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Für den Fall eines No Deal
Brexit: Apotheker sollen koordinieren helfen
In Sachen Brexit sind die Briten immer wieder für Überraschungen gut: Noch vor wenigen Tagen sah alles nach „no Deal“ aus. Seit dem heutigen Donnerstag winkt möglicherweise doch ein geordneter Austritt – wenn es eine Parlamentsmehrheit dafür gibt. Wie auch immer, die britische Regierung hat in den letzten Monaten alle Hebel in Bewegung gesetzt, um am Tag X auch für den „worst case“ gerüstet zu sein. Trotzdem bleiben viele Imponderabilien.
Seit Monaten laufen in Großbritannien die politischen Räderwerke heiß, um die Auswirkungen eines ungeregelten Brexits für die Bewohner des Landes so erträglich wie möglich zu gestalten. Besonders im Fokus ist dabei der sensible Gesundheitsbereich, allem voran, die Arzneimittelversorgung. Ein neuer Bericht des Nationalen Rechnungshofs, der die Vorbereitungen und Finanzinvestitionen der Ministerien im Zusammenhang mit dem EU-Austritt des Landes im Auge behält, liefert ein aktuelles Fakten-und Stimmungsbild.
Wie aus dem Bericht hervorgeht, kommen in Großbritannien 7.000 der insgesamt 12.300 verschreibungspflichtigen und rezeptfreien Arzneimittel aus oder über die EU, die meisten davon über den kurzen Ärmelkanalweg, das heißt über die Fährrouten von Calais und Dünkirchen nach Dover oder durch den Kanaltunnel. Außerdem kommt mehr als die Hälfte der klinischen Verbrauchsmaterialien aus oder über die EU ins Land, der Löwenanteil ebenfalls über den Ärmelkanal, genauso wie die Hälfte der Lieferungen, die für klinische Prüfungen benötigt werden.
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Im Dezember 2018 hat Gesundheitsministerium sämtliche Vorkehrungen für den Fall eines EU-Austritts ohne Abkommen in einem einzigen „Continuity of Supply Programme“ gebündelt, um die Versorgung weiterhin sicherzustellen. Nach Schätzungen des Ministeriums sind seitdem bereits über fünfzig Millionen Pfund in das Programm geflossen. Bis März 2020 werden weitere Aufwendungen in Höhe von rund 37 Millionen Pfund veranschlagt.
Alternative Frachtwege keineswegs gesichert
Am ersten Tag nach einem No-Deal-Brexit wird im worst case mit einem Rückgang auf 40 bis 60 Prozent der normalen Transportkapazität über die kurzen Kanalübergänge gerechnet. Nach drei Monaten soll sich der Warenfluss auf 50 bis 70 Prozent des derzeitigen Levels verbessern und innerhalb von zwölf Monaten wieder das aktuelle Niveau erreichen. Es werden also dringend alternative Wege gebraucht. Nach den Ergebnissen einer Umfrage des Gesundheitsministeriums, an denen sich knapp 70 Prozent der Pharmalieferanten (90 Prozent des Marktes) beteiligt haben, sollen bis zum 20. September nur für rund ein Viertel der Arzneimittel-Produktlinien alternative Frachtkapazitäten gesichert worden seien.
Aufbau eines Frachtdienstleister-Pools und 24-Stunden Kurier-Service
Das britische Transportministerium beschafft derzeit im Auftrag der Regierung ebenfalls Frachtkapazitäten außerhalb der kurzen Kanalübergänge. Über diese sollen vorrangige Güter transportiert werden, zu denen auch Arzneimittel und medizinischen Bedarf gehören. So langsam wird die Zeit allerdings knapp. Nach den Planungen soll über einen Rahmenvertrag ein Pool von Frachtdiensten eingerichtet werden. Dieser wurde allerdings erst am 20. September 2019 in trockene Tücher gebracht. Derzeit laufen die Bewerbungsverfahren zur Teilnahme an dem Frachtdienstleister-Pool.Daneben will das Gesundheitsministerium seinerseits einen speziellen Kurier-Service einrichten, der dringend gebrauchte Güter transportieren soll, wenn die Lieferanten dies nicht bewerkstelligen können. Für den Service werden 25 Millionen Pfund bereitgestellt. Er ist vorgesehen für die Lieferung kleiner Pakete von Arzneimitteln oder Medizinprodukten auf 24-Stunden-Basis, verbunden mit der Möglichkeit, größere Palettenmengen auf 2- bis 4-Tage-Basis zu verschicken.
Soeben hat das Department of Health and Social Care mit den drei Unternehmen UPS, DFDS und Biocair Aufträge für den Expressfrachtdienst unter Dach und Fach gebracht. „Das ist nur ein Element unserer detaillierten und robusten Vorbereitungen für den Brexit, der außerdem die Vorratshaltung und zusätzliche Fährkapazitäten umfasst“, kommentiert der Minister für Gesundheit und Soziales Matt Hancock die Auftragsvergabe. „Wir haben jetzt detaillierte Pläne für jedes Medikament, auch für solche mit kurzer Haltbarkeit, um sicherzustellen, dass die Versorgung mit Medikamenten und medizinischen Produkten nach dem Brexit ohne Unterbrechung weiter läuft.“
Pläne ja, aber de facto sind dem Ministerium in der Praxis weitgehend die Hände gebunden, denn es ist in die verschiedenen Lieferwege nicht involviert und kann lediglich dann gezielt eingreifen, wenn es Engpässe gibt. Ansonsten bleiben nur Appelle und Ermahnungen an die Beteiligten.
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Aufbau von Lagervorräten und zusätzliche Lagerflächen
So hat das Department of Health and Social Care die Pharmalieferanten dazu aufgefordert, bis zum 31. Oktober ein ausreichendes Vorratslager an Arzneimitteln aufzubauen, das den Standardbedarf von sechs Wochen abdeckt. Die Firmen werden vom Ministerium dahingehend „überwacht“, ob sie der Bitte nachkommen. Bis Mitte September sollen nach Angaben der Pharmalieferanten für 72 Prozent der Arzneimittel-Produktlinien entsprechende Lagervorräte angelegt worden sein.
Als Notfallmaßnahme hat das Ministerium zusätzliche Lagerflächen gesichert. Im Dezember 2018 und Januar 2019 unterzeichnete das DH Zwölfmonatsverträge mit drei spezialisierten Anbietern von Lagerflächen, um zusätzliche Lagerkapazität für 58.850 Paletten bereitzustellen, davon 5.000 mit Kältetechnik und 850 für Arzneimittel mit einer besonderen Temperaturkontrolle.
Brexit-bedingte Lieferengpässe: Apotheker dürfen von Verordnungen abweichen
Das Gesundheitsministerium schätzt, dass im Falle eines No-Deal-Brexits Ende Oktober aller Voraussicht nach rund einhundert Arzneimittel von Verknappungen betroffen sein könnten. Schon im März dieses Jahres war ein zentrales Team unter Beteiligung öffentlicher Apotheker geschaffen worden, um diese möglichst gut in den Griff zu bekommen. Es soll vor dem Stichtag noch mit weiteren Apothekern verstärkt werden. Außerdem wurde eine „medicines shortage response group“ eingerichtet, die die Kommunikationswege zu den Allgemeinarztpraxen und öffentlichen Apothekern verstärkt soll.
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No-Deal-Brexit: Regierung rechnet mit Arzneimittel-Engpässen
Die öffentlichen Apotheken werden bei der Bewältigung etwaiger Brexit-bedingter Lieferengpässe auch durch das neue Instrument der „Serious Shortage Protocols“ in die Pflicht genommen. Im Rahmen solcher Protokolle sollen öffentliche Apotheker im Falle eines Engpasses unter bestimmten Umständen ein anderes als das verschriebene Arzneimitteln abgeben dürfen. Am 3. Oktober hatte das DH das erste „serious shortage protocol“ für Fluoxetin herausgegeben und bei der Gelegenheit betont, dass diese Maßnahme eine bestehende Knappheit beheben sollte und nichts mit dem Brexit zu tun habe.
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