Langsame Selbstverwaltung?

Spahn will selbst über neue Behandlungsmethoden entscheiden

Berlin - 11.01.2019, 15:15 Uhr

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will schneller sein als der G-BA und das Fettabsaugen zur Kassenleistung machen. (Foto: imago)

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will schneller sein als der G-BA und das Fettabsaugen zur Kassenleistung machen. (Foto: imago)


Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will künftig selbst entscheiden können, ob die Krankenkassen für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zahlen müssen. Eine Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums soll diese Methoden künftig bestimmen – Evidenz muss dafür nicht vorliegen. Ein erster Anwendungsfall könnte aus Spahns Sicht das Fettabsaugen bei Lipödemen sein. Der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses, Josef Hecken, spricht von einem „Schritt zurück ins medizinische Mittelalter“.

Am 16. Januar findet im Gesundheitsausschuss des Bundestags die öffentliche Anhörung zum Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) statt. Nun überrascht Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit einer Formulierungshilfe für einen Änderungsantrag, der erheblich an der Macht des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) kratzt. Dieses Selbstverwaltungsgremium ist gemeinhin zuständig, darüber zu befinden, welche neue  Untersuchungs- und Behandlungsmethoden von den gesetzlichen Krankenkassen finanziert werden müssen.

Doch offenbar sieht Spahn hier Defizite – jedenfalls will er nun die Möglichkeit schaffen, dass das Bundesgesundheitsministerium (BMG) unabhängig von der Entscheidung des G-BA selbst festlegen kann, welche Methoden in den GKV-Leistungskatalog aufzunehmen sind. Geschehen soll dies über eine Rechtsverordnung, die nicht einmal der Zustimmung des Bundesrats bedarf – ein neuer § 94a SGB V soll hierfür die Ermächtigungsgrundlage sein. Dies soll auch gelten, wenn der G-BA bereits ablehnend über die Methode entschieden hat, „die Versorgungssituation unter Abwägung der Behandlungschancen und -risiken unter Berücksichtigung etwaiger zumutbarer Behandlungsalternativen aus Sicht des BMG jedoch die Aufnahme der Methode in den Leistungskatalog der GKV erfordert“ heißt es in der Begründung der Formulierungshilfe für den Änderungsantrag. Dass der Nutzen der Methode nach den Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin belegt ist, ist nicht nötig.

In der Antragsbegründung findet sich auch gleich ein Beispiel: Die Liposuktion bei Lipödem komme als Anwendungsfall in Betracht – das Fettabsaugen. Der G-BA hatte im Juli 2017 zur Liposuktion bei Lipödem festgestellt, dass zu dieser Methode keine ausreichende Evidenz für einen Nutzenbeleg vorliege, dass sie aber das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative biete. Und so zahlen die Kassen zur Behandlung von Lipödemen bisher nur für konventionelle Methoden wie die manuelle Lymphdrainage und Kompressionsbehandlung. 

„Methodenbewertung super light“ – Kritik aus G-BA und SPD 

 Der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses, Prof. Josef Hecken, zeigt sich wenig begeistert von Spahns Vorstoß. „Der geplante neue § 94a SGB V kann nur als ‚Methodenbewertung super light‘ bezeichnet werden und ist ein Schritt zurück ins medizinische Mittelalter, denn er ersetzt in der Bundesrepublik Deutschland die mittlerweile sich weltweit sogar in Schwellenländern als Standard durchsetzende evidenzbasierte Medizin durch früher geltende Prinzipien der eminenzbasierten Medizin, die zu jahrhundertlangen Therapien mittels Aderlässen und anderen Anwendungen geführt haben.“

Hecken betont, dass Leistungen aus gutem Grund „zweckmäßig“ im Sinne des SGB V sein müssten. Diese Zweckmäßigkeit beinhalte nach ständiger Rechtsprechung und nach allen wissenschaftlichen Kriterien einen Wirksamkeitsnachweis, der zumindest ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis voraussetze. „Dies ist elementar zum Schutz der Patientinnen und Patienten vor unnützen oder gar schädlichen Behandlungsoptionen“. Verzichtet man auf diesen Nachweis, könne dies Patienten direkt gefährden. Zudem verstoße Spahns Idee gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot in der GKV. Dieses Grundprinzip werde durch den geplanten § 94a SGB V „auf dem Altar von Partikularinteressen einzelner Leistungserbringer oder Medizinproduktehersteller geopfert.“

Ablehnung bei SPD-Gesundheitspolitikern

Auch bei Koalitionspartner kommt Spahns Vorschlag nicht gut an. SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach erklärte: „Es wäre die grundsätzliche Abkehr vom Prinzip der gesetzlichen Krankenversicherung, dass die Selbstverwaltung nach evidenzbasierten Kriterien entscheidet, welche Leistungen erstattet werden. Es muss mehr wissenschaftliche Prüfung der Wirksamkeit von Verfahren geben, nicht weniger. Wenn künftig die Politik nach Gusto bestimmen würde, was bezahlt wird und was nicht, würde das Vertrauen der Versicherten in den medizinischen Nutzen der Leistungen der GKV ausgehöhlt.“

Und auch die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Sabine Dittmar, erklärte, sie kenne zwar die Situation der Betroffenen mit Lipödem und verstehe auch den Ärger über die teils langen Entscheidungsprozesse der Selbstverwaltung. „Es wäre aber der völlig falsche Weg, künftig per Ministererlass Methoden in die Regelversorgung bringen zu wollen, für die es keine hinreichende medizinische Evidenz gibt. Das würde nicht nur Haftungsfragen, sondern auch Fragen zur Patientensicherheit aufwerfen.“ Auch Dittmar findet, dass die Entscheidungen der Selbstverwaltungen schneller getroffen werden müssten – doch es könne „nicht ernsthaft gewollt sein, dass künftig Parallelstrukturen in einem Regierungsapparat losgelöst von wissenschaftlichen Prozessen und medizinischen Erkenntnissen über Behandlungsmethoden entscheiden“.

Es bleibt also abzuwarten, ob aus der Formulierungshilfe aus dem BMG wirklich ein Änderungsantrag für das TSVG erwächst.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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2 Kommentare

Bitte um Sachlichkeit - es ist eine Krankheit - wichtige Info von einer Betroffenen

von Claudia Effertz am 11.01.2019 um 21:21 Uhr

SICHT UND NOT DER BETROFFENEN FRAUEN UND IHRER FAMILIEN
Es ist eine -vermutlich durch Gen-Defekt- bei Hormonschüben (typisch Pubertät, Schwangerschaft oder Wechseljahre) ausgelöste und leider weitestgehend unerforschte Krankheit, für die KEINE BETROFFENE etwas kann…
es liegt dummerweise leider in den Genen jeder 10. Frau...Männer können es nicht bekommen, sind aber Träger der Gene…
und bricht es einmal aus, ist es kaum zu stoppen…
und schon garnicht mit den konventionellen Methoden (Lymph-Drainage und das Tragen einer dicken und sehr unangenehmen Kompression - im schlimmsten Fall an Armen UND Beinen - idR 12-16 Stunden und wenn es einen ganz übel erwischt, auch noch nachts…
außerdem in der Regel Dauerschmerzen wie Weichteil-Rheuma, ebenfalls kaum beeinflussbar
also KEIN SPASS, KEIN "ICH WILL BISSCHEN SCHÖNER WERDEN" SONDERN EIN "ICH MÖCHTE EIN BISSCHEN AM LEBEN TEILNEHMEN KÖNNEN"
Ich verstehe, das die blöden und sehr missverständlichen Überschriften der Berichterstattung das in ein ungünstiges Licht setzen,
WERDE ABER NICHT AUFHÖREN; DIE FAKTEN ZU BENENNEN und wüsche nichtmal meinem ärgsten Feind, das er dieses Leben leben muß...und da bin ich noch nicht einmal beim Hochsommer, sondern im ganz normalen Leben.


Für alle, die nicht betroffen sind, einige wichtige Fakten, die der G-BA Artikel und die meiste der aktuellen Berichterstattung leider einfach „auslässt“
Durch das langwierige Verfahren sind seit über einem Jahr und für weitere Jahre Einzelfall-Entscheidungen NICHT mehr möglich und in dieser Zeit schreitet der Krankheitsverlauf weiter fort und es entsteht zahlreiche Sekundär-Erkrankungen
Die viel zitierten anerkannten konventionellen „Alternative-Behandlungen“ sind meist maximal zur Schmerzminderung, halten weitere Verschlechterungen seltenst auch nur auf und belasten die Allgemeinheit mit höheren Kosten als die Liposuktion.
Außerdem müssen die meisten Betroffenen auch hierfür kämpfen oder bekommen diese Hilfen NICHT
Der Zeitaufwand, das alles zu bewerkstelligen, liegt bei 2-3 Stunden pro Tag (und das oft mit mehreren Kinder, pflegebedürftigen Eltern, Berufstätigkeit…dem ganz normalen Leben eben :-)
Viele der Betroffenen werden Berufs- und Erwerbsunfähig, von den psychischen Belastungen der Betroffenen durch die Stigmatisierung, Schmerzen und Einschränkungen, mit massiven Auswirkungen auch auf Partner, Familien und vor allem der Kinder ganz zu schweigen .....

Wenn schon Fakten benennen wollen, DANN BITTE VOLLSTÄNDIG LIEBER G-BA, liebe JournalistInnen und liebe PolitikerInnen

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Bitte um Sachlichkeit - es ist eine

von Ayten am 15.01.2019 um 21:44 Uhr

Wow besser kann man das nicht erklären!!! Bei mir leider schon Folgeschäden eingetreten! Ich bin ein Wrack. Mich kann die Gesellschaft nicht mehr brauchen mit erst einmal 40. Eine vor 10 Jahren bezahlte OP wäre meine Rettung gewesen. Das Geld für die Op hatte ich leider nicht.
Trotzdem besteht nich Hoffnung ... langsam wieder zurück zu leben. Bitte helfen Sie uns, glauben Sie uns doch einfach
Danke lieber Herr Spahn !!!!!!

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