BMG-Antwort auf FDP-Anfrage

1,6 Millionen Bundesbürger sind schmerzmittelabhängig

Berlin - 05.04.2019, 09:00 Uhr

Die Grenze zwischen normaler und missbräuchlicher Arzneimittelanwendung wird oft unbemerkt überschritten. Nach Informationen des Bundesgesundheitsministeriums sind hierzulande 1,6 Millionen Menschen von Schmerzmitteln und 361.000
von Hypnotika oder Sedativa abhängig. (Foto: imago)

Die Grenze zwischen normaler und missbräuchlicher Arzneimittelanwendung wird oft unbemerkt überschritten. Nach Informationen des Bundesgesundheitsministeriums sind hierzulande 1,6 Millionen Menschen von Schmerzmitteln und 361.000 von Hypnotika oder Sedativa abhängig. (Foto: imago)


Fast zwei Millionen Menschen sind in Deutschland abhängig von Analgetika oder Schlafmitteln. Der Löwenanteil entfällt mit 1,6 Millionen auf die Analgetika. Dies teilte die Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion mit. Hauptfragesteller Dr. Wieland Schinnenburg fordert die Bundesregierung auf, wirksame Maßnahmen gegen Medikamentenmissbrauch zu ergreifen.

„Mothers little helper“ – in eine Arzneimittelabhängigkeit rutscht man leicht rein. Wie aus der Antwort des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) auf eine kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion hervorgeht, passiert dies nicht gerade selten. Nach Informationen des Ministeriums sind hierzulande 1,6 Millionen Menschen von Schmerzmitteln und 361.000 von Hypnotika oder Sedativa abhängig. Zum Vergleich – die Zahl der Alkoholabhängigen in Deutschland wird auf 1,77 Millionen geschätzt

Das BMG bezieht sich bei seinen Angaben zur Arzneimittelabhängigkeit auf eine noch nicht publizierte Umfrage von 2018. Den Ergebnissen zufolge sind Frauen über alle Altersgruppen hinweg häufiger betroffen als Männer. Bei den Männern steigt die Prävalenz mit zunehmendem Alter bei beiden Arzneimittelgruppen an.

Fataler Fehlgebrauch: Suizid mit Arzneimitteln

Arzneimittelabhängigkeit kann fatale Folgen haben. Dies zeigt auf verstörende Weise die Opioid-Epidemie in den USA. Die Liberalen wollten in ihrer Anfrage wissen, wie viele Todesfälle in Deutschland auf Arzneimittelabhängigkeit zurückzuführen sind. Diese Frage kann BMG zwar nicht beantworten. Dafür macht das Ministerium Angaben über arzneimittelbedingte Suizide: Der Todesursachenstatistik des Bundes von 2016 zufolge töteten sich 1223 Menschen durch Arzneimittel oder andere biologisch aktive Substanzen selbst. Aktuellere Zahlen liegen der Regierung nicht vor, schreibt die parlamentarische Staatsekretärin Sabine Weiss (CDU).

Noch älter sind die Angaben zu den volkswirtschaftlichen Folgekosten der Arzneimittelabhängigkeit. Diese stammen aus dem Jahr 2008 und wurden von der Bundesärztekammer auf 14 Milliarden Euro geschätzt. Die Abschätzung dieser Kosten sei allerdings „schwierig“, erläutert Weiss.

FDP moniert unzureichende Projektevaluation 

Die Freien Demokraten wollten unter anderem wissen, was die Bundesregierung unternehmen wolle, um Arzneimittelabhängigkeit entgegen zu wirken. Das BMG nannte zum einen allgemeine Pharmakovigilanzmaßnahmen wie ewta, dass das Missbrauchspotenzial einer Substanz in periodischen Sicherheitsberichten (PSUR) berücksichtigt wird, oder in Packmitteltexte entsprechende Hinweisen aufgenommen werden. Des Weiteren habe die Bundesregierung  seit 2014 für Aufklärung im Netz oder durch Flyer etwa 21.000 Euro ausgegeben und Forschungsprojekte im Bereich Medikamentenabhängigkeit mit 2,5 Millionen Euro gefördert.  

Der FDP-Gesundheitspolitiker Dr. Wieland Schinnenburg, der auch Hauptfragesteller der kleinen Anfrage ist, bemängelt, dass ein Großteil der Maßnahmen nicht durch eine Erfolgskontrolle evaluiert wurden. Außerdem sei der Bund an einigen Projekten, die im Drogen- und Suchtbericht 2018 genannt werden, wie beispielsweise ein Erklärvideo für Geflüchtete oder das Symposium der Bundesapothekerkammer in 2018, gar nicht beteiligt.

Keine Einschränkungen der OTC-Werbung geplant

Jeder Apotheker weiß: Die beste Maßnahme gegen Arzneimittelfehlgebrauch ist der bestimmungsgemäße Gebrauch. Dazu gehört es auch, die empfohlene Einnahmedauer nicht zu überschreiten. Bei OTC-Schmerzmitteln soll die Analgetika-Warnhinweisverordnung dazu beitragen, dass die Einnahmedauer eingehalten wird. Die Liberalen wollten wissen, ob ähnliche Maßnahmen auch für andere Arzneimittel geplant sind.

Dies sei nicht beabsichtigt, schreibt Weiss. Auch die Frage, ob Verschärfungen des Heilmittelwerberechts bei OTC-Werbung geplant seien, verneinte das BMG. In der Vergangenheit hatte unter anderem BAK-Präsident Dr. Andreas Kiefer gefordert, die Werbung für OTC-Produkte mit Missbrauchspotenzial wie beispielsweise abschwellende Nasensprays, Schlaf- oder Schmerzmittel einzuschränken.

BMG: Lieferkette in Deutschland ist „sicher“

Medikamentenabhängigkeit entsteht zum einen durch Fehlgebrauch von Arzneimitteln, die Patienten „auf normalen Wege“ in der Apotheke beziehen. Andererseits gibt es auch Missbrauch von Schwarzmarktware, gefälschten oder illegal hergestellten Arzneimitteln, die unter anderem im sogenannten Darknet angeboten werden.

Über illegale Lieferketten sei der Bundesregierung wenig bekannt. Das BMG verweist darauf, dass zur Überwachung illegaler Vertriebsketten die Landes- und Strafverfolgungsbehörden zuständig seien. Auch Zollverwaltung könne bei Fälschungsverdacht tätig werden. Die legale Lieferkette für Arzneimittel bezeichnete Weiss als „sicher“. Und dank der Fälschungsschutzrichtlinie, die seit dem 9. Februar in Kraft getreten ist, werde die Lieferkette noch sicherer.

Schinnenburg fordert Strategie gegen Arzneimittelmissbrauch

Schinnenburg ist von den Ausführungen des BMG nur wenig überzeugt: „Fast zwei Millionen Menschen in Deutschland sind abhängig von Medikamenten, dennoch unternimmt die Bundesregierung kaum etwas dagegen. Sie betreibt weder eine wirksame Aufklärungs- und Präventionsstrategie, noch greift sie gegen die illegale Produktion und den illegalen Handel mit Medikamenten durch.“  Der FDP-Gesundheitspolitiker fordert die Bundesregierung auf, eine klare Strategie gegen den Missbrauch von legalen und illegalen Medikamenten zu entwickeln.

An dieser Stelle ist anzumerken, dass die Vor-Ort-Apotheken schon jetzt eine wichtige Rolle spielen.Tagtäglich stehen in rund 19.000 Apotheken hochausgebildete Pharmazeuten zur Stelle, um Patienten durch taktvolle Beratung vor Arzneimittelfehlanwendung zu schützen. Diese Form des Patientenschutzes ist allerdings nur in der Offizin gewährleistet.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Neue Vertriebswege

von Stefan Haydn am 08.04.2019 um 9:13 Uhr

Na ja, der Versandhandel leistet da seinen ganz eigenen Beitrag zur Befeuerung des Problems. Die abstrusen Steigerungsraten in diesem Abverkaufsbereich werden ja leider bewußt seit Jahren von der Politik ignoriert.

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