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4. Juli 2019
Also, mein liebes Tagebuch, nun mach mal hin, sieh mal das Gute im Bösen, wird schon nicht so schlimm kommen, das Apotheken-Stärkungsgesetz hat doch so viele nette Seiten, wir können froh sein, dass wir es kriegen – das war die von oben oktroyierte Stimmung auf der Mitgliederversammlung des Bayerischen Apothekerverbands. Und, so ergänzen wir, mein liebes Tagebuch, dann lass uns noch ein fröhlich Liedlein zusammen singen und uns das Gesetz mit ein paar Bierchen schön trinken. Ach ja, die bayerische Gemütlichkeit schlägt halt immer durch. Kann man so machen, wenn man wenig bis nichts erreicht hat und vieles schlucken muss. Also, die bayerische Losung lautet jetzt: „Lieber dieses Gesetz als kein Gesetz“. Und damit es klar ist, welche schöne Dinge wir jetzt bekommen: die Gleichpreisigkeit (das glauben manche tatsächlich), außerdem bleibe die freie Apothekenwahl erhalten und das Makeln von E-Rezepten verboten. Und dann gibt es mehr Geld für Notdienst und BtM-Doku (das ist noch lange nicht in trockenen Tüchern!) und das für die ABDA berauschende Geschenk der honorierten pharmazeutischen Dienstleistungen (dumm nur, dass das Finanzvolumen von 150 Mio. Euro so mickrig ist). Ein bisschen Kritik hatte Verbandschef Hubmann allerdings auch: Der Botendienst dürfe nicht ausgeweitet werden, sondern sollte weiterhin auf den Einzelfall begrenzt bleiben. Und Abholfächer – igitt, die gehen gar nicht, da kommt man nach vorausgegangener Beratung via Telekommunikation zu stark in die Nähe zum Versand. Der Botendienst sollte weiterhin auf den Einzelfall beschränkt bleiben, so Hubmann. Oh Gott, mein liebes Tagebuch, wie weltfremd ist das denn? Wenn Apotheken heute schon Werbung machen, „die Apotheke bringt’s“, wenn Apotheken von sich aus anbieten, per Boten nach Hause zu liefern, wenn Abholfächer ein von Kunden geschätzter Service sind – da ist doch der auf den Einzelfall begrenzte Botendienst eine Farce. Das nimmt uns doch keiner ab. Aber das war und bleibt wohl schon immer ein Manko des apothekerlichen Standesdenkens: Wir legen uns die Welt zurecht, wie wir sie gern sehen und nicht wie unsere Kunden sie gerne hätten. Mein liebes Tagebuch, nach 2019 wird sich die Apothekenwelt mehr verändern als uns lieb sein kann.
Es gibt zu wenige Apothekerinnen und Apotheker. Der Apothekerberuf ist weiterhin ein Engpassberuf – sagt die Fachkräfteengpassanalyse (so etwas gibt es!) der Bundesagentur für Arbeit. Spürbar wird der Engpass wohl in erster Linie für die öffentliche Apotheke. Mein liebes Tagebuch, das hängt wohl auch mit den Besonderheiten des Apothekermarkts zusammen: zu über 80 Prozent weiblich und oft besser dotierte attraktive Arbeitsplätze außerhalb der Apotheke, z. B. in der Industrie und in der Klinik. Hinzu kommen schwierigere Bedingungen für die öffentliche Apotheke aufgrund gesundheitspolitischer Vorgaben, Stichwort Apotheken-Stärkungsgesetz. Der Engpass wird bleiben.
Wir sind nicht die einzige Berufsgruppe, der es an den Kragen geht dank EU. Nun sind die Architekten dran. Jetzt kippt der Europäische Gerichtshof die deutsche Honorarordnung für Architekten. Federführend vom selben Anwalt vorangetrieben wie seinerzeit beim Urteil zur Aufhebung der Preisbindung – die Argumente sind sinngemäß anwendbar. Die EU geht davon aus, dass die Honorarordnung für Architekten den Markteilnehmern aus anderen EU-Staaten den Zugang zum Markt erschwere. Mein liebes Tagebuch, da kommen mir immer die Tränen. Dass Honorare ebenso wie Durchschnittseinkommen und Steuern sich dem jeweiligen Umfeld angepasst haben, zählt für EuGH-Anwälte nicht. Es zählt der Wettbewerb um Teufel komm raus. Vielleicht hätte die EU erstmal versuchen sollen, die Einkommen- und andere Steuern zu harmonisieren als die Arzneimittelpreise und Architektenhonorare zu zerschlagen…
Der GKV-Spitzenverband lässt nicht locker, er will den gesamten Apothekenmarkt deregulieren. Im Mittelpunkt: keine Honorarerhöhung für Apotheken, denn die kriegen eh schon genug (sagt das Gutachten des Bundeswirtschaftsministeriums). Und außerdem: unbedingt mehr Versandhandel und die Möglichkeit für Verträge zwischen Versandapotheken und Krankenkassen. Mein liebes Tagebuch, mal abgesehen von all den negativen fachlichen Aspekten durch den Versandhandel für Patienten: Hat der GKV-Spitzenverband noch nichts von davon gehört, dass Versandhandel schlecht ist für die Umwelt, für den CO2-Abdruck. Noch nichts gehört von den Fridays for Future-Demos? Wie ethisch ist es denn, wenn man die unsägliche Paketflut und die Pakettransporte forcieren will, wo doch die Ware – und zwar jedes Arzneimittel! – quasi in Reichweite zu haben ist. Mein liebes Tagebuch, der GKV-Spitzenverband sollte mal anfangen in die Zukunft zu denken statt an fossilen Maximen zu kleben.
17 Kommentare
Paralleldemokratie
von Roland Mückschel am 08.07.2019 um 16:27 Uhr
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Bewegung.
von Roland Mückschel am 07.07.2019 um 18:26 Uhr
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AW: Paralleldemokratie?
von Holger am 08.07.2019 um 12:59 Uhr
Forderungen
von Holger am 07.07.2019 um 17:33 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 3 Antworten
AW: Forderungen ... wenn durch diesen „Quatsch“ Robin Hood ...
von Christian Timme am 07.07.2019 um 18:45 Uhr
AW: Forderungen
von Karl Friedrich Müller am 07.07.2019 um 20:22 Uhr
AW: Coole Einstellung ...
von Christian Timme am 07.07.2019 um 23:05 Uhr
:
von Anita Peter am 07.07.2019 um 14:43 Uhr
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HiMi und andere Grausamkeiten
von Karl Friedrich Müller am 07.07.2019 um 11:53 Uhr
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AW: HiMi und andere Grausamkeiten...
von Nils Möller am 11.07.2019 um 17:09 Uhr
Immer wieder gerne ... „und wider besseren Wissens juristisch ungenau“
von Christian Timme am 07.07.2019 um 11:24 Uhr
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Haltung fehlt
von Reinhard Rodiger am 07.07.2019 um 10:10 Uhr
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Bayrisches Eigentor
von Ulrich Ströh am 07.07.2019 um 8:52 Uhr
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Rahmenvertrag
von Dr. Radman am 07.07.2019 um 8:32 Uhr
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AW: Rahmenvertrag oder der Länge nach über die Festtagstafel gezogen
von Bernd Jas am 07.07.2019 um 13:04 Uhr
Nichtpressearbeit der Abda
von Conny am 07.07.2019 um 8:24 Uhr
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AW: Nichtpressearbeit der Abda
von Beate Kirk am 07.07.2019 um 16:44 Uhr
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