Forschung

Smartphone-App warnt vor Opioid-Überdosierungen

Berlin - 14.01.2019, 10:15 Uhr

Opioidsüchtige konsumieren häufig alleine. Wer ist da, wenn`s zuviel war? US-Forscher haben eine App entwickelt, die bei Atemdepressionen Alarm schlagen kann. (s / Foto: Imago)

Opioidsüchtige konsumieren häufig alleine. Wer ist da, wenn`s zuviel war? US-Forscher haben eine App entwickelt, die bei Atemdepressionen Alarm schlagen kann. (s / Foto: Imago)


Opioide können durch Atemdepression töten. Naloxon kann nur dann Leben retten, wenn es rechtzeitig verabreicht wird. US-Forscher aus Seattle haben eine App entwickelt, die auf Ultraschallbasis eine kritische Verlangsamung der Atmung erkennen und Hilferufe senden kann.

„Die Dosis macht das Gift“ – auf kaum eine andere Substanzgruppe passt der Paracelsus-Spruch so gut, wie auf die Opioide. Die hochwirksamen Betäubungsmittel können Schmerzpatienten etwas Lebensqualität zurückgeben. Als illegal konsumierte Suchtstoffe macht die Substanzklasse derzeit vor allem in den USA Schlagzeilen.

Amerikanische Forscher haben eine App entwickelt, die vor Opioid-Vergiftungen warnen kann. Die Wissenschaftler aus Seattle haben die Ergebnisse einer Proof-of-Concept-Studie am vergangenen Mittwoch im Journal Science Translational Medicine veröffentlicht.

App wertet Atmung aus

Die Smartphone-Applikation, die ursprünglich zur Erkennung von Schlafapnoen entwickelt wurde, kann Veränderungen der Atemfrequenz erkennen. Denn Opioide verursachen als potenziell tödliche, dosisabhängige Nebenwirkung eine Atemdepression, die sowohl Konsumenten als auch Patienten treffen kann. Die Gefahr liegt vor allem darin, dass Opioide schnell zur Toleranz führen, weshalb sowohl für die Analgesie als auch für die Rauschwirkung mit der Zeit höhere Dosen benötigt werden.

Der Opioid-Antagonist Naloxon kann die Opioid-Wirkung zwar schnell aufheben und steht inzwischen auch als Nasenspray zur Verfügung. Aber nur dann, wenn das Gegenmittel griffbereit ist und rechtzeitig verabreicht wird, rettet es Leben. Insbesondere Drogenabhängige, die höhere Mengen konsumieren, sind gefährdet, weil die Atemdepression häufig unbemerkt bleibt. Ein Frühwarnsystem könnte daher viele Leben retten.

Maximal ein Meter Abstand zum Handy

Die App von Gollakota und Kollegen sendet Ultraschallwellen aus und erkennt Veränderungen der Atmung. Dazu muss das Smartphone allerdings maximal einen Meter entfernt vom Betroffenen aufbewahrt werden. Befinden sich mehrere Personen in der Nähe, ist das anscheinend kein Problem. Denn die Applikation soll individuelle Atemmuster erkennen und unterscheiden können.

Atemdepression bei 90 Prozent erkannt

Die Forscher haben die Funktionsweise bei 209 Drogenkonsumenten überprüft, die sich Opioide in einem überwachten Druckraum verabreichten. Eine zweite Testreihe wurde mit 20 Patienten, die wegen einer Operation eine Vollnarkose erhielten, durchgeführt. Während der Anästhesie verlangsamt sich die Atmung, was die Auswirkungen einer Überdosis simuliert.   

Die App erkannte bei den Konsumenten die Atemdepression in rund 90 Prozent der Fälle. Die Trefferquote bei Apnoen lag bei knapp 100 Prozent. Bei den OP-Patienten schlug die Technologie bei 19 von 20 simulierten Überdosisereignissen rechtzeitig Alarm.

Ausblick: Hilferufe an Angehörige und Rettungskräfte

Die Autoren bezeichnen die Ergebnisse als „ermutigend“. Sie schlagen vor, die App mit Benachrichtigungsfunktionen an Familien, enge Freunde oder Rettungsdiensten auszustatten. Denn nur dann können die Betroffenen das Naloxon im Notfall auch rechtzeitig bekommen. Dazu müssten die Konsumenten ihr Handy ständig mit sich führen und eine gewisse Einschränkung ihrer Privatsphäre akzeptieren.

Die sogenannte Opioid-Epidemie forderte 2017 in den USA rund 72.000  Todesopfer. Knapp die Hälfte der Drogentoten konsumierten Fentanyl-Derivate. Ob Deutschland eine ähnliche Opioid-Krise droht, wird unter Schmerz- und Suchtexperten kontrovers diskutiert. Statistiken zufolge werden in der Bundesrepublik pro Jahr mehr als 400 Millionen Tagesdosen Opioid-Analgetika verschrieben.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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