Forschungsrückblick Teil 4

Neue Arzneimittel 2018: Gerinnung und Entzündung

Berlin - 29.12.2018, 10:00 Uhr

Bei der Blutgerinnung und dem Immmunsystem laufen viele Prozesse kaskadenartig ab. Die pharmakokogische Beeinflussung erfordert daher Augenmaß. ( r / Foto: imago)

Bei der Blutgerinnung und dem Immmunsystem laufen viele Prozesse kaskadenartig ab. Die pharmakokogische Beeinflussung erfordert daher Augenmaß. ( r / Foto: imago)


Was haben Blutgerinnung und Immunabwehr gemeinsam? Beide sind komplexe, störanfällige Systeme, die sich gemäß der Virchow-Trias sogar gegenseitig beeinflussen können. Außerdem bieten sie zahlreiche pharmakologische Angriffspunkte. Daher ist es nicht überraschend, dass unter den Neuentwicklungen von 2018 auch Arzneimittel gegen Gerinnungsstörungen und entzündliche Erkrankungen sind.

Der vierte Teil des DAZ.online-Forschungsrückblicks dreht sich um neue Immun- und Gerinnungs-Therapeutika. Nachdem in den vergangenen Jahren einige neue Antikoagulanzien auf den Markt kamen, bedienen zwei Neueinführungen in 2018 die „Gegenseite der Gerinnungsmedallie“ – Hämophilie. Während Antikoagulanzien patientenstarke Indikationen wie beispielsweise Vorhofflimmern bedienen, ist der Hämophiliemarkt mit etwa 6000 Betroffenen in Deutschland deutlich kleiner.

Für Neuentwicklungen sind die Betroffenen dennoch eine attraktive Zielgruppe, da sie lebenslang auf die Substitution des jeweils fehlenden Gerinnungsfaktors angewiesen sind. So benötigen Hämophilie-A-Patienten den Gerinnungsfaktor VIII, während es bei Hämophilie B an Faktor IX fehlt. Die beiden Neueinführungen Hemlibra® und Adynovi® sind für Patienten mit Hämophilie A bestimmt, die fünf bis sechsmal häufiger als Hämophilie B auftritt.

Länger wirksam durch Pegylierung

Bei Adynovi® (Rurioctocog alfa pegol) handelt es sich um einen modifizierten humanen Blutgerinnungsfaktor VIII, dessen Halbwertszeit durch Pegylierung verlängert ist. Ohne Modifizierung müssen Hämophilie-Patienten sich den Faktor VIII zur Routineprophylaxe etwa alle zwei bis drei Tage infundieren. Bei dem neuen Baxalta-Präparat genügen zwei Basisbehandlungen die Woche.

Für die Betroffenen ist die längere Wirkdauer eine Erleichterung. Diesen Wettbewerbsvorteil haben auch andere Hersteller erkannt, so wollen auch Bayer und Novo Nordisk pegylierte Gerinnungsfaktoren einführen. 2018 kam es in den USA zu patentrechtlichen Auseinandersetzungen zwischen Bayer und der Baxalta-Mutter Shire.

Hemlibra: Auch bei Hemmkörpern

Etwa jeder dritte Hämophilie A Patient bildet im Laufe der Behandlung Antikörper gegen den subsituierten Faktor VIII. Diese Komplikation wird Hemmkörper-Hämophilie genannt und steigert das Risiko für lebensbedrohliche Blutungen. Der Hemlibra®-Wirkstoff umgeht das Problem: Bei Emicizumab handelt es sich um einen biphasischen Antikörper, der gleichzeitig an Faktor IXa und X bindet und damit die Funktion von Faktor VIII imitiert.

Da sich Emicizumab strukturell von Faktor VIII unterscheidet, wird es nicht von Faktor VIII-Antikörpern neutralisiert. Hemlibra® wird einmal pro Woche injiziert, also noch seltener als Adynovi®. Eine Ausweitung der Indikation liegt für Hersteller Roche nahe. In den USA hat Hemlibra® den Breakthrough Status für die Behandlung der Hämophilie ohne Hemmkörper erhalten.

Cablivi: Klein, kleiner, Nanobody

Ebenfalls zu den seltenen Gerinnungsstörungen zählt mit einer Inzidenz von drei bis sieben Patienten auf eine Million Menschen die Thrombotische thrombozytopenische Purpura (TTP), die Indikation von Cablivi®. Bei der TTP ist der endotheliale von-Willebrand-Faktor pathologisch verändert, was zu einer überschießenden Plättchenaggregation in den Kapillaren führt. Die dadurch entstehenden Mikrothromben führen zu Organschädigungen.

Der Cablivi-Wirkstoff Caplacizumab ist ein humanisierter bivalenter Nanokörper, der die Interaktion zwischen von-Willebrand-Faktor und Thrombozyten hemmt und damit der Bildung von Mikrothromben entgegenwirkt. Nanokörper, auch Nanobodies genannt, sind Fragmente von Antikörpern, die aufgrund ihrer Größe auch in Bereiche vordringen, die vollständigen Antikörpern verwehrt sind. Das neue TTP-Präparat der Sanofi-Tochter Ablynx ist der erste zugelassene Nanobody in Europa.

Neue Antikörper bei Asthma und Schuppenflechte

Auch die beiden Neueinführungen Fasenra® und Ilumetri®, die sich gegen entzündliche Erkrankungen richten, sind Antikörper – in diesen Fällen handelt es sich um „vollständige“ Immunglobuline.

Fasenra® ist als Add-on-Therapie bei schwerem eosinophilen Asthma zugelassen, das trotz hochdosierter Corticosteroide und lang wirksamen Beta-Agonisten nicht kontrollierbar ist. Der Fasenra-Wirkstoff Benralizumab ist ein monoklonaler Antikörper gegen den IL-5-Rezeptor auf der Oberfläche eosinophiler Granulozyten.

Der Asthma-Antikörper von Astra Zeneca unterbindet die durch Interleukin-5 vermittelten Entzündungsreaktionen, die beim eosinophilen Asthma überreguliert sind. Auch wenn sich in Studien eine Reduktion von Exazerbationen gezeigt hat, sehen IQWIG und G-BA keinen belegten Zusatznutzen wegen Kritik am Studiendesign.

Tildrakizumab, der Wirkstoff von Ilumetri® ist ein selektiver Interleukin-23-Antikörper zum Einsatz bei Plaque-Psoriasis. Der Schuppenflechte-Antikörper von Alimrall ist bereits der zweite seiner Art, so wurde kurz zuvor bereits der selektive IL-23 Antikörper Guselkumab (Tremfya®) von Janssen in dieser Indikation zugelassen.

Das Target Interleukin-23 spielt eine Schlüsselrolle bei Schuppenflechte. Von seiner selektiven Inaktivierung erhofft man sich, die Entzündungskaskade auf einer frühen Stufe auszubremsen.

Bei Guselkumab ist der G-BA offenbar von diesem Wirkprinzip überzeugt und hat dem Janssen-Präparat einen beträchtlichen Zusatznutzen gegenüber Adalimumab zuerkannt. Das Nutzenbewertungsverfahren für Ilumetri® ist noch im Gange.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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