Biotin beeinflusst Laborwerte

AMK: Apotheker sollen über Biotin aufklären

Stuttgart - 13.03.2019, 10:15 Uhr

Wo steckt überall Biotin drin und in welchen Mengen? Diese Frage sollten sich Apotheker, Ärzte und Patienten öfter stellen. ( r / Foto: rosinka79 / stock.adobe.com)

Wo steckt überall Biotin drin und in welchen Mengen? Diese Frage sollten sich Apotheker, Ärzte und Patienten öfter stellen. ( r / Foto: rosinka79 / stock.adobe.com)


Das B-Vitamin Biotin ist in der Apotheke vor allem aus Nahrungsergänzungsmitteln bekannt, die eine gesunde Haut, Haare und Nägel fördern sollen. Weniger bekannt dürfte sein, dass Biotin auch in labormedizinischen Untersuchungsmethoden breite Anwendung findet – und dass das ein Problem ist. Wie die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker am gestrigen Dienstag mitteilte, kann Biotin zu falschen kardialen und endokrinologischen Laborwerten führen. In den USA wurde deshalb bei einem Patienten ein Herzinfarkt nicht erkannt, mit tödlichem Ausgang.

Die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) hat am gestrigen Dienstag eine Mitteilung veröffentlicht, in der sie von einem Patienten berichtet, der in den USA an einem Herzinfarkt verstarb. Besonders an dem Fall ist, dass der Herzinfarkt aufgrund falsch negativer Troponinwerte nicht erkannt worden war und daran offenbar eine Biotin-Einnahme schuld war. Allerdings hatte der Patient nicht nur ein gängiges biotinhaltiges Nahrungsergänzungsmittel (NEM) eingenommen, sondern eine Hochdosis-Biotin-Therapie zur Behandlung von Multipler Sklerose erhalten.

Im Dezember 2018 war dazu in diesem Zusammenhang in der Ausgabe 4 des Bulletins zur Arzneimittelsicherheit des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zu lesen, dass eine sogenannte Hochdosis-Biotin-Einnahme von 300 Milligramm pro Tag in klinischen Studien an erwachsenen Patienten zur Behandlung von progressiver Multipler Sklerose untersucht wurde. Ein entsprechender Zulassungsantrag soll jedoch infolge unzureichender Daten zurückgezogen worden sein. Dennoch sei nicht auszuschließen, dass einzelne Patienten eine Hochdosis-Biotin-Therapie durch eine Teilnahme an klinischen Studien oder durch die Verordnung von Rezepturarzneimitteln erhalten. 

Allerdings seien nicht nur erwachsene Patienten mit Multipler Sklerose, sondern auch Neugeborene und Kinder mit angeborenen metabolischen Erkrankungen von möglichen falschen Laborergebnissen durch Biotin betroffen: Einige hätten aufgrund von irreführenden Testergebnissen unnötig antithyreoidale Arzneimitteln erhalten.

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Biotin für Schwangere

Steckbrief Biotin

Funktionen: Cofaktor mehrerer Carboxylasen (Gluconeogenese, Fettstoffwechsel, Aminosäurenabbau)

Wichtigste Nährstoffquellen: tierische Produkte, Hefe, Nüsse

Risikogruppen für Unterversorgung: Schwangere, Epileptiker mit antikonvulsiver Therapie, Patienten mit kongenitalem Biotinidase- und Holocarb­oxylase-Synthetase-Mangel

Symptome bei Mangel: Dermatitis, Konjunktivitis, Alopezie, Gedeihstörungen bei Säuglingen

Außerdem tritt das Problem der Störung von Labortests offenbar nicht nur in solchen speziellen Fällen auf. Auch andere klinische Studien und Fallberichte sollen der AMK zufolge von falsch erhöhten Estradiolwerten sowie falsch erniedrigten Parathormon- oder TSH-Werten berichtet haben. Vorsicht ist laut BfArM auch bei schwangeren Frauen geboten, die pränatale Nahrungsergänzungsmittel einnehmen. Diese würden oft Biotin enthalten. So könnten durch eine fälschlich diagnostizierte Schilddrüsenüberfunktion antithyreoidale Arzneimittel (Carbimazol, Thiamazol) zum Einsatz kommen, was ein Risiko von Missbildungen für das Embryo darstellen würde.

Produktinformationen für Nahrungsergänzungsmittel werden angepasst

Es besteht also ein gewisses Risiko, dass auch niedrig dosiertes Biotin über Arzneimittel oder NEM Laborwerte beeinflusst. Die AMK schließt sich deshalb den Empfehlungen des BfArM an, dass Apotheker/innen Patienten über eine mögliche Beeinflussung von Laborwerten durch Biotin aufklären sollen. Das BfArM hatte bereits auf europäischer Ebene ein Signalbewertungsverfahren initiiert.

In einem Dokument des Pharmakovigilanzausschusses der EMA (PRAC) vom 11. Februar 2019 findet man die Empfehlung, dass die Produktinformationen zu Biotin aktualisiert werden sollen. Betroffene Hersteller haben dazu drei Monate Zeit, heißt es in dem Dokument. Konkret geht es um Biotin-Präparate, die oral eingenommen werden und mindestens 150 µg Biotin pro Dosis enthalten. Bei Biotin-Präparaten, die zur parenteralen Applikation vorgesehen sind, solle die Produktinformation angepasst werden, wenn mindestens 60 µg Biotin pro Dosis enthalten sind.

So soll in Zukunft in der Fachinformation unter Punkt 4.4 auf die Beeinflussung von klinischen Labortests hingewiesen werden: 


Biotin kann Labortests stören, die auf einer Biotin-Streptavidin-Interaktion basieren. Je nach Testverfahren kann es zu falsch verringerten oder falsch erhöhten Testergebnissen kommen. Das Risiko für solche Störungen ist bei Kindern und Patienten mit Niereninsuffizienz höher und steigt mit höheren Dosen. Bei der Interpretation von Laborwerten sind die möglichen Störungen zu berücksichtigen, besonders wenn sie nicht zum klinischen Bild passen (zum Beispiel – unter Biotin-Einnahme – Ergebnisse von Schilddrüsenuntersuchungen, die bei asymptomatischen Patienten einen Morbus Basedow vortäuschen oder falsch negative Troponin-Werte, bei Patienten die einen Herzinfarkt erleiden). Bei Verdacht auf solche Störungen sollten alternative Tests zum Einsatz kommen, die nicht störanfällig auf Biotin reagieren. Wenn bekannt ist, dass der Patient Biotin einnimmt und ein Labortest beauftragt werden soll, sollte zunächst das Laborpersonal konsultiert werden.“

„PRAC recommendations on signals“ vom 11.Februar 2019 


Auch in den Gebrauchsinformationen sollen entsprechende Hinweise aufgenommen werden. Dort werden Patienten darauf hingewiesen, dass sie ihren Arzt über die Biotin-Einnahme informieren sollen.

Kombinierte Nahrungsergänzungsmittel: Ab 60 µg Biotin aufpassen!

Das B-Vitamin Biotin agiert als Coenzym in der Gluconeogenese sowie der Lipogenese und ist am Abbau einiger Aminosäuren beteiligt. Biotinhaltige Arzneimittel enthalten Dosierungen bis zu 10 mg. Sie sind unter anderem zur Prophylaxe und Therapie von seltenen Biotin-Mangelzuständen indiziert. Aber auch in NEM, die nicht gezielt gesunde Haut, Haare und Nägel fördern sollen, ist Biotin in Mengen enthalten, die Labortests stören könnten. So sind in dem Kombinationspräparat „Orthomol Immun“ beispielsweise in einer Tagesportion 165 µg Biotin enthalten, was den oben angegebenen oralen Grenzwert von 150 µg Biotin überschreitet. Auch Vitamin B-Komplex-ratiopharm® enthält 150 µg Biotin. In Frubiase® Sport sind sogar 450 µg Biotin enthalten.

Streptavidin-Biotin-Immunoassays

Im Bulletin zur Arzneimittelsicherheit des BfArM vom Dezember wird näher auf die Streptavidin-Biotin-Immunoassays eingegangen. Dort liest man beispielsweise, dass in diesen Tests Streptavidin-beschichtete magnetische Partikel an der Festphase als Mittel zur spezifischen Erkennung und Bindung von biotinylierten Antikörpern dienen. Entsprechende Antikörper sind wiederum mit dem zu analysierenden Biomarker gekoppelt. Erhöhte Biotin-Werte können somit Störeffekte auslösen, da das Biotin mit biotinylierten Reagenzien um Bindungsstellen an Streptavidin konkurriert. Bei Sandwichassays könne dies zu falsch niedrigen Ergebnissen führen. Bei kompetitiven Immunassays könne Biotin falsch erhöhte Ergebnisse verursachen.

In den Gebrauchsinformationen zu Immunoassays sollen sich zwar Angaben zu Schwellenwerten der Blutkonzentration von Biotin, bei denen keine Interferenzen zu erwarten sind, finden. Allerdings seien diese Werte im klinischen Alltag nur begrenzt anwendbar, da Korrelationen zwischen der eingenommen Biotindosis und resultierendem Plasmaspiegel bislang nicht ausreichend beschrieben sind. Bei Patienten mit Niereninsuffizienz sei von höheren Biotinblutspiegeln auszugehen.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Biotin hilfreich beim abnehmen?

von Sabine am 17.03.2019 um 20:14 Uhr

Hallo liebe Apotheker Zeitung,

hilft Biotin eigentlich auch beim abnehmen?
Habe ansatzweise hier darüber was gelesen: https://www.fett-schnell-weg.de

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Biotin

von Alexander Zeitler am 15.03.2019 um 2:12 Uhr

Welche Sau wird denn gerade da wieder durchs Dorf getrieben.
Ist Biotin wirklich ein Problem?
Sollten wir uns nicht lieber über immer noch verunreinigtes Losartan kümmen?

Das wäre eine lohnendes Thema für Dr.(?) Spahn .
Doch warum liest man von ihm dazu nix?

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