Revision beim BGH

Betroffene verlangen Mordprozess gegen Zyto-Apotheker Peter S.

Karlsruhe - 23.01.2019, 09:00 Uhr

Der Prozess gegen den Bottroper Zyto-Apotheker Peter S. wird
in den nächsten Monaten zum Bundesgerichtshof (BGH) gehen. (j/Foto: imago)

Der Prozess gegen den Bottroper Zyto-Apotheker Peter S. wird in den nächsten Monaten zum Bundesgerichtshof (BGH) gehen. (j/Foto: imago)


Der Skandal um unterdosierte Krebsmittel wird in diesem Jahr ein Fall für den Bundesgerichtshof. In ihrer Revision thematisiert die Staatsanwaltschaft Fragen, die für fast alle Apotheker spannend werden dürften. Patienten des Apothekers wollen vor dem obersten Gericht erreichen, dass Apotheker S. wegen Mordes verurteilt wird.

Der Prozess gegen den Bottroper Zyto-Apotheker Peter S. wird in den nächsten Monaten zum Bundesgerichtshof (BGH) gehen: Im Juli 2018 wurde er vom Landgericht Essen zu zwölf Jahren Haft verurteilt, nun begründen die Prozessbeteiligten ihre Revisionen. Die Verteidigung hatte erhebliche Rechtsfehler im erstinstanzlichen Prozess moniert, etwa die Besetzung eines Schöffen – und einen kompletten Neustart des Verfahrens verlangt. Beim Landgericht hatten sie erfolglos auf Freispruch plädiert.

Die Staatsanwaltschaft erklärt in ihrer DAZ.online vorliegenden Revisionsbegründung, die Haftstrafe sei in ihrer Dauer zwar akzeptabel, das verhängte lebenslange Berufsverbot sei „einzig vertretbar“. Doch das Landgericht hatte den Schaden auf nur 17 Millionen Euro geschätzt und die Einziehung eines entsprechenden Wertersatzbetrags erkannt, während die Anklage von gut 56 Millionen Euro ausgegangen war. Der Unterschied liegt darin begründet, dass laut Staatsanwaltschaft im angeklagten Zeitraum rund 62.000 problematische Arzneimittel hergestellt wurden: Schon aufgrund von Hygiene- und Dokumentationsmängeln hatte sie alle im Zyto-Labor produzierten Rezepturen als mangelhaft angesehen und deren Abrechnung bei den Krankenkassen als Betrug gewertet.

Das Gericht hatte in seinem Urteil argumentiert, dass in den Arzneimitteln keine Kontaminationen nachgewiesen wurden – daher ging es nur von gut 14.000 Rezepturen aus, die aufgrund von Unterdosierungen mangelhaft seien. „Die Urteilsfeststellungen erlauben den Rückschluss, dass der Angeklagte über die Unterdosierungsfälle hinaus konkludent vorgetäuscht hat, rechtliche Vorgaben eingehalten zu haben, bei denen dies in Wahrheit nicht der Fall war“, erklärt die Staatsanwaltschaft: So habe S. das Reinraumlabor häufig in Straßenkleidung betreten und ohne Schutzkleidung gearbeitet, was gegen die Apothekenbetriebsordnung verstößt. Außerdem habe er teilweise gegen das Vieraugenprinzip verstoßen.

Wirkliche Freigabe oder nur ein „Durchwinken“?

Außerdem kritisiert die Staatsanwaltschaft, dass die Richter S. bezüglich versuchter Körperverletzung mit dutzenden Krebsmitteln freigesprochen haben, die am Tag der Verhaftung sichergestellt wurden und laut Analysen deutlich unterdosiert waren. Die Richter hatten argumentiert, dass die in Koffern und Kühlschränken lagernden Zubereitungen noch nicht von S. freigegeben worden seien. „Der Angeklagte hätte bezüglich dieser letztlich sichergestellten Präparate auch wegen der Tatmodalität des lnverkehrbringens verurteilt werden müssen“, erklärt die Staatsanwaltschaft.

Zwar hätte für ihn die theoretische Möglichkeit bestanden, Rezepturen zu entnehmen und neu herzustellen oder auszutauschen – dennoch hat er laut Staatsanwaltschaft unmittelbar zur Tat angesetzt. Ihrer Ansicht nach handele es sich um ein tägliches „Durchwinken“: Auch laut Apothekenbetriebsordnung sei bei parenteralen Zubereitungen die Fertigstellung des Herstellungsprotokolls als Freigabe zu verstehen. Anders als das Gericht sieht die Anklage außerdem ein generelles besonderes öffentliches Interesse an der Verurteilung wegen Körperverletzungsdelikten.

Peter S. soll wegen Morddelikten verurteilt werden

Auch frühere Krebspatienten des Apothekers beziehungsweise ihre Angehörigen argumentieren, dass bei der „Freigabe“ nur geprüft worden sei, ob sich in den Koffern und Kühlboxen alle bestellten Therapien befanden – und nicht die Qualität. Anders als die Staatsanwaltschaft fordern sie jedoch die Verurteilung wegen Mordes oder versuchten Mordes – so Anwalt Juri Rogner, der eine Betroffene vertritt, deren sichergestelltes Krebsmittel einen Mindergehalt von 89,1 Prozent aufgewiesen hatte.

Als Apotheker habe S. sehr gut gewusst, dass gerade die von ihm herzustellenden Krebstherapien geeignet und erforderlich sind, die Lebensdauer eines jeden Patienten zu verlängern. „Der Angeklagte handelte dabei mit bedingtem Tötungsvorsatz“, argumentiert Rogner. Ähnlich sieht dies auch Nebenklagevertreter Khubaib Ali Mohammed. Er kritisiert, dass die Richter es unterlassen hätten, Tatsachen aufzuklären, die den Nachweis der Kausalität in Bezug auf die Verwirklichung von Tötungsdelikten ermöglicht hätten: Das Gericht hätte untersuchen müssen, ob die Patienten von S. im Mittel früher versterben als eine Vergleichsgruppe – ob also ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit besteht, dass ein früherer Tod auf die Abgabe von unterdosierten Krebsmitteln zurückzuführen ist.

Kausalität sei nachweisbar

Die Juristin Frauke Rostalski von der Uni Köln erstellte hierzu ein Rechtsgutachten. Auf Basis der Therapieprotokolle wäre es dem Landgericht Essen möglich gewesen, diesen statistischen Vergleich zu machen, argumentiert sie. „Die Kammer konnte nicht feststellen, dass ein konkreter Patient, dem eine unterdosierte Zubereitung verabreicht wurde, aufgrund der Unterdosierung verstarb oder sich aufgrund der Unterdosierung sein Leben verkürzte oder er in Lebensgefahr geriet“, heißt es hingegen nur knapp im Urteil. „Selbst wenn sich die Lebensverlängerung des Betroffenen lediglich auf wenige Tage oder gar nur Stunden bezieht, genügt das Vorenthalten dieser Lebenszeit durch einen anderen, um Tötungsunrecht zu begründen, sofern dieser eine entsprechende Garanten- bzw. Sonderverantwortlichkeit innehat“, argumentiert Rostalski.

Auch stehe der Annahme eines Kausalitätsnachweises nicht entgegen, dass unklar ist, wessen Leben durch die Abgabe unterdosierter Krebsmittel verkürzt wurde: Es genüge der Beweis, dass ein Leben verkürzt wurde, erklärt die Juristin – es müsse kein konkretes Opfer benannt werden. Dies ist ohnehin schwierig, da unklar bleibt, welche Patienten unterdosierte und welche korrekt dosierte Mittel bekommen haben. Ihrer Ansicht nach muss S. wegen versuchten Mordes verurteilt werden.

Der Apotheker sei sehr gut informiert gewesen

Der Nebenklagevertreter Markus Goldbach argumentiert, dass S. sehr wohl klar gewesen sei, dass Unterdosierungen den Patienten schaden. Nach einer früheren Anzeige wegen Unterdosierungen hatte der Anwalt des Apothekers vor rund fünf Jahren erklärt, dass die lebensverkürzenden Auswirkungen einer Verdünnung von Therapien bekannt seien und er aus diesem Grund niemals eine solche Handlung vornehmen würde. „Sehen Sie mir die etwas pietätlose Ausdrucksweise nach, aber je früher ein Patient stirbt, desto weniger verdient mein Mandant an diesem Patienten“, schrieb der Anwalt damals. „Und genau das würde ja passieren, wenn man ihm nicht die erforderliche Dosis verabreicht.“ Auch laut einer Zeugin hat S. von gigantischen Fortschritten in der Krebstherapie berichtet. Auch habe der Apotheker etwa die DAZ gelesen und sei gut informiert gewesen.

Der Anwalt Sebastian Bessler will über den Bundesgerichtshof außerdem erreichen, dass die von dem Skandal Betroffenen vor Gericht gehört werden – das Landgericht hatte dies abgelehnt. „Eine Vernehmung dieser Zeugen ist dringend geboten“, erklärt er. „Als unmittelbare Opfer der bereits angeklagten Taten ist Ihre Vernehmung schon aus Aufklärungsgesichtspunkten unabdingbar.“ Ein Strafverfahren, bei dem das Opfer der Straftat nicht gehört wird, verletzt „von Hause aus" schon die Aufklärungspflicht des Gerichts.

Nebenklagevertreter Andreas Schulz glaubt, dass der BGH das erstinstanzliche Urteil schon in wenigen Monaten aufheben werde – die Strafkammer habe zu viele Fehler bei der Verhandlungsführung gemacht und den Apotheker zu schnell verurteilt. „Dies rächt sich und wird zur Urteilsaufhebung führen“, sagt er gegenüber DAZ.online.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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