Wirkstoffe an die Wurzel bringen

Studie über Haarfollikel als Arzneimittel-Depot

Düsseldorf - 09.12.2019, 09:00 Uhr

Interessant für die Anwendung von Nanopartikeln an der Haut ist ihr Eindringen in die Haarfollikel. (c / Foto: Universität des Saarlandes)

Interessant für die Anwendung von Nanopartikeln an der Haut ist ihr Eindringen in die Haarfollikel. (c / Foto: Universität des Saarlandes)


Forscher der Universität des Saarlandes und des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland haben jetzt untersucht, wie sich auch bei kreisrundem Haarausfall Wirkstoffe lokal über die Haut applizieren lassen.

„Nanopartikel können in der pharmazeutischen Technologie als Arzneistofftransportsysteme genutzt werden und sind in vielen Krankheitsgebieten einsetzbar. Sie dienen sozusagen als Wirkstofftaxis und können je nach Bestimmungsort, der erreicht werden soll, angepasst werden. Interessant für die Anwendung von Nanopartikeln an der Haut ist ihr Eindringen in die Haarfollikel“, erklärt Dr. Brigitta Loretz. Die Forscherin arbeitet am Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland HIPS) in der Gruppe von Professor Claus-Michael Lehr. Gemeinsam mit der Forschungsgruppe sowie Forschern um Professor Thomas Vogt, dem Direktor der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie an der Uniklinik der Universität des Saarlandes, und Forschern des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung in Braunschweig hat sie sich im Zusammenhang mit Nanopartikeln den menschlichen Kopf genauer angeschaut.

Dass Wirkstoffe sich über die Haarfollikel in den Körper einschleusen lassen, hatten Forscher bereits gezeigt. „Dieses Phänomen wurde im Rahmen von Untersuchungen zur Sicherheit topisch applizierter Nanopartikel entdeckt – wie etwa Titandioxid als Sonnenschutz“, erklärt Loretz. Nun konnten die Wissenschaftler erstmals zeigen, dass der Mechanismus auch bei den Kopfhaaren des Menschen funktioniert, schreiben sie in ihrer Veröffentlichung. Und das auch dann, wenn an der betreffenden Stelle gar keine Haare mehr sind.

Wirkstoff direkt an den Wirkort in den Haarfollikeln

Ganz konkret hatten sich die Pharmazeuten, Mediziner und Biologen dabei den kreisrunden Haarausfall angesehen, Alopezia Areata. Veröffentlicht haben die Forscher die Ergebnisse ihrer Studie  in der Fachzeitschrift Journal of Investigative Dermatology .

Beim kreisrunden Haarausfall handelt es sich um einen entzündlich bedingten, aber reversiblen Haarausfall, bei dem kreisrunde kahle Stellen auf dem Kopf entstehen. Bislang werden Medikamente dagegen entweder systemisch als Tabletten gegeben oder großflächig auf der Kopfhaut verteilt. „Um die Arzneimittelbelastung zu minimieren, wäre es von Vorteil, die Wirkstoffe direkt an ihren Wirkort, nämlich die Haarfollikel, zu bringen“, sagt Lehr.

Für die Studie markierten die Forscher biologisch abbaubare Biopolymerpartikel mit Fluoreszenz-Farbstoffen. So verfolgten sie, wo sich die Partikel anreichern. Für die Studie wurde menschliche Unterarmhaut und menschliche Kopfhaut verglichen – an gesunden Probanden, bei kürzlich verstorbenen Körperspendern sowie Patienten mit kreisrundem Haarausfall. Mit dermatologischen Untersuchungen, bei denen die Haut mikroskopisch bis in die tieferen Schichten untersucht wird, zeigte sich, dass in den Haarfollikeln ein Wirkstoffdepot angelegt wird, in dem das Medikament eingekapselt auch gegen äußere Einflüsse wie Waschen geschützt sei. „Die Nanopartikel lagern sich im oberen Teil der Haarfollikel ab. Wir nehmen an, dass sie das Medikament kontrolliert freisetzen und dass es von dort an den Grund des Haarfollikels diffundiert und von den follikulären Epithelzellen und Immunzellen aufgenommen wird“, erklärt Vogt.

 Bislang nur mit Partikel ohne Wirkstoff gearbeitet

Allerdings arbeitete man bislang mit Dummys. „In den Nanopartikeln, welche bislang genutzt wurden, um die Deposition im Haarfollikel zu zeigen, war bislang noch kein Wirkstoff enthalten“, sagt Loretz. Die Herstellung dieser Partikel und das Zeigen der biologischen Effizienz sei nun der nächste Schritt, sagt sie. Dabei sei man später auch nicht nur auf den kreisrunden Haarausfall fokussiert.

„Beispiele möglicher Anwendungen an der Haut sind der Transport von Antigenen im Sinne einer Schutzimpfung oder Desensibilisierung. Eine Anwendung im Haarfollikel könnte auch zur Therapie von entzündlichen oder infektiösen Erkrankungen derselben wie bei Akne Inversa genutzt werden“, erklärt die Forscherin. Grundsätzlich könnten so alle Wirkstoffe appliziert werden, bei denen es Sinn ergebe, „durch eine Nanopartikelherstellung entweder die Löslichkeit zu erhöhen oder einen gezielten Wirkstofftransport zu garantieren“, sagt Loretz. So ließen sich durch gezielten Arzneimitteltransport unerwünschte Wirkungen reduzieren und die Depotfunktion nutzen, um weniger oft Wirkstoff applizieren zu müssen.

„Bei der Behandlung der Alopecia werden Immunsuppressiva verabreicht wie klassische Kortikosteroide oder auch moderne Januskinase-Inhibitoren. Der Vorteil der targetierten Applikation über die Haarfollikel ist eine Verbesserung der Bioverfügbarkeit am Wirkort bei gleichzeitiger Reduktion der systemischen Exposition und damit verbundener unerwünschter Wirkungen“, erklärt sie.

Kombination von Wirkstoff und Nanopartikel muss noch alle Studien durchlaufen

Als Partikel nutzten die Forscher PLGA-Nanopartikel, also Polymilch- und Glykolsäure-Partikel. „Diese Partikel setzen bei ihrer Zersetzung Milch- und Glykolsäure frei, welche im Körper abgebaut wird. Die Degradationszeit des Polymers wird vom Hersteller mit unter drei Monate angegeben. Allerdings wurde auch gezeigt, dass solche Partikel bis zu zehn Tage in den Haarfollikeln nachweisbar sind, sehr wahrscheinlich werden sie mit dem Sebum-Fluss langsam wieder aus dem Haarfollikel heraustransportiert“, sagt Loretz.

Bis die Methode allerdings Marktreife erlangt, könnte noch Zeit vergehen. „Das könnte noch dauern. Zuerst muss der passende Wirkstoff eingeschlossen werden und es müsste in klinischen Studien die Wirksamkeit und auch die Sicherheit solcher Formulierungen gezeigt werden oder überprüft werden. Für viele der einzusetzenden Arznei- und Hilfsstoffe ist die Sicherheit bei topischer Applikation bereits überprüft worden. Für Nanopartikel geeigneter Kombinationen derselben ist dies aber gleichwohl noch immer zu überprüfen“, sagt sie.

Im nächsten Schritt der Forschungsarbeiten will man zunächst Partikel mit Wirkstoff beladen und dann die Effekte der unbeladenen mit denen der beladenen in den Vergleich stellen.



Volker Budinger, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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