Durchfall in der Selbstmedikation

Loperamid: Blick in die Fachinformation lohnt

Stuttgart - 17.04.2019, 11:30 Uhr

Ist Loperamid bei Durchfall die richtige Wahl? (s / Foto: princeoflove /
stock.adobe.com)

Ist Loperamid bei Durchfall die richtige Wahl? (s / Foto: princeoflove / stock.adobe.com)


Seit dem 2. April müssen die Fachinformationen von Arzneimitteln mit dem Wirkstoff Loperamid darauf verweisen, dass es in Verbindung mit einer Überdosierung zu einer Verlängerung des QRS-Komplexes kommen kann. Geschieht dies nicht, könne nicht mehr von einem positiven Nutzen-Risiko-Verhältnis ausgegangen werden, heißt es in einem Bescheid des BfArM. Was das für die Praxis bedeutet, zeigen vor allem ältere Berichte aus den USA über den Missbrauch von Loperamid. Gibt es bessere Alternativen?

Zu Arzneimitteln mit dem Wirkstoff „Loperamid“ und der Wirkstoffkombination „Loperamid/Simeticon“ ist ein europäisches, die periodischen Sicherheitsberichte bewertendes Verfahren durchgeführt worden. Der Pharmakovigilanzausschuss PRAC der EMA (European Medicines Agency) ist dabei auf Grundlage einer Überprüfung der Literatur und spontaner Meldungen zu dem Schluss gelangt, dass ein Kausalzusammenhang zwischen der Verlängerung des QRS-Komplexes und Loperamid nicht ausgeschlossen werden kann. Diese Erkenntnis soll nun in die Abschnitte 4.4 und 4.9 der Fachinformationen aufgenommen werden. Die Koordinierungs­gruppe der Behörden der Mitgliedstaaten (CMDh, Coordination group for Mutual recognition and Decentralised procedures – human) hat den wissenschaftlichen Schlussfolgerungen des PRAC zugestimmt, sodass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit Bescheid vom 2. April 2019 den einstimmigen Beschluss der Koordinierungsgruppe umsetzt. Wird die „Verlängerung des QRS-Komplexes“ nun wie folgt in die Produktinformationen eingefügt, gilt das Nutzen-Risiko-Verhältnis der Loperamid-Präparate als unverändert: 

  • „In Verbindung mit Überdosierung wurde über kardiale Ereignisse, einschließlich QT-Verlängerung und Verlängerung des QRS-Komplexes und Torsade de pointes, berichtet. Einige Fälle verliefen tödlich (siehe Abschnitt 4.9). Patienten dürfen die empfohlene Dosis und/oder die empfohlene Behandlungsdauer nicht überschreiten.“
  • „Bei Personen mit Überdosierungen von Loperamid wurden kardiale Ereignisse, wie QT-Intervallverlängerung und Verlängerung des QRS-Komplexes, Torsades de pointes, sonstige schwere ventrikuläre Arrhythmien, Herzstillstand und Synkopen, beobachtet (siehe Abschnitt 4.4). Auch über Todesfälle wurde berichtet.“

QRS-Komplex

Die Zacken und Wellen eines EKG (Elektrokardiogramm) lassen sich in Verbindung zum Erregungsablauf im Herzen setzen: Die Spitze der größten Zacke (nach oben) heißt „R“ und wird durch die zwei kleinen Zacken „Q“ und „S“ (nach unten) begrenzt. Diese QRS-Gruppe entsteht durch die Erregungsausbreitung im Ventrikelmyokard.
Die Q-Zacke entsteht, wenn das Kammerseptum von links unten nach rechts oben depolarisiert wird. Die R-Zacke tritt auf, wenn die Erregung auf die Herzspitze zuläuft. An die R-Zacke schließt sich die kleine S-Zacke an. Sie entsteht, weil ein kleiner Bezirk im linken Ventrikel noch nicht erregt ist. (Quelle: Anatomie, Physiologie, Pathophysiologie des Menschen, 7. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart)

Die Änderung soll durch die Zulassungsinhaber bis 15. Mai 2019 eingereicht werden. In manchen Fachinformationen findet sich aber die Verlängerung der QRS-Komplexes bereits (zum Beispiel Loperamid 2 Heumann). 

Bei Überdosierung: Nebenwirkungen an ZNS und Herz

In der Fachinformation liest man zudem, dass im Falle einer Überdosierung – auch aufgrund einer hepatischen Dysfunktion – Beeinträchtigungen des ZNS auftreten können, wie Somnolenz und Atemdepression. Beim Auftreten einer Überdosierung könne Naloxon versuchsweise als Antidot eingesetzt werden.
In der Fachinformation zu Imodium® (in der die QRS-Verlängerung noch fehlt) ist zu lesen, dass aufgrund des First-pass-Metabolismus die systemische Bioverfügbarkeit von Loperamid nur 0,3 Prozent beträgt. Loperamid bindet an die Opioidrezeptoren in der Darmwand und mindert so die propulsive Peristaltik des Darms. Eigentlich soll es unter Loperamid selbst bei signifikanten Vielfachen (bis zu 47-fach) des therapeutisch relevanten Dosisbereichs keine signifikanten kardialen elektrophysiologischen Wirkungen gegeben haben (in nichtklinischen In-Vitro- und In-Vivo-Auswertungen).
Jedoch soll Loperamid im Zusammenhang mit Überdosierungen mit extrem hohen Konzentrationen kardiale elektrophysiologische Wirkungen haben: Sie sollen in der Hemmung von Kalium- (hERG) und Natriumströmen sowie Arrhythmien bestehen. „Bei Personen mit Opioidabhängigkeit sind Missbrauch und Fehlanwendung von Loperamid als Opioidersatz beschrieben worden“, heißt es auch in der Fachinformation.

Während das BfArM im Jahr 2007 offenbar noch davon ausging, dass ein Loperamid-Missbrauch unwahrscheinlich ist, empfahl die AMK (Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker) 2016 den Apotheken, Patienten „auf die bestimmungsgemäße Anwendung und Dosierung von Loperamid bei Durchfall hinzuweisen, um Risiken durch (un)beabsichtigte Überdosierungen zu vermeiden.“ Verdachtsfälle von Missbrauch und unerwünschten Wirkungen sollten gemeldet werden. Anlass war die Warnung der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA, „vor schwerwiegenden kardialen Nebenwirkungen nach Einnahme von Loperamid in höheren als den empfohlenen Dosierungen, einschließlich durch Missbrauch und Fehlgebrauch“. Von 1976 bis 2015 sollen bei der FDA nämlich 48 Berichte über schwere kardiale Ereignisse eingegangen sein – über die Hälfte der Fälle wurde jedoch erst nach 2010 berichtet.
Die Warnungen von 2016 schienen in den USA jedoch nicht viel zu nutzen, sodass die FDA Ende Januar 2018 erneut vor Loperamid-Missbrauch warnte.

Loperamid in der Selbsmedikation: Gibt es Alternativen?

Die aktuellste Leitlinie, die das Thema Durchfall behandelt, ist die „S2k-Leitlinie Gastrointestinale Infektionen und Morbus Whipple“ von 2015: Bei der ambulant erworbenen Gastroenteritis könne eine kurzdauernde symptomatische Therapie mit motilitätshemmenden Substanzen (zum Beispiel Loperamid) bei unkompliziertem Krankheitsbild durchgeführt werden, heißt es dort. Bei schwerem Krankheitsbild sollen Motilitätshemmer jedoch nicht zum Einsatz kommen – also zum Beispiel bei Fieber oder blutiger Diarrhö.
Studien zur Anwendung von Loperamid wurden laut Leitlinie in der Mehrzahl der Fälle in Kombination mit einem Antibiotikum bei Patienten mit Reisediarrhö durchgeführt. Auch bei Reisediarrhö sollen Motilitätshemmer (ohne Fieber und Blutabgang) maximal drei Tage eingesetzt werden.

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Unaufhaltsam

Racecadotril soll eine Alternative zu Loperamid darstellen. In Studien war die klinische Wirksamkeit vergleichbar zu Loperamid, das Präparat soll in Deutschland zum Zeitpunkt der Erstellung der Leitlinie aber nur selten eingesetzt worden sein. Für die anderen erhältlichen Antidiarrhoika wie zum Beispiel pflanzliche Substanzen (Uzara, getrocknetes Apfelpulver) oder Siliciumdioxid, Tannin, Kohle oder Myrrhe sollen keine kontrollierten Studien vorliegen.

2017 schrieb die DAZ zu Racecadotril, dass Vergleichsstudien gezeigt haben, dass Racecadotril gegenüber Loperamid weniger sekundäre Obstipationen verursacht. Weil unter Racecadotril die Erregerausscheidung weiter möglich ist, soll die bessere Verträglichkeit auch dadurch unterstützt werden. Im Vergleich zu Saccharomyces boulardii sei die Verträglichkeit ähnlich, allerdings wirkt Racecadotril deutlich schneller.
Racecadotril könnte das Risiko für Ödeme erhöhen, was wiederum durch die gleichzeitige Einnahme mit ACE-Hemmern erhöht werden könnte. (Auch bei Loperamid sollte auf Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln geachtet werden.)

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2013 wurde der Wirkstoff Racecadotril teilweise aus der Verschreibungspflicht entlassen: für Erwachsene ab 18 Jahren. Seitdem ist eine OTC-Version unter dem Handelsnamen Vaprino® auf dem Markt. Im Januar 2015 hat sich dann der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht für die Entlassung des Wirkstoffs aus der Verschreibungspflicht für Kinder und Jugendliche ausgesprochen. Bislang sind aber keine rezeptfreien Racecadotril-Präparate für Kinder im Handel.

Seit April 2019 ist neben Vaprino® übrigens ein neues OTC-Racecadotril in der Lauer-Taxe gelistet, allerdings auch nur ab 18 Jahren: DiaVerde® von Klinge Pharma.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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