SPD-Ministerin beim niedersächsischen Apothekertag

Reimann: Die Gleichpreisigkeit hat sozialen Charakter

Hannover - 11.03.2019, 09:00 Uhr

Auf dem niedersächsischen Apothekertag diskutierten unter anderem Berend
Groeneveld (LAV Nieders.), Stefan Schostok (Oberbürgermeister Hannover, SPD), Dr. Carola Reimann (SPD, Gesundheitsministerin) und Magdalene Linz (Kammer Nieders.) (v.l.n.r.). (Foto: tmb)

Auf dem niedersächsischen Apothekertag diskutierten unter anderem Berend Groeneveld (LAV Nieders.), Stefan Schostok (Oberbürgermeister Hannover, SPD), Dr. Carola Reimann (SPD, Gesundheitsministerin) und Magdalene Linz (Kammer Nieders.) (v.l.n.r.). (Foto: tmb)


Linz fordert Wettbewerbsgleichheit

Unmittelbar vor Reimanns Grußwort hatten Magdalene Linz, Präsidentin der Apothekerkammer Niedersachsen, und Berend Groeneveld, Vorsitzender des Landesapothekerverbandes Niedersachsen, die schwierige Lage der Apotheken beschrieben. Linz berichtete, dass Niedersachsen in zehn Jahren mehr als zehn Prozent seiner Apotheken verloren habe, besonders in den Städten. Dennoch sei die Versorgungssicherheit gewährleistet, auch mit Botendiensten. Versand sei dafür nicht nötig. Doch die Rahmenbedingungen müssten stimmen, damit das Netz nicht weiter ausgedünnt werde. Außerdem sollte die pharmazeutische Kompetenz der Apotheker besser zum Wohl der Patienten genutzt werden. Linz dankte der niedersächsischen Landesregierung für die Einführung des Stationsapothekers und verwies zugleich auf ein wesentliches Problem bei den öffentlichen Apotheken: Linz machte die Diskrepanz zwischen dem Modellprojekt der Apotheker mit der AOK Niedersachsen über Medikationschecks und den Problemen auf der Bundesebene deutlich. Niedersachsen sei mit diesem Projekt ein Vorreiter. Die Apotheker seien bereit, weitere solche Leistungen zu erbringen, die dann aber auch zusätzlich honoriert werden müssten. Doch Verträge über pharmazeutische Dienstleistungen als Regelleistungen dürften mit der GKV nicht abgeschlossen werden. 

Linz ging außerdem auf die Meldungen zum drohenden EU-Vertragsverletzungsverfahren ein und erklärte dazu: „Wir brauchen nicht die Verschärfung der Wettbewerbsungleichheit. Wir brauchen Wettbewerbsgleichheit.“ Nötig sei ein diskriminierungsfreier Zugang zu Arzneimitteln auch für Menschen ohne Smartphone und für funktionelle Analphabeten. Dazu seien gleiche Preise nötig und wenn das nicht anders möglich sei, auch das Rx-Versandverbot.

Gedankenspiel zum Versorgungsauftrag

Groeneveld beschrieb die Zeiten für die Apotheken als ernst. Sie seien von der wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt. „Stimmung und Motivation sind auf Tiefstand“, erklärte Groeneveld. Die Apotheken würden immer in Vorleistung treten, aber nicht ausreichend honoriert. Groeneveld fragte: „Was haben wir getan, dass wir nichts kriegen?“ Die Anpassungen der Honorierung für die Rezeptur und den Notdienst würden nur den gestiegenen Anforderungen folgen und Verluste reduzieren.

Groeneveld beklagte zudem, dass Bundesgesundheitsminister Spahn sich innerhalb von zwei Monaten nicht zu den Vorschlägen der Apotheker geäußert habe. Der Verbandsvorsitzende erläuterte weiter, die Preisbindung sei ein Schutz der Patienten vor Übervorteilung. Dieser Schutz dürfe nicht durch die EU ausgehöhlt werden. Für die Apotheker sei die Gleichpreisigkeit unverzichtbar. Groeneveld forderte daraufhin mindestens eine Aktion, die die gleiche Wirkung wie ein Rx-Versandverbot hat. Denn Preiswettbewerb bei Rx-Arzneimitteln folge nicht der sozialen Marktwirtschaft und sei nicht mit der Daseinsvorsorge vereinbar. „Pseudoneoliberaler Wettbewerb lässt den Schwachen verlieren, das ist der Patient“, erklärte Groeneveld und knüpfte ein bemerkenswertes Gedankenspiel daran: „Wenn das politisch gewollt ist, müssen wir darüber nachdenken, ob wir den Versorgungsauftrag zurückgeben.“ Denn dann könnten die Apotheken diesen Versorgungsauftrag nicht mehr erfüllen. Gegenüber DAZ.online verdeutlichte Groeneveld, dies sei in Verbindung mit dem Kontrahierungszwang zu sehen, der auch zu unrentablen Geschäften verpflichtet.

Bei der Begrüßung erläuterte Groeneveld weiter, vor Qualitätswettbewerb hätten die Apotheken keine Angst. Dazu verwies auch Groeneveld auf den Vertrag mit der AOK Niedersachsen über Medikationschecks und auf die Lotsenfunktion der Apotheken. Die Bundespatientenbeauftragte habe kürzlich solche Lotsen gefordert, aber die Apotheken würden jeden Tag diese Aufgaben wahrnehmen. Dafür bräuchten die Apotheker Struktursicherheit für sich und für ihren Berufsnachwuchs, aber auf der Bundesebene vermisse er den Willen sich dafür einzusetzen.

Neuer Aufwind für das Rx-Versandverbot?

Auch nach der Eröffnung waren die jüngsten Meldungen über ein angedrohtes EU-Vertragsverletzungsverfahren ein häufig angesprochenes Thema in den Pausengesprächen beim niedersächsischen Apothekertag. Dabei war immer wieder die Einschätzung zu hören, eine solche Drohung aus Brüssel könne die deutschen Politiker zu einer wirksamen Gegenmaßnahme motivieren. Daraufhin sahen manche Teilnehmer die Wahrscheinlichkeit für das Rx-Versandverbot steigen.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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