Schnelle Bewertung am HV

Nahrungsergänzung in der Apotheke: Taugt das Mittel was?

Stuttgart - 27.11.2018, 07:00 Uhr

Wie kann die Apotheke einen Nahrungsergänzungsmittel-Schnellcheck machen? (c / Foto:                                 
                                        


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Wie kann die Apotheke einen Nahrungsergänzungsmittel-Schnellcheck machen? (c / Foto: fpdress/stock.adobe.com)


Arthrose, Gedächtnisstörungen und mehr: Nahrungsergänzungsmittel werden zur Vorbeugung und Unterstützung von allem möglichen beworben. In der Apotheke schlagen Kunden dann mit dem entsprechenden Wunsch auf. Anhand von zwei Parametern lässt sich kurz einschätzen, ob das gewünschte Mittel möglicherweise sinnvoll oder vielleicht sogar schädlich ist.

Der Markt der Nahrungsergänzungsmittel (NEM) ist unübersichtlich und im Gegensatz zu Arzneimitteln kaum reguliert. So gibt es beispielsweise keine definierten Höchstmengen, wie viel von einem Stoff maximal enthalten sein darf. Kaufen kann man sie in Drogerien, Supermärkten, Apotheken und auch im Internet. Beworben werden sie mit allen möglichen Versprechen. Zwar regelt die Health-Claims-Verordnung, was Hersteller für welche Substanz behaupten dürfen – weil der jeweilige Effekt als belegt angesehen wird –, aber in vielen Fällen gilt: „Wo kein Kläger, da kein Richter.“ Das heißt, nicht selten preisen Hersteller ihre Mittel mit allen möglichen Wunderwirkungen erst einmal an, so lange bis es ihnen gerichtlich untersagt wird. Klagen tun in der Regel die Verbraucherschutzzentralen.

Was aber tut man in der Apotheke, wenn ein Kunde um Einschätzung zu einem NEM bittet? Professor Martin Smollich vom Institut für Ernährungsmedizin der Universität Lübeck erklärte am gestrigen Sonntag bei der Fortbildung des WIPIG-Netzwerks in Nürnberg, wie man am HV-Tisch schnell zu einer Beurteilung eines NEMs kommen kann. Nämlich anhand der enthaltenen Vitamin- oder Mineralstoffmengen und anhand der Health Claims.

Ist die enthaltene Menge sinnvoll? Oder vielleicht sogar schädlich?

Bei ersterem stellt sich vor allem die Frage, ob der jeweilige Stoff in der enthaltenen Menge sinnvoll oder vielleicht gar schädlich ist. So sind teilweise Mineralstoffe in homöopathischen Mengen enthalten, aber auch in Dosierungen, die die empfohlene Zufuhrmenge um ein Vielfaches überschreiten. Anhaltspunkte bieten hier zum einem die „Höchstmengenempfehlungen für Vitamine und Mineralstoffe in NEM“ des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) sowie die analoge Liste der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (European Food Safety Authority, EFSA). Im Gegensatz zu den Zufuhrempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), die sich immer auf die Gesamtzufuhr also inklusive Nahrung beziehen, geht es bei den Aufstellungen von EFSA und BfR um das, was in NEM als sicher erachtet wird. Die Empfehlungen können jedoch durchaus voneinander abweichen, aber für eine erste Einordnung sind sie laut Smollich hilfreich. Rechtsverbindlich sind sie jedoch nicht. Wirkstoffmengen, die in Arzneimitteln enthalten sind, können natürlich deutlich darüber liegen. Schließlich dienen Arzneimittel zum Beispiel dem Ausgleich eines manifesten Mangels und nicht wie NEM der Ergänzung der allgemeinen Ernährung.

Enthält ein NEM Vitamin- oder Mineralstoffmengen, die deutlich niedriger sind als die Empfehlungen, ist zumindest davon auszugehen, dass das betreffende Mittel nicht schadet. Bei viel zu hohen Dosierungen sollte man eher abraten.

Werden nicht-belegbare Gesundheitsaussagen gemacht?

Der zweite Punkt, der eine erste Einschätzung des NEMs erlaubt, sind die Health Claims. Die EU-Health-Claims-Liste macht genaue Vorgaben, welche Aussagen zu welchem Inhaltsstoff erlaubt sind. Für gesundheitsbezogene Angaben, die sogenannten Health Claims gilt nämlich das so genannte „Verbotsprinzip mit Erlaubnisvorbehalt“. Das bedeutet, dass gesundheitsbezogene Angaben grundsätzlich verboten sind, solange sie nicht in dieser Liste stehen. Aussagen, die in die Liste aufgenommen werden sollen, müssen der wissenschaftlichen Überprüfung der EFSA standhalten. So lässt sich feststellen, ob die Aussagen des Herstellers irgendwie haltbar sind oder jeglicher Grundlage entbehren. So lassen sich NEM mit unseriösen Wirkversprechen identifizieren.

Sonderfall Botanicals

Eine Sonderstellung bei den Health Claims haben die „Botanicals“. Das sind aus Pflanzen, Algen, Pilzen oder Flechten gewonnene pflanzliche Stoffe und Zubereitungen, die ebenfalls in Form von NEM vermarktet werden. Seit 2010 werden Health Claims von Botanicals nicht mehr überprüft. Das heißt, die Hersteller können bis auf weiteres ungeprüft gesundheitsbezogene Aussagen machen. Und auch sonst ist dieser Bereich mehr oder weniger unreguliert. Es gibt zwar Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen, dass Pflanzen oder Pflanzenteile als Lebensmittel, zu denen NEM ja zählen, in den Verkehr gebracht werden können. Dazu zählt unter anderem, dass sie sicher sein müssen. Als Nachweis genügt hier aber die Eigenversicherung des Herstellers. Zudem dürfen sie keine pharmakologische Wirkung haben, sonst wären sie Phytopharmaka. Dies ist in der Regel dosisabhängig.

Bei dieser Abgrenzung – noch NEM oder schon Phytopharmakon – hilft die „Stoffliste des Bundes und der Länder“. Dort findet sich jeweils die Stammpflanze mit der lateinischen Bezeichnung und ob die Pflanze beziehungsweise deren Teile als Lebensmittel, Novel Food, Arzneistoff oder traditionelles Arzneimittel bekannt sind. Dazu erfolgt eine Kategorisierung in eine von drei Listen A, B oder C. Wird eine Pflanze in Liste A einsortiert, heißt das, dass die Anwendung in Lebensmitteln nicht empfohlen wird. Das ist zum Beispiel bei Aconitum napellus der Fall. Kategorie B besagt, dass die Verwendung in Lebensmitteln mit Beschränkung empfohlen wird. In diesen Fällen ist dann eine Dosis angegeben, ab der von einer pharmakologischen Wirkung auszugehen ist und die Präparate somit Phytopharmaka wären. Der dritten Kategorie C werden Stoffe zugeordnet, bei denen noch keine abschließende Beurteilung möglich ist. Aber auch diese Liste ist ebenso wie die Zufuhrempfehlungen von EFSA und BfR nicht rechtsverbindlich.

Auch NEM können schaden

Smollich wies zudem darauf hin, dass es mitnichten so sei, dass die Einstellung „Es wird schon nicht schaden“ bei NEM angebracht ist. Er nannte auch Beispiele. So gebe es neben vielen Studien, die weder einen positiven noch einen negativen Effekt zeigten, einige, in denen die Prävalenz bestimmter Karzinome bei Einnahme von NEM erhöht war. Allerdings ging es dabei in der Regel um eine jahrelange Einnahme, bei der die Zufuhrempfehlungen der DGE um ein Vielfaches überschritten wurden, zum Beispiel in der VITAL-Studie, die einen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Vitamin B6 und B12 und dem erhöhtem Risiko für Bronchial-Karzinome zeigte. Zudem werden beispielsweise Grüntee-Extrakte mit Leberversagen in Zusammenhang gebracht und Algen-NEM mit Hyperthyreose.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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