Nienburg / Weser

Apotheke mit Gemeinwohl-Ökonomie-Zertifikat ausgezeichnet

Berlin - 16.08.2019, 17:30 Uhr

Apothekerin Dr. Anja Thijsen (rechts i.B.) freut
sich mit ihren Mitarbeiterinnen Apothekerin Antje Herbst und den PTAs Ulrike
Michau und Polina Kazuba (v.li.) über das Gemeinwohl-Ökonomie-Zertifikat. (Foto: Apotheke am Goetheplatz)                         

Apothekerin Dr. Anja Thijsen (rechts i.B.) freut sich mit ihren Mitarbeiterinnen Apothekerin Antje Herbst und den PTAs Ulrike Michau und Polina Kazuba (v.li.) über das Gemeinwohl-Ökonomie-Zertifikat. (Foto: Apotheke am Goetheplatz)                         


Die Apotheke am Goetheplatz in Nienburg / Weser ist eines von zwei Unternehmen des Kreises, das mit dem Zertifikat der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) ausgezeichnet ist. Inhaberin Dr. Anja Thijsen möchte mittels einer umfassenden Gemeinwohlbilanz das Handeln ihrer Apotheke transparent öffentlich darstellen. DAZ.online hat bei der Apothekerin nachgefragt, um was es dabei eigentlich geht.

Die Beiträge eines Unternehmens für das Gemeinwohl sichtbarer machen, ist eine der Ideen der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ). Hinter der GWÖ steckt eine im Jahre 2010 in Österreich gegründete, nach eigenen Angaben  „bürgerschaftliche Bewegung“, die sich einem nachhaltigen und sozialen Wirtschaftssystem verschrieben hat. Das Modell der Gemeinwohl-Ökonomie sei ein offenes Konzept, das stetig weiterentwickelt werden könne. Es handele sich um eine liberale und ethische Marktwirtschaft, die ein Gemeinwohl-Streben gegenüber einem reinen Gewinnstreben in den Mittelpunkt stelle. 

Zusammenfassend gibt die GWÖ an: „Wir engagieren uns für die Umsetzung der Idee der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) in allen Bereichen der Gesellschaft.“ Das Herzstück bilde die sogenannte Gemeinwohl-Bilanz. Sowohl Unternehmen als auch Hochschulen, Gemeinden und andere Organisationen könnten eine solche Bilanz erstellen und somit ihre Beiträge zum Gemeinwohl transparent darstellen. Die Gemeinwohlbilanz erfülle die seit dem 1. Januar 2017 in Kraft getretene EU-Berichtspflicht zu nichtfinanziellen Informationen (NFI).

Engagiert für nachhaltige Unternehmensstrategien und Naturschutz

Apothekerin Dr. Anja Thijsen ist eine engagierte Frau. Als Inhaberin der Nienburger Apotheke am Goetheplatz stehe sie für nachhaltige Unternehmensstrategien – berichtet sie im Gespräch mit DAZ.online. Als zweite Vorsitzende des Kreisverbandes des Naturschutzbundes (NABU) in Nienburg / Weser engagiere sie sich seit 2013 – damals noch nicht im Vorstand – unter anderem für Umweltbildung, naturgerechte Gartengestaltung und naturschutzpolitische Themen.

Seit 2004 lebt Thijsen in der kleinen niedersächsischen Stadt Nienburg / Weser. 2007 ergab sich für sie die Möglichkeit zur Übernahme der seit 1978 bestehenden Apotheke am Goetheplatz. Die kleine Apotheke sei eine fast reine Rezept-Apotheke mit vielen Stammkunden, berichtet Thijsen. Mit einem Team aus fünf Teilzeitmitarbeiterinnen versorge sie den Einzugsbereich ihrer Apotheke. Ende 2016 sei sie durch den Initiator der GWÖ-Bewegung in Nienburg auf das Modell aufmerksam gemacht worden: „Mit diesem Wirtschaftsmodell hat er mich sehr begeistert.“ So habe sie sich für eine Bilanzierung ihres Betriebes nach Vorgaben der GWÖ entschieden.

Gemeinwohl-Bilanz – Transparent und öffentlich einsehbar

Wie nachhaltig und sozial ein Betrieb wirtschaftet, wird mit Hilfe der sogenannten Gemeinwohl-Bilanz ermittelt. Am Schluss erhält ein Unternehmen, dass eine vollständige Bilanz vorlegen kann, ein zeitlich begrenztes Zertifikat. „Es gibt mehrere Prozessmöglichkeiten, wie man dieses Zertifikat erlangt. Wir haben den Weg der Peer-Evaluierung gewählt“, so Thijsen. Die Peer-Group habe aus mehreren Unternehmen der Region bestanden, die sich gegenseitig unter Supervision einer GWÖ-Unternehmensberaterin bewertet hätten.

„Es gibt eine Bewertungsmatrix. Man bewertet bestimmte Berührungsgruppen beispielsweise Lieferanten, Mitarbeitende, Kunden, Mitunternehmen und das gesellschaftliche Umfeld. Der Umgang, den wir als Unternehmen mit diesen Gruppen haben, wird bewertet hinsichtlich Menschenwürde, hinsichtlich Solidarität und Gerechtigkeit, hinsichtlich ökologischer Nachhaltigkeit und hinsichtlich Transparenz und Mitentscheidung“, erläutert die Apothekenleiterin. Wichtig sei aber vor allem, dass sie hinterher verpflichtet seien, den Bericht öffentlich zur Verfügung zu stellen.

Handeln in eine messbare Form bringen

Wo steht der eigene Betrieb – vor allem auch im Vergleich zu anderen Unternehmen? Diese Frage stellte sich auch Anja Thijsen. So sei es für sie wichtig neben einer nachhaltigen Unternehmensstrategie auch hochwertige Arbeitsplätze anzubieten. Dies sei gerade in der heutigen Situation wichtig, in der immer mehr Apotheken Schwierigkeiten hätten, Personal zu finden. Zudem wolle sie mit dem Bericht darstellen, wie wichtig Vor-Ort-Apotheken für die ganze Gesellschaft seien. Dafür böte sich das Modell der GWÖ-Bilanzierung an, da es „Handeln in eine messbare Form“ überführe.  

Die bewerteten Punkte sind sehr komplex und berühren verschiedenste Bereiche eines Apothekenbetriebes. So geht es vom Miteinander der Apothekenmitarbeiter über Ressourcen-schonende Arbeitsweisen bis hin zu möglichst umweltverträglichem und nachhaltigem Verhalten. „Ich arbeite unheimlich gerne branchenübergreifend. Ich finde es sehr schön und sehr spannend in andere Betriebe mal reinzuschauen“, so Thijsen. Sie habe so im Rahmen der Peer-Evaluierung viel über die Arbeitsweisen zum Beispiel eines landwirtschaftlichen Bio-Betriebes und einer ökologisch ausgerichteten Kaffeerösterei erfahren.  

Arzneimittel wenig transparent hinsichtlich Nachhaltigkeit

„Im Rahmen der Zertifizierung ist mir aufgefallen, dass wir im Gegensatz zu vielen anderen Branchen überhaupt nicht wissen, was wir verkaufen. Wir wissen sehr wenig über die Herstellungsbedingungen der Medikamente oder über die Lieferketten.“ Anja Thijsen beschreibt eine Situation, in der sie das Gefühl habe, „lauter Black-Boxes“ zu verkaufen. Das sei bei Bio-Möhren zum Beispiel ganz anders. Doch seien sie als Apotheke zur Abgabe der verordneten Medikamente verpflichtet. Entscheiden würden andere, die Ärzte und die Krankenkassen. 

„Wer einen Schnupfen oder eine Erkältung hat und im Prinzip sehr nachhaltig eingestellt ist, der hat die Möglichkeit, seine Bio-Zitronen beim Händler des Vertrauens zu kaufen. Er hat aber in der Apotheke seines Vertrauens nicht die Möglichkeit, ein ökologisches nachhaltiges Produkt zu erwerben, weil es absolut nicht transparent ist“, resümiert Thijsen.

Krankenkassen um Stellungnahme gebeten

„Wir sind im Team auf die Idee gekommen, dass wir doch einfach mal Krankenkassen anschreiben und nachfragen, unter welchen Kriterien die Rabattverträge geschlossen werden, ob das nur rein wirtschaftliche Kriterien sind oder ob so Sachen wie Nachhaltigkeit, Menschenwürde und soziale Gerechtigkeit auch eine Rolle spielen.“ Zehn Krankenkassen hätten sie kontaktiert. Sie hätten daraufhin sehr unterschiedliche Antworten erhalten: Die Antworten reichten von der Berücksichtigung rein ökonomischer Gesichtspunkte bis hin zur Angabe, dass Nachhaltigkeitskriterien eine wichtige Rolle spielen würden. 

Das Arzneimittelgesetz erlaube allerdings nicht, Bio- oder Nachhaltigkeitslabel auf Arzneimittelpackungen anzubringen oder damit zu werben, bedauert Thijsen ausdrücklich. Dies habe ihnen auch die Firma Bionorica, einer der führenden Hersteller pflanzlicher Arzneimittel, geantwortet. Auch über die Bedingungen, unter denen Großhändler ihre Mitarbeiter arbeiten lassen, gäbe es keine Transparenz. „Wir sehen bei den Großhändlern das letzte Glied und können schauen, wie es den Leuten geht, die uns die Ware bringen. Da haben wir schon Unterschiede festgestellt zwischen den unterschiedlichen Großhändlern“, so Thijsen.



Inken Rutz, Apothekerin, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


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