Influenzasaison 2018/19

Wer ist schuld am Grippeimpfstoffmangel? (1)

Stuttgart - 14.12.2018, 07:00 Uhr

Influenzasaison 2018/19: Warum herrscht Grippeimpfstoffmangel? (Foto: vchalup / stock.adobe.com)

Influenzasaison 2018/19: Warum herrscht Grippeimpfstoffmangel? (Foto: vchalup / stock.adobe.com)


Haben die Grippeimpfstoffhersteller in der aktuellen Saison gespart und einfach zu wenig Impfstoff produziert? Welche Rolle haben Vorbestellungen der Apotheke überhaupt auf die Produktionsmenge? Und warum reichen die Influenzavakzine 2018/19 nicht? DAZ.online hat sich die Sache einmal angeschaut.

Irgendwie ist der Wurm drin bei den Grippeimpfstoffen. Alle Jahre wieder – irgendwas ist immer. Mal passt das Antigen nicht auf die zirkulierenden Viren, dann wiederum kämpfen in manchen Wintern die pharmazeutischen Unternehmer mit Lieferschwierigkeiten. In der aktuellen Influenzasaison herrscht absoluter Grippeimpfstoffmangel in Deutschland. Das Bild, das sich hierzulande bei den saisonalen Vakzinen im Grippewinter 2018/19 zeichnet, war lange Zeit uneinheitlich. Erst sprach man von regionalen Engpässen und von lediglichen Verteilungsproblemen – das hieß es seitens des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) und auch seitens der Politik. Das PEI untersuchte daraufhin die Grippeimpfstofflage in der Bundesrepublik. In der Folge reagierte die Bundesregierung in Gestalt des dafür zuständigen Gesundheitsministers Jens Spahn mit Maßnahmen, die allerdings nicht nur die Verteilung homogen machen, sondern die auch den Import zusätzlicher Impfstoffchargen aus dem EU-Ausland ermöglichen sollten. Vielleicht also doch nicht nur ein reines Verteilungsproblem.

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Hört man sich jedoch bei Apothekern und Großhändlern um und begibt sich dort auf Suche nach Grippeimpfstoffen, sind die Kühlschränke und Kühllager leer, und das bereits seit geraumer Zeit. Großartig umzuverteilen gibt es wohl also schon seit Längerem nichts mehr, und auch Nachbestellungen sind mittlerweile nicht mehr möglich.

„Run“ auf Vierfach-Grippeimpfstoffe?

Auch Spekulationen, warum in diesem Jahr alles so eng aussieht bei der Grippeimpfung kursieren. So könnte die fulminante Grippewelle des vergangenen Winters manchen Patienten ein warnender Schuss vor den Bug gewesen sein und doch ein paar zusätzlich überzeugt haben, dass eine Grippeimpfung ein weit kleineres Übel als eine tatsächlich durchlebte Influenzaerkrankung ist.

Das scheint plausibel: Die Grippeimpfung genoss selten größeres mediales Interesse als im vergangenen Jahr. Auch wenn die Meldungen eher ketzerisch auf eine Zwei-Klassen-Medizin mit Drei- und Vierfachimpfstoffen abzielten, eines hat das Gezeter erreicht: Die Grippeimpfung rückte ins Bewusstsein der Bevölkerung. Vielleicht spielt hier ja auch die Psychologie ein wenig mit – dass man sich jetzt impfen lassen möchte, weil es jetzt ja schließlich auch den „besseren“ Impfstoff gibt, und zwar für jeden. Nicht nur für Privatpatienten. Außerdem scheint, aus welchen Gründen auch immer, die Vakzine in diesem Jahr besonders knapp. Und die unbewusste Annahme, dass Dinge dann, wenn sie schwer zu bekommen sind, besonders wertvoll sind, ist wohl tief im Menschen verwurzelt. So viel zur Psychologie. Ob tatsächlich in diesem Winter mehr Menschen den Influenzaschutz wahrnahmen, werden die Abrechnungsdaten erst im nächsten Jahr zeigen.

Zwei Millionen Impfdosen weniger als im Vorjahr

Natürlich wäre eine solche Boosterung der Grippeimpfaffinität fraglos mehr als wünschenswert. Ist sie nicht sogar das Ziel der seit Jahren initiierten und forcierten Grippeimpfkampagnen? Bis zu einem gewissen Grad scheint diese These für die aktuelle Impfstoffknappheit auch nachvollziehbar. Vielleicht gepaart mit der Tatsache, dass für 2018/19 auch weniger Influenzavakzine produziert wurden als die Jahre zuvor. Denn: In der aktuellen Grippesaison hat das Paul-Ehrlich-Institut verglichen mit dem Vorjahr rund zwei Millionen Impfdosen weniger freigegeben: 15,7 Millionen 2018/19 versus 17,9 Millionen 2017/18. Reichen die Grippeimpfstoffe vielleicht zuletzt nicht, weil die Vakzinhersteller „gespart“ und für die aktuelle Saison weniger produziert haben?

Seqirus fehlt im tetravalenten Impfstoffmarkt 2018/19

Dies dementieren GSK, Mylan und auch Sanofi-Pasteur allerdings. Sie bekräftigen vielmehr das Gegenteil, und zwar dass sie in der aktuellen Saison sogar mehr Impfstoffe produziert haben als im Vorjahr. Was auf den ersten Blick fragwürdig anmutet, denn laut PEI-Zahlen sind es nun mal über zwei Millionen weniger. Wie kann das sein?

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Grippeimpfstoffe: Der Markt ist leer

Mylan deckt nach Informationen aus der Branche mit seinem Influvac® Tetra das Gros der bundesweiten Grippeimpfstoffe ab. GSK hat für 2018/19 laut eigenen Angaben 3,8 Millionen Impfdosen für Deutschland produziert, und Sanofi möchte „konkrete Zahlen aus Wettbewerbsgründen“ nicht veröffentlichen, erklärt jedoch: „Die diesjährige Mengenplanung lag mehrfach über der Planung der letzten Saison.“

Afluria und Berigripal fehlen mit 3,8 Millionen Impfdosen

Wie passt das zusammen? Jeder produziert mehr und raus kommt weniger? Das funktioniert tatsächlich – weil ein bislang großer Player im deutschen Grippeimpfstoffmarkt in diesem Jahr schlicht nicht am Start ist: Seqirus mit Afluria® und Berigripal®. Die beiden trivalenten Vakzine waren in der Vorsaison mit 4,8 Millionen Impfdosen noch vertreten. Dieses Jahr war die Produktion für den deutschen Markt bei Seqirus jedoch null – zumindest für Afluria® und Berigripal® (Seqirus ist auch der Hersteller hinter Fluad®, einem adjuvantierten trivalenten Impfstoff, der für Personen ab 65 Jahren zugelassen ist. Dieser war verfügbar, beansprucht aber nur sehr geringe Marktanteile). Dass Afluria® und Berigripal® fehlen würden, wussten selbstverständlich auch die Wettbewerber und haben darauf mit eigener Mehrproduktion reagiert. Offenbar reichte diese nicht, doch Vorwürfe kann man den Grippeimpfstoffproduzenten deswegen noch lange nicht machen.

Jährlich wandern Millionen Impfdosen in die Tonne ...

Warum verzichtet der Hersteller Seqirus in diesem Winter auf das Grippegeschäft? Ist es vielleicht unrentabel? Seqirus nennt andere Gründe. „Wir haben nie einen hühnereibasierten Vierfach-Grippeimpfstoff entwickelt“, erklärt Seqirus hierzu. Dieser gilt seit 2018 als Standardgrippeschutz. Als tetravalente Varianten von Berigripal® und Afluria® zur Diskussion standen, sei „die strategische Entscheidung gefallen, direkt auf einen zellbasierten Impfstoff zu setzen und diesen künftig herzustellen“, so Seqirus im Gespräch mit DAZ.online. Diese Entwicklungen zu Seqiurs` zellbasierter Influenzavakzine sind mittlerweile auch recht weit gediehen: Im Oktober sprach der Humanarzneimittel-Ausschuss (CHMP) der Europäische Arzneimittel-Agentur EMA eine positive Empfehlung zur Zulassung in der EU aus, Seqirus erwartet diese noch im Dezember 2018. Das bedeutet für die Zukunft der Influenzavakzine: „Die nächste Saison sind wir mit Grippeimpfstoffen wieder im deutschen Markt“, ist Seqirus zuversichtlich.

... GSK und Sanofi erhöhten dennoch die Produktion 2018/19

Das bedeutet jedoch: GSK, Mylan und Sanofi-Pasteur haben in der Tat versucht, die fehlenden Seqirus-Vakzine zu kompensieren und tatsächlich dann auch mehr Impfstoffe produziert. Und das, obwohl  GSK „im vergangenen Jahr unverkaufte Mengen auf eigene Kosten entsorgen musste“, wie Dr. Anke Helten, Sprecherin des Vakzinherstellers, auf DAZ.online-Nachfrage erklärt. Das scheint korrekt. Im letzten Jahr hat das PEI 17,9 Millionen freigegeben, abgerechnet wurden deutlich weniger, nämlich rund 12,256 Millionen. Was heißt: Deutschland hatte in der vergangenen Saison tatsächlich Grippeimpfstoffe übrig, die in die Mülltonne gewandert sind.

2018/19 gab es – trotz des diesjährig geringeren Impfstoffvorrats – immer noch 3,6 Millionen mehr Grippevakzine, als letztes Jahr verimpft wurden. Und die vergangene Grippesaison stellt bezüglich der schlechten Impfquote mitnichten eine Ausnahme dar. Nun lässt sich nicht leugnen, dass im Laufe der letzten zehn Jahre die Produktion an Grippeimpfstoffen zurückgefahren wurde – und doch gab es in jedem Jahr immer noch mehr Grippeimpfstoff, als tatsächlich benötigt wurde.

Denn vergleicht man die in den vergangenen Grippesaisons vom PEI für Deutschland freigegebenen Grippeimpfdosen mit den tatsächlich applizierten, klafft alle Jahre wieder eine nicht unerhebliche Lücke:

Grippesaison Freigegebene Impfstoffe PEI (Mio) Abgabe Impfstoffe (Mio)
2012/13 17,1 14,317
2013/14 21,8 13,82
2014/15 17,5 13,517
2015/16 20,9 13,417
2016/17 16 13,639
2017/18 17,9 12,256
2018/19 15,7 Noch keine Daten
Quelle: IMS PharmaScope®Vaccine: Die Daten umfassen die Impfstoffabgaben der Apotheken für den GKV-Markt, Privatrezepte und Barverkäufe auf Basis der Abgaben der öffentlichen Apotheken. Datenbasis für den GKV-Markt sind von den Apothekenrechenzentren getätigte GKV-Abrechnungen. Der Anteil der Privatrezepte und Abgaben ohne Rezept werden auf Basis einer Stichprobe von rund 4.000 Apotheken erhoben. Zusätzlich werden die Aktivitäten von so genannten Impfstoffgroßhändlern berücksichtigt.

Am meisten Verwurf gab es in den letzten sechs Jahren in den Grippewintern 2013/14 mit 7,98 Millionen und 2015/16 mit 7,483 Millionen Impfdosen. Kann man den Grippeimpfstoffherstellern an dieser Stelle also tatsächlich diesbezüglich einen Vorwurf machen? Auch wenn Arzneimittel keine „gewöhnliche Ware“ sind und weder Apotheker noch pharmazeutische Unternehmer ausschließlich finanzielle Aspekte vor Augen haben sollten, so sind es dennoch Unternehmen, die eben auch wirtschaftlich agieren müssen.

Auch Ärzte und Apotheker müssen irgendwie wirtschaftlich agieren

In diese Schiene, auch irgendwie wirtschaftlich sinnvoll zu agieren, fällt auch die Vorbestellkultur bei Ärzten und Apotheken: Natürlich bergen Vorbestellungen auch für diese Heilberufler Risiken. Die Retourenregelungen sind meist nicht sehr entgegenkommend, denn wer kann noch etwas mit saisonalen Grippeimpfstoffen anfangen, wenn der Winter um ist. Im nächsten Jahr sind die Vakzine wieder anders zusammengesetzt. Wer auf Impfstoffen am Ende der Saison sitzen bleibt, macht finanzielle Verluste. Und da die Lukrativität mit 1 Euro Verdienst pro Grippeimpfstoff im Sprechstundenbedarf mehr als unattraktiv ist – wer kann zögerliche Vorbestellungen verübeln?

Welche Rolle spielen Vorbestellungen seitens der Apotheke überhaupt auf die tatsächlich produzierte Menge an Grippeimpfstoffen? Sind Vorbestellungen doch teilweise bis Mai möglich – an diesem Punkt ist jedoch die Antigenherstellung längst abgeschlossen. Und: Hat der G-BA schlicht getrödelt, seinen Beschluss pro Vierfach-Grippeschutz zu fassen? Warum also reichen die Influenzavakzine 2018/19 nicht? Das lesen Sie im zweiten Teil von „Wer ist Schuld am Grippeimpfstoffmangel?“



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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3 Kommentare

Impfstoffmangel?

von Susanne Wagner-Schröer am 14.12.2018 um 11:44 Uhr

Die Industrie mußte Impfstoff in die Tonne kippen??? Ich erinnere mich nicht, in den letzten 20 Jahren mal KEINEN Mangel an Impfstoff erlebt zu haben! Da kann es schwer sein, dass Impfstoff in die Tonne gekippt wurde.

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Grippeimpfstoff

von Dr. Gregor Huesmann am 14.12.2018 um 8:49 Uhr

Die Schuld am Mängel trägt eindeutig die Industrie. Ich ärgere mich seit Jahren, dass wir in den Apotheken Impfstoffe vorbestellen sollen. Hat ihr Bäcker sie schon mal gefragt, wie viele Brötchen sie im nächsten Jahr essen wollen? Es ist neunmal das Risiko, aber auch der Gewinn des Herstellers. Und dafür übernehme ich keine Verantwortung. Wir leben Gott sei Dank nicht mehr in einer Planwirtschaft.

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Grippeimpfstoff

von Peter Kaiser am 14.12.2018 um 8:25 Uhr

Trefflicher als Celine Müller von der DAZ kann man es nicht kommentieren!

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