Handelsblatt-interview

BfArM-Präsident: Cannabisblüten sind nur eine Übergangslösung

Berlin - 23.04.2019, 16:30 Uhr

Die Zukunft der Cannabismedizin liegt in Fertigarzneimitteln, findet BfArM-Präsident Karl Broich. (b / Foto: RedUmbrella&Donkey/stock.adobe.com)

Die Zukunft der Cannabismedizin liegt in Fertigarzneimitteln, findet BfArM-Präsident Karl Broich. (b / Foto: RedUmbrella&Donkey/stock.adobe.com)


Mühsam nährt sich das Cannabis-Pflänzchen – so fühlt sich die Medizinalhanf-Versorgung für viele Patienten und Apotheken an. Auch aus Sicht des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist die derzeitige Situation nicht optimal. Das langfristige Ziel sei es, mehr Cannabis-Fertigarzneimittel zuzulassen, erklärte BfArM-Präsident Professor Karl Broich gegenüber dem Handelsblatt.

Vergangene Woche ging es  beim deutschen Cannabisanbau etwas voran: Am 17. April vergab das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) neun von 13 Losen an die kanadischen Konzerne Auroa und Aphria. Damit gibt es grünes Licht für den Anbau von 7.200 Kilogramm - von ursprünglich geplanten 10.400 Kilogramm, für vier Jahre. 

Das BfArM regelt nicht nur den deutschen Anbau, sondern auch die derzeitige Versorgung über Importe. Zu restriktiv, finden Kritiker wie beispielsweise Fachpolitiker der Grünen, Linken und FDP. Doch wie sieht eigentlich „das Behörden-Nadelöhr“ selbst die Cannabisversorgung in Deutschland?

„Cannabis ist ein Systembruch“

In einem Interview mit dem Handelsblatt am vergangenen Ostersonntag fand der Leiter des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Professor Karl Broich, klare Worte. Dass Cannabis per Gesetz und nicht aufgrund von Wirksamkeitsnachweisen als Medizin zu Verfügung steht, ist für den Mediziner ein „Systembruch“. Dieser derzeitige „Sonderweg“ ist aus Sicht der Zulassungsbehörde allerdings nur eine Übergangslösung. Das langfristige Ziel sei es, mehr Fertigarzneimittel auf Cannabisbasis zuzulassen.

Zwar laufen bereits einige Studien mit standardisierten Cannabispräparaten. Bis neue Cannabis-Fertigarzneimittel im BtM-Schrank stehen, kann es allerdings noch Jahre dauern. Man werde die Pharmazeutischen Unternehmen, die Cannabisarzneimittel entwickeln, dabei unterstützen, erklärte Broich dem Handelsblatt.

„Wirtschaftliche Belange wurden über Patienteninteressen gestellt“

Zur aktuellen Ausschreibung erklärte der BfArM-Präsident, dass er es sehr bedauere, dass wirtschaftliche Interessen über die der Patienten gestellt würden. „Das ist für mich als Präsident der zuständigen Behörde ein unhaltbarer Zustand. Was glauben Sie, wie viele Anfragen von landwirtschaftlichen Betrieben und Gärtnereien wir hatten, die das große Geschäft gewittert haben, aber über keinerlei Erfahrung im Arzneipflanzenanbau verfügen“, so Broich weiter.

Vor Ende 2020 wird es voraussichtlich keine deutsche Cannabisernte geben. Bis dahin wird die Versorgung ausschließlich durch Importe gestemmt. Und auch hier legt die Behörde hohe Standards an. Denn Cannabis habe ernstzunehmende Nebenwirkungen, wie etwa Psychosen. „Jedes regulär zugelassene Arzneimittel, das solche Nebenwirkungen zeigt, würden wir sofort vom Markt nehmen. Deswegen ist es wichtig, dass wir strenge Anforderungen an die Produktqualität stellen“, betonte Broich. Ob diese Nebenwirkungen auch bei Fertigarzneimitteln aus isolierten Reinstoffen auftreten würden, thematisierte der BfArM-Präsident allerdings nicht.

„Eigentlich gibt es keine Lieferengpässe“

Ob es nun an den hohen Anforderungen an die ausländischen Produzenten liegt oder andere Faktoren eine Rolle spielen: In der täglichen Praxis ist die derzeitige Importsituation für Apotheker und Patienten jedenfalls suboptimal. Denn immer wieder treten Engpässe bei verschiedenen Sorten auf. „Eigentlich gibt es keine Lieferengpässe“, erklärte Broich. Das Problem liege nur daran, dass die Patienten meinten, sie bräuchten eine bestimmte Sorte, vor allem eine, die viel THC enthalte. „Da kann es vorkommen, dass Blüten zwischen den Apotheken schon mal hin und her geschoben werden müssen“, schlug der Behördenleiter vor.

Eine ähnliche Idee hatte im vergangenen Sommer schon das Bundesgesundheitsministerium. An dieser Stelle ist anzumerken, dass sich Lieferengpässe normalerweise auf bestimmte Blütensorten oder Lieferanten und nicht auf einzelne Apotheken beziehen. Und dass Apotheken normalerweise selten große Blütenmengen vorrätig halten, weil die Laufzeiten kurz und günstige Retouren-Regelungen rar sind.

Außerdem ist es mittlerweile auch auf internationaler wissenschaftlicher Ebene anerkannt, dass sich die Sorten nicht nur hinsichtlich ihres THC-Gehalts, sondern auch ihres gesamten Stoffspektrums und damit in ihrer Wirkung unterscheiden - also quasi verschiedene Medikamente sind. Und dass Verschreibungen von THC-dominanten Sorten häufig sind, hat vermutlich eine medizinische Rationale: So hat THC beispielsweise eine starke analgetische Wirkung und der Anteil der Indikation „Schmerz“ bei den Cannabistherapien, die die Kassen derzeit genehmigen, ist relativ hoch. 



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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3 Kommentare

Vieles wirkt verwunderlich

von Rainer W. am 25.06.2019 um 10:23 Uhr

Ich weiss nicht, in welcher Realität sich Herr Broich bewegt, aber ich mache eher gegenteilige Erfahrungen:

- Patienten und Ärzte wollen oft einen hohen CBD und niedrigen THC-Anteil, diese sind aber nahezu ausnahmslos vergriffen.

- Die Komplexität der Zusammensetzung der Cannabispflanze auf FAM mit einem Cannabinoid zu reduzieren wird der Situation nicht gerecht. Mal abgesehen von dem u.a. viel höheren wirtschaftlichen Nutzen eines patentgeschützten Präparats stellen sich doch in der jungen Forschung ganz andere Fragen der komplexen Rückkopplungen. So gibt es Anhaltspunkte, dass CBD die psychoaktiven UAW des THC reduziert. Die Cannabis-Thematik auf THC zu reduzieren gleicht dem Ansinnen, die Wirkung von Grüntee auf den Teein- und Wassergehalt zu reduzieren.

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Gute Repliken...

von zim am 24.04.2019 um 8:45 Uhr

... hier noch Ergänzungen:
- Viele Patienten die Cannabis verschrieben bekommen haben Erfahrungen mit Medikamenten gesammelt, die sehr schwere Nebenwirkungen erzeugen können. Dieses Argument verwundert.
- Auch durch schwere Erkrankungen erzeugter Leidensdruck kann psychische Schäden verursachen.
- Mehr Therapieoptionen wären wünschenswert. Jedoch das Ende der Blütentherapie herbeizureden, bevor klar ist ob es in absehbarer Zeit für jeden Patienten eine Alternative gibt ist leichtsinnig.
- Der mögliche Profit der im Anbau von Blüten erzeugt wird ist nichts im Vergleich zu den wirtschaftlichen Möglichkeiten bei patentierbaren, synthetischen Cannabinoiden. Insbesondere wenn Blüten nicht mehr importiert werden müssen.
- Ja, Cannabis ist ein Sonderfall. Es gibt in der Wirkungsweise aufgrund physiologischer Gegebenheiten kein vergleichbares Medikament.

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