Alarmierende Infektionsforschung

Forscher „kartieren“ antibiotikaresistente Bakterien in Europa

Remagen - 08.03.2019, 11:30 Uhr

Antibiotika-Resistenzen sind einer neuen Studie zufolge zwar ein europaweites Problem, Präventions- und Kontrollstrategien müssten aber auf jedes Land einzeln zugeschnitten werden. (m / Foto: jarun011 / stock.adobe.com)

Antibiotika-Resistenzen sind einer neuen Studie zufolge zwar ein europaweites Problem, Präventions- und Kontrollstrategien müssten aber auf jedes Land einzeln zugeschnitten werden. (m / Foto: jarun011 / stock.adobe.com)


Der Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen gehört zu den größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Ein Problem dabei ist, dass ihre Inzidenz und die damit verbundenen Komplikationen sowie die Sterblichkeit schwer abschätzbar sind. Nun gibt es neue Daten für ganz Europa – diese sind alarmierend.

Eine Forschergruppe um Allessandro Cassini vom Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) in Solna bei Stockholm hat sich einer großen Herausforderung gestellt. Sie hat versucht, die Krankheitslast durch resistente Keime in den Ländern der EU und des Europäischen Wirtschaftsraums (EU/EEA) genauer zu analysieren. Die Basis für ihre Untersuchung bildeten Daten aus dem European Antimicrobial Resistance Surveillance Network (EARS-Net) für das Jahr 2015. Erstmals reflektieren die Wissenschaftler die Belastung für die Gesundheit durch Infektionen mit antibiotikaresistenten Bakterien auch über den Parameter der Disability-adjusted life-years (DALY). 

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Gefährlich resistent

Der DALY erfasst nicht nur die Sterblichkeit, sondern auch die Beeinträchtigung des normalen, beschwerdefreien Lebens durch eine Krankheit in einer Maßzahl. Diese bestimmt die Gesundheitslücken und beschreibt den Unterschied zwischen einer tatsächlichen Situation und einer idealen Situation, in der jede Person bei voller Gesundheit bis zu dem Alter lebt, das den Standardwerten der Lebenserwartung entspricht. Das Kriterium kann länder- und kulturübergreifend eingesetzt werden.

Acht Keime und sechzehn Resistenzmuster 

In der Studie, die im Lancet Infectious Diseases publiziert wurde, werteten die Forscher Infektionen mit acht Keimen (Acinetobacter, Enterococcus faecalis und faecium, Escherichia coli, Klebsiella pneumoniae, Pseudomonas aeruginosa, Staphylococcus aureus und Streptococcus pneumoniae) und 16 Resistenzmustern aus (u.a. gegen Colistin, Carbapenem, Cephalosporine der 3. Generation, Meticillin, Makrolide und Penicillin bzw. Multiresistenzen). Die Erreger verursachen alle möglichen Arten von Infektionen wie Sepsis, urologische Infektionen, Atemwegsinfektionen und chirurgische Infekte. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass die geschätzte Belastung durch Infektionen mit den ausgewählten antibiotikaresistenten Bakterien in der EU und im EWR erheblich ist. 

Belastung wie durch Grippe, Tuberkulose und HIV zusammen

Nach den EARS-Net-Daten sollen 2015 über den Jahreszeitraum 671.689 Fälle mit den ausgewählten antibiotikaresistenten Bakterien aufgetreten sein. Auf diese entfielen 33.110 Todesfälle und 874.541 DALY. Die Schätzungen entsprechen einer Inzidenz von 131 Infektionen und einer assoziierten Mortalität von 6,44 Todesfällen bzw. 170 DALY, jeweils pro 100 000 Einwohner. Dieses Ausmaß entspricht etwa der Belastung durch die drei bedeutenden Infektionskrankheiten Grippe, Tuberkulose und HIV zusammen (183 DALY/100.000 Einwohner). Die Gesamtbelastung war bei Säuglingen bis ein Jahr am höchsten (etwa 1900 DALY/100.000), gefolgt von Personen im Alter ab 65 Jahren (etwa 600 DALY/100.000). 

Zwei Drittel aller DALY entfallen auf vier Erreger

67,9 Prozent aller DALY wurden durch Infektionen mit vier antibiotikaresistenten Bakterien verursacht, die nach der Studie den größten Effekt auf die Gesundheit haben: gegen Cephalosporine der 3. Generation resistente E. coli, multiresistente Staphylococcus aureus (MRSA), carbapenemresistente P. aeruginosa und gegen Cephalosporine der 3. Generation resistente K. Pneumoniae. Auf Infektionen mit colistinresistenten oder carbapenemresistenten Bakterien entfielen insgesamt 38,7 Prozent der gesamten DALY pro 100.000 Einwohner.

Belastung hat sich insgesamt erhöht

Zwischen 2007 und 2015 hat sich die Belastung für alle antibiotikaresistenten Bakterien erhöht. Der Anteil der DALY durch carbapenemresistente K. Pneumoniae und carbapenemresistente E. coli hat sich in diesem Zeitraum von 4,3 auf knapp 8,8 Prozent verdoppelt. Zwar ist der bevölkerungsgewichtete Anteil der gemeldeten MRSA unter den S. Aureus-Isolaten in dieser Zeit von 26,6 auf 16,8 Prozent zurückgegangen, aber die geschätzte Inzidenz von MRSA-Infektionen hat trotzdem um den Faktor 1,28 zugenommen. Dies führen die Autoren vor allem auf die höhere Betroffenheit von älteren Menschen und Säuglingen zurück. 

Italien und Griechenland am stärksten betroffen

Die Forscher fanden außerdem große Unterschiede zwischen den Ländern Europas. So hatten Italien und Griechenland eine wesentlich höhere geschätzte Belastung durch antibiotikaresistente Bakterien als die anderen EU- und EWR-Länder. Etwa ein Drittel aller Todesfälle wurde in Italien erfasst. Deutschland befindet sich mit etwa 70 DALY/100.000 auf dem achten Platz und hinsichtlich der gemeldeten Infektions-und Todesfälle auf dem 24. Rang des 31 Länder umfassenden Rankings und deutlich unter dem EU/EWR-Durchschnitt. 

Hauptschauplatz sind Einrichtungen der Gesundheitsversorgung

Die Wissenschaftler vermuten, dass 63,5 Prozent der gemeldeten Infektionen im Zusammenhang mit der Gesundheitsversorgung standen. Diese korrespondieren mit 72,4 Prozent der Todesfälle und 74,9 Prozent der DALY pro 100.000 Einwohner. Den Hauptschauplatz für das Risiko sehen sie in Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen. Damit müsste aus ihrer Sicht ein Großteil der Infektionen und ihrer schwerwiegenden nachteiligen Folgen für die Patienten durch verstärkte Maßnahmen vermeidbar sein, aber wie? 

Internationale und länderspezifische Strategien nötig

Einerseits fordern sie Strategien zur Vorbeugung und Bekämpfung von antibiotikaresistenten Bakterien und eine bessere Koordination auf EU und EWR sowie globaler Ebene. Andererseits haben sie in ihrer Studie für die verschiedenen Länder ganz unterschiedliche Szenarien vorgefunden. Präventions- und Kontrollstrategien müssten deshalb auf die Bedürfnisse eines jeden Landes zugeschnitten werden, so die Schlussfolgerung der Autoren.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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