Kommentar zur Apothekenreform

Schöne Worte mit Gefahrenpotenzial

Süsel - 16.07.2019, 12:45 Uhr

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will sein Apotheken-Stärkungsgesetz am morgigen Mittwoch durchs Kabinett bringen. An einigen Stellen weist der neueste Entwurf allerdings Gefahrenpotenzial auf, meint Thomas Müller-Bohn. (c / Foto: Schelbert)

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will sein Apotheken-Stärkungsgesetz am morgigen Mittwoch durchs Kabinett bringen. An einigen Stellen weist der neueste Entwurf allerdings Gefahrenpotenzial auf, meint Thomas Müller-Bohn. (c / Foto: Schelbert)


Die Begründung zum jüngsten Entwurf des Apotheken-Stärkungsgesetzes liefert überzeugende Argumente für das bestehende Apothekensystem mit einer Preisbindung. Sie enthält einige erfreuliche, längst überfällige Klarstellungen zur Funktionsweise des Systems. Dennoch steckt darin zumindest an zwei Stellen großes Gefahrenpotenzial für die Vor-Ort-Apotheken, meint Dr. Thomas Müller-Bohn in einem Kommentar.

Die Begründung im jüngsten vorliegenden Entwurf für das Apotheken-Stärkungsgesetz liest sich überzeugend: Die einheitlichen Apothekenabgabepreise aufzugeben, würde das Sachleistungs- und das Solidaritätsprinzip als tragende Strukturprinzipien des Systems unterlaufen. Die Patienten sollten die Leistungen ohne wirtschaftliche Überlegungen in Anspruch nehmen können. Rabatte und Boni, die bei den Versicherten verbleiben, würden das Solidaritätsprinzip unterwandern. Auch die Folgen für die Apotheken werden angesprochen. Diese könnten die Umlenkung relevanter Patientengruppen durch Rabattanreize nicht kompensieren und müssten dann ebenfalls Rabatte anbieten. Bei der geltenden Preisbindung würden marktübliche Rabatte von 3 bis 5 Euro pro Packung zu „Einbußen von 30 bis 60 Prozent des Ertrags in der GKV-Arzneimittelversorgung“ führen, heißt es in der Begründung. Gemeint sind allerdings 30 bis 60 Prozent des Rohertrags! Denn solche Rabatte würden nicht nur den Gewinn aufzehren, sondern wesentliche Teile der Spanne, aus der die Apotheken ihre Kosten finanzieren. Das hätte man deutlicher formulieren können.

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Gegenargumente zur Monopolkommission

Sehr deutlich ist dagegen die Darstellung zur Funktion der Zuzahlung. Es wird ausdrücklich erklärt, dass dies kein Entgelt für die Leistung der Apotheke ist, sondern „eine eigenständige öffentlich-rechtliche Geldleistungspflicht des Versicherten“ gegenüber der GKV. Diese Klärung war überfällig. Sie kann als klare Absage an Pläne der Monopolkommission und einiger Ökonomen verstanden werden, die eine Umwandlung der Zuzahlung in ein variables Apothekenentgelt vorgeschlagen hatten.

Diese seit Jahren immer wieder vorgebrachten Gedankenspiele würden dem Sinn der Zuzahlung zuwiderlaufen und wären für die Apotheken ruinös. Hoffentlich gräbt die Positionierung des Bundesgesundheitsministeriums auch über das aktuelle Gesetz hinaus solchen Ideen das Wasser ab.

Bedrohung für Selbstzahler-Preisbindung im Inland

Insgesamt ist die Gesetzesbegründung ein gelungenes Plädoyer für das bestehende System. Die meisten Argumente würden mit kleinen Umformulierungen auch für die Preisbindung insgesamt funktionieren, also inklusive Selbstzahler. Eine solche Reaktion des Ministeriums auf die Anfrage des OLG München zur Erklärung der Preisbindung zu einem früheren Zeitpunkt hätte die Entwicklung möglicherweise in andere Bahnen lenken können. Doch jetzt werden die guten Argumente gewissermaßen für die Rechtfertigung der Preisbindung in der GKV „verbraucht“. Damit liegt die Frage nahe, welche Argumente noch bleiben, um die Preisbindung für Selbstzahler zu begründen. Offenbar wird die Preisbindung bei Selbstzahlern als weniger notwendig eingestuft. So könnte die neue Gesetzesbegründung, gerade weil sie so überzeugend ist, zum Anfang für das Ende der inländischen Preisbindung für Selbstzahler werden. Doch die Selbstzahler-Rezepte bieten den Apotheken die höchste Spanne. Damit leisten sie einen überproportionalen Beitrag für das System. Dieses Argument fehlt in der Begründung zum Gesetzentwurf, und es bleibt auch in den vorgesehenen Regelungen unbeachtet. Stattdessen droht dieser wesentliche Beitrag für die Finanzierung der Vor-Ort-Apotheken langfristig verloren zu gehen.

Bastelanleitung für Hüffenhardt 2.0

Noch an einer anderen Stelle wirkt die Begründung für den jüngsten Gesetzentwurf aus Apothekerperspektive irritierend. Die Rechtfertigung für automatisierte Ausgabestationen an Vor-Ort-Apotheken mit klar beschriebenen Bedingungen ist überzeugend. Der Gedanke, dass automatisierte Ausgabestationen sich nicht den Anschein einer Präsenzapotheke geben sollten, war auch in den Gerichtsentscheidungen zum Automaten in Hüffenhardt wesentlich.

Doch im neuen Gesetzentwurf geht es anschließend um automatisierte Ausgabestationen, die „den besonderen Bedingungen des Versandhandels Rechnung tragen“. Solche Ausgabestationen sollen nach dem jüngsten Entwurf nicht innerhalb der Betriebsräume der Versandapotheke liegen müssen und nicht vom Personal der Versandapotheke bestückt werden müssen. Doch diese Vorgaben lesen sich wie eine Bastelanleitung für einen Automaten vom Typ Hüffenhardt 2.0. In Verbindung mit einem E-Rezept wäre demnach ein Automat zulässig, der von einem Apotheker ferngesteuert ein Arzneimittel aus einem Kommissionierer in ein Abholfach verschiebt und dabei auch noch die Securpharm-Prüfung durchführt. Doch das wäre gerade der zuvor kritisierte Fall, bei dem ein Automat den Anschein einer Präsenzapotheke vermittelt. So widerspricht sich die Begründung des Entwurfs an dieser Stelle selbst. Damit eröffnet der Entwurf hier ein weiteres Problem für die Vor-Ort-Apotheken, die das Gesetz doch stärken will. Doch dies alles ist ein Entwurf, und es bleibt die Hoffnung auf weitere Änderungen.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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