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Schon die ersten beiden Wochen des neuen Jahres zeigen uns: Es geht so weiter, wie das alte Jahr aufhörte. Die Bon-Pflicht bleibt uns erhalten. Und ob Spahns Rx-Boni-Verbot kommt, liegt in Händen der EU-Kommission, d. h., es steht in den Sternen. Vorsorglich will Spahn schon mal per Gutachten klären lassen, was mit den Apotheken passiert, wenn der worst case kommt, d. h., wenn die Gleichpreisigkeit den Bach runter geht. Vielleicht sollte er sich einfach mal den Rückgang der Apothekenzahlen in Deutschland ansehen. Und dann gibt’s auch in diesem Jahr das Thema Lieferengpässe – und viele Vorschläge, was man tun sollte, könnte, müsste. Und wann passiert da endlich was?
6. Januar 2020
Die gute Nachricht zum Jahresanfang – für Apothekenmitarbeiter im Kammerbereich Nordrhein: Ab diesem Jahr soll es drei Prozent mehr Lohn geben und erstmals einen eigenen Tarif für Filialleiter. Und die schlechte Nachricht: „Vielleicht“. Im Klartext: Die Einigung zwischen der Apothekengewerkschaft Adexa und dem Arbeitgeberverband TGL Nordrhein ist leider noch nicht in trockenen Tüchern – auch wenn die Apothekengewerkschaft Adexa bereis freudig erregt die ersehnte Erfolgsmeldung verbreitete. War wohl ein bisschen zu früh. Denn laut TGL-Chefin Heidrun Hoch gibt es noch einigen rechtlichen Klarstellungsbedarf, sodass die Unterschriften noch nicht drunterstehen. Und Adexa stellt nun in einer Pressemitteilung klar, dass der bisherige Tarifvertrag erstmal weiterhin gültig ist, bis alles rechtlich geklärt sei. Mein liebes Tagebuch, dann drücken wir mal die Daumen, dass eine Einigung rasch zustande kommt. Und die Mitarbeiter wissen, wie’s weiter geht.
7. Januar 2020
Also, die Bonpflicht bleibt! Die Bundesregierung will sie nämlich nicht mehr anpacken und auch die SPD-Bundestagsfraktion stellt klar, dass sie das Thema nicht neu aufmachen wolle. Denn die Bonpflicht könne Steuerbetrug durch Mogelkassen verhindern. Laut SPD-Bundestagsabgeordneten Lothar Binding führe der Betrug mit manipulierten Kassen zu jährlichen Steuerausfällen in zweistelliger Milliardenhöhe. Kann man das glauben, mein liebes Tagebuch? Egal, die Bonpflicht bleibt und damit die Papierverschwendung und der Bürokratieaufwand. Binding schlägt vor, die Wirtschaft solle praxistaugliche Lösungen entwickeln, und verweist auf Apps, die die Bons beispielsweise digital aufs Handy übertragen können. Tja, mein liebes Tagebuch, wie schön. Und was passiert, wenn man keinen Bon ausdruckt, weil ihn der Kunde nicht will? Nichts. Wie, nichts? Ja, nichts. Denn: Verstöße gegen die Bonpflicht sind nicht bußgeldbewehrt. Sagt das Finanzministerium.
Ein „Skandal-Video“ der Bundesregierung im Internet und in Kinos erregt Apothekers Gemüter. Eigentlich ist es ein simples Werbe-Video, nur rund 30 Sekunden kurz, schmale 210.000 Euro teuer, locker-flockig gemacht, mit dem sich die Bundesregierung des Fachkräftemangels in der Pflege annimmt und auf die neue Pflegeausbildung aufmerksam macht. Das Video soll junge Menschen locken, sich für den Pflegeberuf ausbilden zu lassen. Fein, mein liebes Tagebuch, aber da sagt doch ein junger Mann in diesem Video diesen fatalen Satz: „Mal bin ich Fitnesstrainer. Mal bin ich Manager. Manchmal bin ich Apotheker. Und manchmal höre ich einfach nur zu. Aber vor allem bin ich eines: Pfleger!“ Ups! „Manchmal bin ich Apotheker“ — wie soll das gehen? Klar, wir ahnen wie das gemeint ist. Aber um ein echter Apotheker zu sein, braucht man ein Pharmaziestudium und die Approbation, Apotheker ist man nicht eben mal so und schon gar nicht als Pfleger im Vorübergehen an einem Arzneimittelregal. Ha, wo kämen wir da hin! Aufgefallen ist dieses Video – nein, nicht der ABDA, sondern – einem Apotheker, der u. a. Kammer und Arzneimittelaufsicht alarmierte und das Bundesgesundheitsministerium aufforderte, das Video zu löschen. Nun, mein liebes Tagebuch, mittlerweile hat sich dazu das Bundespresseamt gemeldet und meint: „Die Aussage ‚Manchmal bin ich Apotheker‘ versinnbildlicht einen von vielen Aspekten des Pflegeberufs, und zwar die Verabreichung von Medikamenten an Pflegebedürftige.“ Und es sei doch erkennbar, dass es sich in dem Video nicht um die Berufsbezeichnung im juristischen Sinne handle. Wörtlich heißt es beim Bundespresseamt: „Aufgrund der Konzeption des Spots und der gewählten Darstellungsweise ist dies auch klar erkennbar, die mitzudenkenden Anführungszeichen bei allen genannten Berufen sind evident.“ Hach, wie ist das doch wieder elegant formuliert: „mitzudenkende Anführungszeichen“, hach, wie nett. Das merk ich mir. Aber leider denken halt nicht alle mit. Nun, inzwischen ist auch die ABDA aktiv geworden und hat beim Bundespresseamt interveniert. Das Amt hat das Video mittlerweile von seiner Homepage entfernt. Der Direktlink ist jedoch weiterhin aktiv.
Früher galt die FDP mal als „Apotheker-Partei“, als Partei, die den Gesundheitsberuflern nahesteht und sich für die Freiberuflichkeit einsetzt. Mit diesem Beigeschmack soll nun Schluss sein, endgültig. Eine Apotheker-Partei will die FDP gleich gar nicht mehr sein. Ihr Chef, Christian Lindner, sagte auf dem traditionellen FDP-Dreikönigstreffen in Stuttgart: „Wir sind keine Arbeiter- und Bauernpartei, so wenig wir eine Apotheker- und Unternehmerpartei sind. Wir sind eine Partei der politischen Mitte.“ So sieht’s nun aus, mein liebes Tagebuch. Aber eigentlich wissen wir das schon seit einiger Zeit, dass die FDP ihr Herz nicht an die Apotheker verloren hat, denn in ihrem Wahlprogramm stand auch die Abschaffung des Fremdbesitzverbots, Lindner wollte zudem nie ein Rx-Versandverbot. Und außerdem sei seine Partei die einzige Partei, „die klar für den Versand verschreibungspflichtiger Medikamente ist.“ Na, mein liebes Tagebuch, noch Zweifel? Bleibt noch die Frage, ob die FDP noch die Partei der Hoteliers ist?
8. Januar 2020
Die Bundesregierung möchte, dass verschreibungspflichtige Arzneimittel zumindest im GKV-Bereich auch weiterhin in jeder Apotheke zum selben Preis erhältlich sind. Und Rx-Boni sollen verboten werden, auch für EU-Versender. Spahns Apotheken-Stärkungsgesetz soll’s richten. Aber das wird derzeit von der EU-Kommission auf seine EU-Tauglichkeit geprüft. Ob Spahn und sein Ministerium allerdings in ihrem Innersten von der Haltbarkeit und Kraft des Apotheken-Stärkungsgesetzes überzeugt sind? Ob sie davon überzeugt sind, dass das Gesetz unter den wirtschaftsliberalen Augen der EU-Kommissare Bestand haben wird? Mein liebes Tagebuch, da kommen einem Zweifel. Denn das Bundesgesundheitsministerium hat schon mal vorsorglich das IGES-Institut damit beauftragt, zu analysieren, was wäre, wenn die Rx-Preisbindung in Deutschland partiell oder vollständig aufgehoben wäre. Huhu, mein liebes Tagebuch, das klingt nicht nach großer Zuversicht! Im Klartext könnte das doch bedeuten: Die Chancen, dass das Gesetz kommt und die Preisbindung erhalten bleibt, stehen 50:50 – oder sogar schlechter. Und so will das Ministerium schon mal wissen, was denn auf den Apothekenmarkt zukommt, wenn die Preise dereguliert sind. Dann können wir uns schon mal darauf einstellen, wie es ist, ohne Rx-Preisbindung zu leben. Das Bundesgesundheitsministerium und die Unionsfraktion versuchen derzeit noch zu beruhigen: Das Gutachten diene doch nur dem Erhalt der Rx-Preisbindung, heißt es aus dem Hause Spahn, und man wolle sich doch darauf vorbereiten, wenn es zu einem Gerichtsverfahren komme, um dann mit den Erkenntnissen aus dem Gutachten die Festpreise verteidigen könne. Mein liebes Tagebuch, so kann man’s auch darstellen. Die ABDA übrigens schließt sich dieser Einstellung an. Sie findet das neue Apotheken-Gutachten „nur konsequent“. In die Vorbereitungen für das neue Apotheken-Gutachten war die ABDA, nebenbei bemerkt, nicht eingebunden. Also, das ist doch ein fulminanter Start ins neue Jahr.
Was passiert, wenn es keine Rx-Festpreise gibt, lässt sich erahnen. Wenn die wirtschaftliche Lage für Apotheken schlechter wird, nehmen die Apothekenschließungen rapide zu. Einen Vorgeschmack auf diese Zukunft zeigen die in Deutschland ständig sinkenden Apothekenzahlen. Zum Beispiel der Kammerbereich Westfalen-Lippe: Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Apotheken in diesem Bereich um 54 gesunken – der stärkste Rückgang der Betriebsstätten in der 75-jährigen Geschichte der berufsständischen Selbstverwaltung. Ein Negativrekord! Die Kammer führt den starken Rückgang unter anderem darauf zurück, dass es keine Anpassung des Apothekenhonorars gibt, außerdem auf die Konkurrenz durch ausländische Versender und die zunehmende Konzentration von Ärzten auf Ärztezentren. Außerdem werde es immer schwieriger, junge Apotheker für die Selbstständigkeit zu begeistern. Mein liebes Tagebuch, das wundert einen nicht.
9. Januar 2020
Ein weiteres Beispiel für rapide sinkende Apothekenzahlen ist das Saarland. Auch hier ist die Zahl der Apotheken im vergangenen Jahr um 54 gesunken – ein Rückgang um drei Prozent innerhalb eines Jahres in diesem Bundesland. Der Kammerpräsident Manfred Saar nennt das „ein bedrohliches Ausmaß“. Mein liebes Tagebuch, wie wahr! „Eine signifikante Honoraranpassung“ der Apothekenvergütung wäre da notwendig, so Saar. Mein liebes Tagebuch, angesichts des drohenden zukünftigen Szenarios mit zunehmendem Versandhandel, mehr Lieferengpässen, mehr Bürokratie, drohender Aufgabe der Preisbindung und einer negativer Einstellung von Krankenkassen und liberalen Ökonomen gegen die Apotheken dürfte man mit dieser Prognose nicht falsch liegen: Der Rückgang der Apothekenzahlen geht weiter.
Es gibt sie immer noch, die Forderung nach einem Rx-Versandverbot. Die jüngste Wiederbelebung dieser Forderung kommt vom CDU-Gesundheitspolitiker Georg Kippels. Auf dem Neujahrsempfang des Apothekerverbands Köln ließ er wissen, dass sich die Unionsfraktion wieder für das Rx-Versandverbot einsetzen würde, sollte das von Spahn geplante Rx-Boni-Verbot von der EU-Kommission gekippt werden. Klingt ja super nett, super gut, aber mein liebes Tagebuch, ist das beruhigend? Hätte die Forderung nach einem Rx-Versandverbot ernsthaft auch nur einen Hauch auf Erfolg?
10. Januar 2020
Lieferengpässe, Lieferengpässe – sie verfolgen uns auch im neuen Jahr. Welche Gegenmaßnahmen helfen könnten, darüber wird noch trefflich gestritten, aber unternommen wurde konkret noch nichts. Erste Vorschläge hat Spahn mit seinem GKV-Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz zwar auf den Tisch gelegt, aber es zieht sich hin. Das meint auch Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml. Sie lässt wissen, dass es wichtig wäre, „schnell etwas gegen die wachsende Abhängigkeit von außereuropäischen Ländern bei lebenswichtigen Arzneimitteln zu unternehmen“. Spahns Maßnahmen seien nur ein erster Schritt, es müssten noch weitere Maßnahmen geprüft werden. So ist es, mein liebes Tagebuch. Huml schlägt solche weiteren Maßnahmen vor. So sollte beispielsweise die Arzneimittelproduktion in die EU zurückverlagert werden. Und Lieferschwankungen bei versorgungsrelevanten Arzneimitteln sollten abgefedert werden, indem der Großhandel zu einer längeren Lagerhaltung verpflichtet wird. Alles richtig, mein liebes Tagebuch, aber es sollte jetzt vor allem rasch etwas unternommen werden. Die Rückholung der Arzneistoffproduktion in die EU gehört da eher nicht zu den raschen Maßnahmen.
Jürgen Schneider, Geschäftsführer des Hessischen Apothekerverbands, weiß da eine ziemlich rasche Maßnahme gegen Lieferengpässe. In der TV-Sendung „Hessenschau“ schlägt er vor, „man müsste praktisch ein Reservelager haben“. Und was meint er damit, mein liebes Tagebuch? Gegenüber DAZ.online erläutert er seinen Vorschlag: Wollen Pharma-Unternehmer einen Rabattvertrag abschließen, müssen sie ausreichend mit Rabatt-Arzneimitteln bestückt sein. Vor Vertragsbeginn sollte das Unternehmen ein bestimmtes Kontingent zur Verfügung stellen, erläutert er, zum Beispiel die Menge eines Monatsumsatzes. Daraus werde dann abverkauft, das Kontingent aber zugleich auch wieder entsprechend aufgefüllt, so dass sich das Warenlager beständig erneuere und somit ein Puffer entstehe. Guter Vorschlag, mein liebes Tagebuch.
15 Kommentare
Und wir?
von Karl Friedrich Müller am 12.01.2020 um 14:52 Uhr
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Schön peinlich
von Karl Friedrich Müller am 12.01.2020 um 14:49 Uhr
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Ergänzend
von Karl Friedrich Müller am 12.01.2020 um 14:34 Uhr
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AW: Ergänzend, zustimmend und und noch einen auf die Glocke
von Bernd Jas am 12.01.2020 um 19:48 Uhr
Engpässe aller Art
von Reinhard Rodiger am 12.01.2020 um 14:05 Uhr
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Gutachten - zweite Runde
von Reinhard Herzog am 12.01.2020 um 13:48 Uhr
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AW: Gutachten - zweite Runde
von Karl Friedrich Müller am 13.01.2020 um 6:54 Uhr
I had a dream: Neues Demokratieverständnis im Bundestag ... und beim Spitzenpersonal ...
von Christian Timme am 12.01.2020 um 12:13 Uhr
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von Bernd Küsgens am 12.01.2020 um 11:58 Uhr
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Kaum zu glauben, Herr Ditzel
von Bernd Jas am 12.01.2020 um 11:24 Uhr
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AW: Kaum zu glauben, Herr Ditzel
von Karl Friedrich Müller am 12.01.2020 um 13:35 Uhr
Wann passiert endlich mal was ... irgendwas?
von Christian Timme am 12.01.2020 um 10:09 Uhr
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Ohne Begeisterung...
von Ulrich Ströh am 12.01.2020 um 8:56 Uhr
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von Anita Peter am 12.01.2020 um 8:36 Uhr
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AW: ?
von Karl Friedrich Müller am 12.01.2020 um 11:03 Uhr
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