Mutmaßliche Korruption

Großrazzia bei Ärzten und Apothekern – Droht ein neuer Zyto-Skandal?

Berlin - 17.12.2019, 11:45 Uhr

Die Staatsanwaltschaft Hamburg und die Polizei haben am heutigen Vormittag 47 Objekte in mehreren Bundesländern durchsucht. Bei Ärzten, Apothekern und Zyto-Unternehmen besteht der Verdacht auf Abrechnungsbetrug. (c / Foto:: imago images / Lars Berg)

Die Staatsanwaltschaft Hamburg und die Polizei haben am heutigen Vormittag 47 Objekte in mehreren Bundesländern durchsucht. Bei Ärzten, Apothekern und Zyto-Unternehmen besteht der Verdacht auf Abrechnungsbetrug. (c / Foto:: imago images / Lars Berg)


Wegen des Verdachts des Abrechnungsbetrugs mit Zytostatika haben hunderte Polizisten am Dienstagmorgen 47 Objekte in Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen durchsucht. Die Ermittlungen richteten sich gegen 14 Beschuldigte, darunter neun Ärzte, drei Apotheker und zwei Geschäftsführer von Pharmafirmen, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Hamburg. Betroffen ist offenbar einer der Platzhirsche im Zytostatika-Markt: ZytoService. Die Zahlen des Unternehmens zeigen: Ein Großteil der Zyto-Versorgung in (Nord-)Deutschland läuft über ZytoService.

Einer Meldung des NDR zufolge haben um 9 Uhr insgesamt 420 Polizisten und sechs Staatsanwälte die Hamburger Firma ZytoService sowie 47 Objekte im Umfeld des Unternehmens untersucht. Dazu gehören Privathäuser, Arztpraxen, Apotheken, ein Krankenhaus und mehrere Firmensitze in Hamburg. Dem NDR zufolge handelt es sich um die größte Razzia, die in Hamburg je von der Wirtschaftsstaatsanwaltschaft angeordnet wurde, es gehe um Bestechung und Betrug.

Nach Recherchen des ARD-Magazins „Panorama“ (NDR) und „Zeit Online“ soll die Firma Ärzte mutmaßlich bestochen und durch ein offenbar illegales Geschäftsmodell an lukrative Rezepte von Onkologen gelangt sein. Seit Januar 2017 sollen einzelne Ärztinnen und Ärzte neben sogenannten „Kickback“-Zahlungen in Höhe von mehr als 500.000 Euro auch „rückzahlungsfreie Darlehen, Nutzung luxuriöser Fahrzeuge oder anderweitige geldwerte Zuwendungen“ wie Praxiseinrichtungen erhalten haben.

Das mutmaßliche Geschäftsmodell soll den Recherchen zufolge so konstruiert gewesen sein: Die Ärzte sollen Infusionen regelmäßig nur bei einer Apotheke aus „dem Umfeld von Zytoservice“ bestellt haben. Diese soll die Rezepte dann weiter an den Hersteller Zytoservice gereicht haben. Der lieferte dann die Infusionen an die Ärzte. In der ARD-„Tagesschau“ sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft dazu: „Die Staatsanwaltschaft Hamburg ermittelt, weil sie dem Verdacht nachgeht, dass diese Apotheker durch finanzielle Vorteile versucht haben, Ärzte an sich zu binden – zum Beispiel Sponsoring von Praxiseinrichtungen.“*

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NDR-Recherchen: Schaden in Millionenhöhe

Allein der Techniker Krankenkasse soll seit Januar 2017 der Meldung zufolge ein Betrugsschaden von 8,6 Millionen Euro entstanden sein. Die Hamburger Staatsanwaltschaft wirft den Hauptbeschuldigten demnach „Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen und Betrug“ vor. Manager von ZytoService, darunter die drei Gründer, sollen „jeweils gewerbsmäßig und als Mitglied einer Bande“ gehandelt haben.

Auch gegenüber der Nachrichtenagentur dpa bestätigte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft: „Es geht um Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen und Abrechnungsbetrug, beides im Zusammenhang mit der Verordnung und Abrechnung von Zytostatika.“ Der potenzielle Schaden liege „deutlich in Millionenhöhe“.

Derzeit werden mögliche Beweise sichergestellt. Betroffen war laut dpa auch eine Apotheke in der Hamburger Innenstadt. Polizisten trugen dort am Morgen Umzugskartons zum Abtransport der Beweismittel in die Geschäftsräume. Haftbefehle gegen die Beschuldigten lägen jedoch nicht vor, sagte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft.

DAK schaltet Info-Hotline

Die DAK hat inzwischen auf die Ermittlungen reagiert und bietet ihren Versicherten eine Info-Hotline zu dem Thema an. Es sei nicht davon auszugehen, dass die onkologischen Therapien selbst fehlerhaft waren oder Medikamente gestreckt oder verunreinigt wurden und dadurch eine Gefahr für die Patienten entstanden ist, teilte die Kasse in einer ersten Einschätzung mit. Das betrügerische Konstrukt habe vielmehr zu hohen finanziellen Schäden bei den Kassen geführt. Für Versicherte, die selbst von einer Krebstherapie, vor allem einer parenteral zytostatischen Therapie beziehungsweise Chemotherapie betroffen sind, Angehörige in onkologischer Behandlung haben oder sich über eventuelle Auswirkungen auf die Arzneimittelversorgung informieren möchten, hat die DAK ab sofort eine Info-Hotline geschaltet. Die Hotline unter der Rufnummer 040 / 325 325 975 ist von Montag bis Freitag von 8 bis 11 Uhr besetzt sowie Montag bis Donnerstag zusätzlich von 14 bis 16 Uhr.

Details über die Branchengröße ZytoService

Das 2002 gegründete Unternehmen ZytoService hat eine dominierende Stellung in dem Markt. 2017 hat die Firma nach eigenen Angaben rund 425.000 parenterale Zubereitungen hergestellt und damit von Hamburg-Jenfeld aus über krankenhausversorgende und Krankenhaus-Apotheken bundesweit über 150 Ärzte und Krankenhäuser beliefert. Entsprechend groß sind die Kapazitäten an dem Standort mit seinen über 300 Mitarbeitern: Der verfügt über 500 Quadratmeter Reinraumfläche, sechs Labore und 24 Werkbänke für die Zytostatika-Herstellung.

Im Dezember 2017 teilte Zytoservice mit, die Herstellungskapazitäten der GHD Gesundheits GmbH Deutschland-Tochter Profusio für die Herstellung von patientenindividuellen Zytostatika in Haan, München und Leipzig übernehmen zu wollen. Ab Februar 2018 werde Zytoservice damit über vier deutsche Standorte mit über 450 Mitarbeitern verfügen und könne damit „beinahe jede Apotheke in Deutschland innerhalb von vier Stunden versorgen“, erklärte das Unternehmen im vergangenen Jahr gegenüber der DAZ.

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Dynamik hinter den Kulissen

Enno Scheel, Gesellschafter und Geschäftsführer der Zytoservice Deutschland-Unternehmensgruppe, sagte damals dazu: „Wir … haben jetzt die einmalige Gelegenheit, unsere Herstellungskapazitäten im Bereich der Zytostatika-Herstellung so auszuweiten, dass wir mit den zusätzlichen Standorten eine schnelle und regionale Versorgung … deutschlandweit realisieren können.“

Branchenkenner schätzen, dass dieser Schritt gravierende Auswirkungen für den Markt haben dürfte. Insbesondere Zytostatika-versorgende Apotheken vor Ort könnten in Bedrängnis kommen, aber auch Anbieter wie Medipolis und Omnicare.

2016 hatte das Unternehmen einen Umsatz von 219,5 Millionen Euro erwirtschaftet. Die Anteile werden seit Ende 2016 zu zirka 74 Prozent von dem Private Equity-Unternehmen IK Investment Partners und zu rund 26 Prozent vom Management gehalten. IK Investment Partners ging ursprünglich aus der schwedischen SE Banken hervor und fokussiert sich mit seinen Investments auf Nordeuropa.

Für die Zukunft gibt sich das Unternehmen optimistisch: „Die ständig steigende Anzahl von neuen Apothekenkunden zeigt uns, dass viele Apotheker in der wohnortnahen Versorgung das ganze Spektrum der Arzneimittelversorgung anbieten möchten, aber die eigene Sterilherstellung zu aufwendig, teuer und riskant geworden ist.“

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*Hinweis der Redeaktion: Wir haben den Text mit weiteren Statements der Staatsanwaltschaft und der Reaktion der DAK aktualisiert. (Stand: 17.12., 20:40 Uhr)



bro / dpa
brohrer@daz.online


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2 Kommentare

Man bekommt was man bestellt

von ratatosk am 18.12.2019 um 9:05 Uhr

Die Zuweisung ist natürlich eingetreten, da die Politik dies so gesteuert hat. Macht sie ja hier bald in jedem Bereich. Diese Zuweisung ist natürlich illegal, aber da es nicht im politischen Interesse ist, wird hier von von den Ämtern oder der Kasse natürlich nicht geprüft, offensichtlich hat aber die Staatsanwaltschaft doch noch gehandelt. Wenn kein direkter Abrechnungsbetrug mit Luftpatienten vorliegt, ist aber nicht klar, wo der Schaden für die GKV liegen soll. Bei korretkter Taxierung ist es ja egal wer es herstellt. Das Ziel der GKV ist es ja gerade überall solche anfälligen Strukturen zu installieren, die Aufregung soll wohl diese Interessen verschleiern. Natürlich wäre es nicht zu dieser Struktur gekommen, wenn die Patienten frei wählen könnten, denn dann funktioniert das Modell auch für die Ärzte nicht !

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Man bekommt was man bestellt

von Hinweis am 18.12.2019 um 9:19 Uhr

... wie sich nun aus der laufenden Berichterstattung nach und nach herausstellt, liegt der Kern des "Geschäftsmodells" darin, dass durch die - wie auch immer eng angebundenen - Onkologen pro Patient möglicherweise mehr verordnet wurde, als eigentlich nötig gewesen wäre. Erst bei dieser Prämisse macht der Vorwurf eines Abrechnungsbetrugs Sinn...

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