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Langsame Selbstverwaltung?
Spahn will selbst über neue Behandlungsmethoden entscheiden
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will künftig selbst entscheiden können, ob die Krankenkassen für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zahlen müssen. Eine Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums soll diese Methoden künftig bestimmen – Evidenz muss dafür nicht vorliegen. Ein erster Anwendungsfall könnte aus Spahns Sicht das Fettabsaugen bei Lipödemen sein. Der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses, Josef Hecken, spricht von einem „Schritt zurück ins medizinische Mittelalter“.
Am 16. Januar findet im Gesundheitsausschuss des Bundestags die öffentliche Anhörung zum Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) statt. Nun überrascht Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit einer Formulierungshilfe für einen Änderungsantrag, der erheblich an der Macht des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) kratzt. Dieses Selbstverwaltungsgremium ist gemeinhin zuständig, darüber zu befinden, welche neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden von den gesetzlichen Krankenkassen finanziert werden müssen.
Doch offenbar sieht Spahn hier Defizite – jedenfalls will er nun die Möglichkeit schaffen, dass das Bundesgesundheitsministerium (BMG) unabhängig von der Entscheidung des G-BA selbst festlegen kann, welche Methoden in den GKV-Leistungskatalog aufzunehmen sind. Geschehen soll dies über eine Rechtsverordnung, die nicht einmal der Zustimmung des Bundesrats bedarf – ein neuer § 94a SGB V soll hierfür die Ermächtigungsgrundlage sein. Dies soll auch gelten, wenn der G-BA bereits ablehnend über die Methode entschieden hat, „die Versorgungssituation unter Abwägung der Behandlungschancen und -risiken unter Berücksichtigung etwaiger zumutbarer Behandlungsalternativen aus Sicht des BMG jedoch die Aufnahme der Methode in den Leistungskatalog der GKV erfordert“ heißt es in der Begründung der Formulierungshilfe für den Änderungsantrag. Dass der Nutzen der Methode nach den Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin belegt ist, ist nicht nötig.
In der Antragsbegründung findet sich auch gleich ein Beispiel: Die Liposuktion bei Lipödem komme als Anwendungsfall in Betracht – das Fettabsaugen. Der G-BA hatte im Juli 2017 zur Liposuktion bei Lipödem festgestellt, dass zu dieser Methode keine ausreichende Evidenz für einen Nutzenbeleg vorliege, dass sie aber das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative biete. Und so zahlen die Kassen zur Behandlung von Lipödemen bisher nur für konventionelle Methoden wie die manuelle Lymphdrainage und Kompressionsbehandlung.
„Methodenbewertung super light“ – Kritik aus G-BA und SPD
Der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses, Prof. Josef Hecken, zeigt sich wenig begeistert von Spahns Vorstoß. „Der geplante neue § 94a SGB V kann nur als ‚Methodenbewertung super light‘ bezeichnet werden und ist ein Schritt zurück ins medizinische Mittelalter, denn er ersetzt in der Bundesrepublik Deutschland die mittlerweile sich weltweit sogar in Schwellenländern als Standard durchsetzende evidenzbasierte Medizin durch früher geltende Prinzipien der eminenzbasierten Medizin, die zu jahrhundertlangen Therapien mittels Aderlässen und anderen Anwendungen geführt haben.“
Hecken betont, dass Leistungen aus gutem Grund „zweckmäßig“ im Sinne des SGB V sein müssten. Diese Zweckmäßigkeit beinhalte nach ständiger Rechtsprechung und nach allen wissenschaftlichen Kriterien einen Wirksamkeitsnachweis, der zumindest ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis voraussetze. „Dies ist elementar zum Schutz der Patientinnen und Patienten vor unnützen oder gar schädlichen Behandlungsoptionen“. Verzichtet man auf diesen Nachweis, könne dies Patienten direkt gefährden. Zudem verstoße Spahns Idee gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot in der GKV. Dieses Grundprinzip werde durch den geplanten § 94a SGB V „auf dem Altar von Partikularinteressen einzelner Leistungserbringer oder Medizinproduktehersteller geopfert.“
Ablehnung bei SPD-Gesundheitspolitikern
Auch bei Koalitionspartner kommt Spahns Vorschlag nicht gut an. SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach erklärte: „Es wäre die grundsätzliche Abkehr vom Prinzip der gesetzlichen Krankenversicherung, dass die Selbstverwaltung nach evidenzbasierten Kriterien entscheidet, welche Leistungen erstattet werden. Es muss mehr wissenschaftliche Prüfung der Wirksamkeit von Verfahren geben, nicht weniger. Wenn künftig die Politik nach Gusto bestimmen würde, was bezahlt wird und was nicht, würde das Vertrauen der Versicherten in den medizinischen Nutzen der Leistungen der GKV ausgehöhlt.“
Und auch die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Sabine Dittmar, erklärte, sie kenne zwar die Situation der Betroffenen mit Lipödem und verstehe auch den Ärger über die teils langen Entscheidungsprozesse der Selbstverwaltung. „Es wäre aber der völlig falsche Weg, künftig per Ministererlass Methoden in die Regelversorgung bringen zu wollen, für die es keine hinreichende medizinische Evidenz gibt. Das würde nicht nur Haftungsfragen, sondern auch Fragen zur Patientensicherheit aufwerfen.“ Auch Dittmar findet, dass die Entscheidungen der Selbstverwaltungen schneller getroffen werden müssten – doch es könne „nicht ernsthaft gewollt sein, dass künftig Parallelstrukturen in einem Regierungsapparat losgelöst von wissenschaftlichen Prozessen und medizinischen Erkenntnissen über Behandlungsmethoden entscheiden“.
Es bleibt also abzuwarten, ob aus der Formulierungshilfe aus dem BMG wirklich ein Änderungsantrag für das TSVG erwächst.
2 Kommentare
Bitte um Sachlichkeit - es ist eine Krankheit - wichtige Info von einer Betroffenen
von Claudia Effertz am 11.01.2019 um 21:21 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort
AW: Bitte um Sachlichkeit - es ist eine
von Ayten am 15.01.2019 um 21:44 Uhr
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