder gibt es einen Todesfall. Darüber muss man sprechen. Der Staat steht in der Verantwortung, den Menschen dieses Leid, das ihnen zugefügt wurde, auf eine gewisse Weise zu entschädigen – oder ihnen ein würdigeres Leben zu ermöglichen. Auch denjenigen, die darunter leiden, dass sie Mittel aus der Apotheke bekommen haben, können wir eine gewisse Würde geben: Nicht durch gravierende Summen, sondern durch Anerkennung. Da müssen wir Mechanismen finden, das ist nicht einfach.

Alles zum Urteil gegen Peter S.

DAZ.online: Wie gut hat der Gesundheitsminister bisher agiert?

Neumann: Vor ein paar Monaten wurde gesagt, wir haben alles getan und es läuft alles. Jetzt wissen wir: Es läuft nicht alles, Herr Laumann arbeitet dieses Thema auch nochmal nach. Den Opfern sind wir es schuldig. Ich hätte mir gewünscht, dass es wie in Brandenburg viel zügiger geht. Dazu muss man mit den Betroffenen ständig im Gespräch sein, auch das Ministerium. Es gibt ja weiterhin Kritik: Die Hilflosigkeit, in der viele Betroffenen sind – auch solche die es noch gar nicht wissen – muss man ihnen nehmen, der Staat muss handeln.

DAZ.online: Braucht es eine Taskforce „Bottrop“, die die Tätigkeit der Behörden analysiert?

Neumann: Neben dem Gutachten zu den Überlebenszeiten, was jetzt läuft, muss auch eine staatlich verankerte Taskforce sich den Problemen annehmen – das ist nach wie vor notwendig. Der Fall ist ja nicht dadurch vom Tisch, dass der Apotheker verurteilt wurde. Daten und Fakten erhalte ich nur, wenn ich jemand beauftrage. Außerdem müssen aber auch die Kontrollmechanismen zwischen den lokalen Kontrollen, den Apothekerkammern und Wirtschaftlichkeitsprüfungen abgestimmt werden. All diese Punkte sind noch nicht gereift, aber das sind wir den Opfern schuldig. Es geht um Menschenleben und Gesundheitsschutz. Mir geht es nicht darum, alle Apotheker unter Generalverdacht zu stellen – sondern sicherzustellen, dass die Versorgung ordnungsgemäß erfüllt. Natürlich sind alle Apotheker, die ich bisher kennengelernt habe, zuverlässige Leute. Aber wenn es nur ein schwarzes Schaf unter 10.000 gibt, müssen wir das finden. Das wird nicht gelingen, in dem wir unser bisheriges Handeln und Denken belassen, wir müssen neue Wege gehen.

Neumann: Der Staat muss die Gesundheitsversorgung sicherstellen

DAZ.online: Wie sollen die Kontrollen Ihrer Ansicht nach durchgeführt werden?

Neumann: Wir hatten vor gut zwanzig Jahren einen Zeitgeist in Deutschland, der sagte: weniger Staat, weniger Aufsicht – dann läuft alles von alleine. Doch es läuft nicht alles von alleine. Wenn Menschen Vertrauen in den Staat haben sollen, müssen sie sich darauf verlassen, dass er ihre Gesundheit sicherstellt. Natürlich müssen die Behörden gemeinsame Prüfverfahren haben und vernetzt sein. Wir sind den Menschen nach Bottrop schuldig, das aufzubauen. Wenn nicht jetzt – wo klar ist, dass es ein Versagen gegeben hat – wann sollen wir dann reagieren? Aber es muss noch geklärt werden, wer die zusätzlichen Kontrollen durchführt und bezahlt. Als ein wichtiges Selbstverwaltungsorgan sollten auch die Apothekerkammern hinzukommen, sie müssen mit ins Boot genommen werden. Bei den Apothekerkammern sitzt ja die Kompetenz – und es geht um den Schutz der 99,99 Prozent Apotheker, die jeden Tag ihre Arbeit machen und durch diese Fälle in Misskredit gebracht wird. Die Taskforce sollte auch Voraussetzungen schaffen, dass wir landesweit die Kontrollen so aufstellen, dass sie abgestimmt sind – zwischen Behörden, Apothekerkammern, Wirtschaftsprüfern und Ministerium.

Mehr zum Thema

DAZ.online: Sollte das Ganze nicht auf die Bundesebene?

Neumann: Eindeutig. Wir haben diese Probleme nicht nur in Brandenburg. Wir haben vergleichbare Systeme, unabhängig davon, wie die Behörde heißt. Es kann ja nicht sein, dass jemand der an der Grenz von NRW und Hessen wohnt und über die Stadtgrenze geht, andere Verhältnisse vorfindet. Zumindest die Standards müssen vergleichbar sein. Ich glaube da brauchen wir mehr Bewegung. Ich persönlich glaube aber, dass vieles, was bundesweit schon existiert, in der Praxis nur umgesetzt werden muss. Die Frage ist, wie eine Landesausführungsverordnung diese Umsetzung auch regelt. Diese Frage muss landesweit geklärt und im Ministerium auch mitgesteuert werden – gerade auch in einem Bundesland wie Nordrhein-Westfalen mit 18 Millionen Einwohnern. Wenn wir den Menschen, die Opfer geworden sind, ein deutliches Zeichen senden wollen, dann muss das Zeichen sein: Wir werden alles tun, um so etwas zu verhindern.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.