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Neue EU-Gesetzgebung
Apotheken-Whistleblower Martin Porwoll schreibt an Bundesjustizministerin
Auf EU-Ebene soll die Gesetzgebung für Whistleblower verändert werden. Der frühere kaufmännische Leiter der Bottroper Zyto-Apotheke Martin Porwoll zeigt sich entsetzt – denn seiner Einschätzung nach würden es Whistleblowern wie ihm durch die Pläne erschwert werden, Missstände an die Öffentlichkeit zu bringen.
Der Bottroper Kaufmann Martin Porwoll hat die Vergehen seines früheren Chefs – der Zyto-Apotheker Peter S. – zur Anzeige gebracht und so mit dafür gesorgt, dass der Pharmazeut nun nach erstinstanzlichem Urteil für zwölf Jahre im Gefängnis sitzt. Porwoll ist ein Whistleblower, und wie viele Hinweisgeber hat er einen hohen Preis bezahlt: Seine Glaubwürdigkeit wurde lange angezweifelt, er verlor seinen Job. Dennoch sind Ermittler auf Menschen wie Porwoll angewiesen; gerade bei Wirtschaftskriminalität haben die Fahnder sonst kaum eine Chance. Unter welchen Umständen Whistleblower „singen“ dürfen, ist jetzt auch Thema auf EU-Ebene – und könnte entscheidend dafür sein, ob Verbrechen künftig ans Licht kommen oder weiter vertuscht werden.
Unter den rund 100 Mitarbeitern in der Bottroper Apotheke gab es schon länger Gerüchte, dass S. Krebsmittel unterdosiert hatte. Da Porwoll Zugang sowohl zu den Einkaufsunterlagen als auch zu den Abrechnungsdaten hatte, wurde ihm schnell klar: Da stimmt etwas nicht. „Wenn ich eine Rechnung in meinem Leben eine Million Mal nachgerechnet habe, dann diese“, erzählt der studierte Volkswirt. Doch am Ende war er sich so sicher, dass er eine Anzeige wagte – und damit das „externe Whistleblowing“ betrieb. Das ist juristisches Glatteis, denn als Arbeitnehmer hat man nicht nur Loyalitätspflichten, sondern darf auch keine Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse verraten.
Neue EU-Richtlinie geplant
Damit es endlich klare Regelungen gibt, will Brüssel nun einen Rahmen vorgeben. Über den Inhalt der EU-Richtlinie wurde kräftig gerungen: Im Kern ging es um die Frage, ob sich Hinweisgeber zuerst an Stellen innerhalb ihres Unternehmens oder ihrer Behörde wenden müssen und erst nach einer mehrmonatigen Wartefrist Strafverfolgungs- oder Aufsichtsbehörden informieren dürfen.
Für Whistleblower wie Porwoll ist diese „Stufenfolge“ inakzeptabel. Zumal je nach Studie ohnehin um die 90 Prozent aller Hinweisgeber versuchen, zunächst intern für Abhilfe zu sorgen. Und der Rest hat oft gute Gründe, nicht auf die Aufklärung durch seine Vorgesetzten zu vertrauen. „Dass jeder interne Whistleblower zwangsläufig Adressat von Vergeltung wird, kann man anhand der Daten nicht sagen“, erläutert der auf das Thema spezialisierte Jurist Nico Herold von der Ludwig-Maximilians-Universität München. „Aber das Risiko besteht immer, und es steigt mit der Art und dem Ausmaß des Missstandes, speziell wenn es strukturelle oder systemische Verfehlungen sind. Und es steigt, je länger man intern am Ball bleibt.“ Die Folge: Der in die Enge getriebene Mitarbeiter wendet sich irgendwann nach außen.
Aufforderung an Justizministerin: „Lassen Sie das nicht zu“
Um noch etwas an den EU-Plänen zu ändern, hat Porwoll sich Ende letzter Woche mit Kollegen vom deutschen Whistleblower-Netzwerk an Bundesjustizministerin Katarina Barley gewandt. „Schützen Sie Whistleblower effektiv im Interesse von Demokratie und Menschenrechten“, heißt es in dem offenen Brief. „Es liegt in den kommenden Tagen in Ihrer Hand zu entscheiden, ob Sie eine Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern oder vor Whistleblowern auf den Weg bringen wollen.“
Die Unterzeichner zitieren den Publizisten Kurt Tucholsky: „Denn nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein“, schreiben sie.
„Die höchste Hürde für öffentliche Aufklärung"
Das von der EU geplante „abgestufte Meldeverfahren“ mache das empirisch unbegründete Misstrauen deutlich, das allen Hinweisgebern gegenüber in Wirtschaft und Behörden vorherrscht. „Letztlich soll dieser erzwungene Meldeweg deren Erstzugriff auf brisante Informationen sicherstellen“, heißt es in dem Brief. Unter dem Vorwand möglicher „unlauterer“ Motive aller Whistleblower schaffe er die höchste Hürde für öffentliche Aufklärung. „Die grundsätzliche Annahme über die Motivlage der HinweisgeberInnen ist deren Schädigungsabsicht“, kritisieren Porwoll und die anderen Unterzeichner. „Wollte ich, Martin Porwoll, einen ehrbaren Bottroper Apotheker schädigen oder Krebspatientinnen vor Krankheit, Elend und Tod bewahren?“, fragt er.
Schon der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte schreibe in seiner ständigen Rechtsprechung ein Stufenmodell der internen-externen Meldewege aus gutem menschenrechtlichen Grund nicht vor. „Sehr geehrte Frau Bundesministerin Barley: Lassen Sie das nicht zu“, schreibt der frühere Apotheken-Mitarbeiter Porwoll.
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