Kritik an Datenbasis

Pille und Suizid: Frauenärzte sehen keinen Kausalzusammenhang

Stuttgart - 28.01.2019, 15:45 Uhr

In der Packungsbeilage der Pille findet sich künftig ein Warnhinweis, dass hormonelle
Kontrazeptiva mit Suizid als mögliche Folge einer
Depression in Zusammenhang stehen können. (m / Foto: MarkusL
/ stock.adobe.com)

In der Packungsbeilage der Pille findet sich künftig ein Warnhinweis, dass hormonelle Kontrazeptiva mit Suizid als mögliche Folge einer Depression in Zusammenhang stehen können. (m / Foto: MarkusL / stock.adobe.com)


Vergangene Woche wiesen die Zulassungsinhaber hormoneller Kontrazeptiva in einem Rote-Hand-Brief darauf hin, dass hormonelle Kontrazeptiva einen neuen Warnhinweis zu Suizidalität als mögliche Folge einer Depression erhalten sollen. Frauenärzteverbände üben nun heftige Kritik an der Interpretation der zugrundeliegenden Datenbasis.

„Depressive Verstimmung und Depression stellen bei der Anwendung hormoneller Kontrazeptiva allgemein bekannte Nebenwirkungen dar. Depressionen können schwerwiegend sein und sind ein allgemein bekannter Risikofaktor für suizidales Verhalten und Suizid.“ Dieser Hinweis findet sich künftig in den Fachinformationen hormoneller Kontrazeptiva, in der Packungsbeilage steht eine analoge Formulierung. Die Hersteller haben vor kurzem per Rote-Hand-Brief darüber informiert. Die Anweisung des BfArM, dies aufzunehmen, basiert auf einem Warnhinweis der EMA aus dem vergangenen Jahr, die ein Signalverfahren zu hormonellen Kontrazeptiva durchgeführt hatte. 

Aufgrund von Meldungen war das Auftreten von Suizid und Suizidversuchen während der Anwendung hormoneller Kontrazeptiva untersucht worden. Dazu wurden Daten einer prospektiven dänischen Kohortenstudie (basierend auf nationalen dänischen Gesundheitsregistern) ausgewertet. Sie schloss 475.802 Frauen ab dem Alter von 15 Jahren ein.

Frauenärzte: „Diese Studien sind wertlos.“

An dieser Datenbasis und dem daraus resultierenden Warnhinweis üben nun der Berufsverband der Frauenärzte und die Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe heftige Kritik. „Diese dänischen Studien haben so erhebliche methodische Fehler, dass sie wertlos sind“, erläutern die Präsidenten der Fachverbände, Dr. med. Christian Albring und Prof. Dr. med. Anton Scharl, die zudem gemeinsam Präsidenten des German Board and College of Obstetrics and Gynecology (GBCOG) sind. 

Was kritisieren die Frauenärzte?

Unter anderem kritisieren die Mediziner, dass in der Studie junge Mädchen und Frauen mit gesicherten, regelmäßigen Arztkontakten, nämlich um sich die Pille verschreiben zu lassen, mit solchen verglichen wurden, bei denen nichts über mögliche Arztbesuche bekannt war. Somit könne es sein, dass in dieser Gruppe zwar Depressionen vorhanden, die Diagnose aber nicht gestellt wurde, erklären sie. Zudem ignorierten beide Studien, dass die Verwendung hormoneller Verhütungsmittel einen grundlegenden biographischen Einschnitt für junge Mädchen und Frauen darstelle und vielfach den Beginn eines konfliktreichen Lebensabschnitts markiere. Der Beginn der sexuell aktiven Zeit sei als wesentlicher Auslöser für depressive Episoden bekannt, schreiben sie in ihrer Stellungnahme.

Scharl: Richtige Pille kann bei depressiver Verstimmung hilfreich sein

Albrings Meinung nach beschreiben die Zahlen aus den beiden dänischen Studien einen zeitlichen Zusammenhang, aber mehr auch nicht. „Um die Frage zu beantworten, ob ein Arzneimittel bestimmte Nebenwirkungen hervorruft, und um dabei zufällige Zusammenhänge auszuschließen, muss man aufwändige, am besten doppelblinde Studien durchführen“, erläutert Scharl. In solchen Studien, die es auch für hormonelle Verhütungsmittel durchaus gibt, seien bisher widersprüchliche Ergebnisse gefunden worden, sowohl positive als auch negative Veränderungen. Man habe aber auch zeigen können, dass sich vor allem Frauen, bei denen bereits vor der Behandlung eine depressive Verstimmung oder ein starkes prämenstruelles Syndrom vorhanden war, die psychischen Symptome verstärken konnten – andererseits aber könne eine geeignete hormonelle Verhütung bei schwerem prämenstruellem Dysphorie-Syndrom auch hilfreich sein.

„Es gibt sehr unterschiedliche hormonelle Verhütungsmittel mit Wirkstoffen, die sehr unterschiedlich auf die Psyche wirken können“, wie Prof. Dr. med. Diethelm Wallwiener, Sprecher des GBCOG, zusammenfassend betont. Beobachte ein Mädchen oder eine Frau unter einer bestimmten Art der Verhütung Stimmungsveränderungen, sollte sie das mit ihrem Frauenarzt besprechen, so dass eine andere, möglichst ebenso zuverlässige Verhütung gefunden werden könne.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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1 Kommentar

Was sagen die Arzneimittelfachleute: Kausalzusammenhang ja oder nein?

von Beate Kirk am 29.01.2019 um 16:28 Uhr

Das Engagement der Verbände der Frauenärzte und Gynäkologinnen, die Sinnhaftigkeit der Ergänzung der Gebrauchsanweisungen hormoneller Kontrazeptiva durch eine Warnung in Sachen erhöhte Suizidalität in Frage zu stellen, ist meiner Meinung nach sehr aufschlussreich. Es würde mich freuen, die Meinung von Arzneimittelfachleuten, also Apothekern und Pharmazeutinnen, aus Praxis und Wissenschaft zu erfahren. Ich selbst bin überzeugt, dass das Bundesinsttut für Arzneimittel und Medizinprodukte stichhaltige Gründe hat - sonst wäre die Entscheidung zur Ergänzung der Gebrauchsanweisungen hormoneller Kontrazeptiva durch einen Hinweis auf die erhöhte Suizidalität juristisch sehr leicht angreifbar, und die Pharmazeutischen Unternehmen würden nicht mitziehen, was sie - sicher aus gutem Grund - tun. Indes vermisse ich bisher eine Stellungnahme der Arzneimittelkommission der Dt. Apotheker, der ABDA oder von Pharmazeutischen Fachgesellschaften welcher Art auch immer. Halten sich die Apotheker da lieber raus? Das wäre ein fatales Signal. Apotheker sind doch laut "ABDA-Dauerberieselung" die ArzneimittelexpertInnen per se. Die Pressemitteilung der Frauenärzteverbände sollte meiner Meinung nach durch Apothekergremien oder Pharmazeutische Fachgesellschaften kommentiert werden.

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