USA

Opioidkrise: Jetzt werden auch Apotheken angeklagt

Remagen - 14.01.2020, 12:45 Uhr

In der US-Opioidkrise stehen nun auch die ersten Apothekenketten im Visier der Ermittler. (Foto: imago images / ZUMA)

In der US-Opioidkrise stehen nun auch die ersten Apothekenketten im Visier der Ermittler. (Foto: imago images / ZUMA)


Nun sind in den USA auch die Apotheken wegen der Opioidkrise ins Fadenkreuz der Justiz geraten. Zwei Counties im Bundesstaat Ohio haben einige große Apothekenketten verklagt. Diese hätten mit der Belieferung von Rezepten übermäßige Mengen von Opioiden in Umlauf gebracht und damit die Krise befeuert, so der Vorwurf. Die Kettenunternehmen schieben den schwarzen Peter jedoch eher den verordnenden Ärzten zu.

Große US-amerikanische Apothekenketten wie CVS Health, Walgreens, Walmart und Rite Aid wehren sich gegen Behauptungen, dass sie für die Opioidkrise in zwei regionalen Verwaltungseinheiten von Ohio verantwortlich sind. Wie die Washington Post meldet, haben Beamte aus den Counties Summit und Cuyahoga die Ketten verklagt und geltend gemacht, dass deren Apotheken zur Suchtkrise beigetragen hätten, indem sie Rezepte für ein „übermäßiges Volumen" an Opioiden belieferten

Die Kettenunternehmen wollen das jedoch nicht auf sich sitzen lassen. Ärzte und andere Angehörige der Gesundheitsberufe, die Rezepte schreiben, trügen die ultimative Verantwortung für die unsachgemäße Verteilung von Opioiden an Patienten, nicht die Apotheker, so ihre Argumentation in einer Eingabe an das Gericht. Sie selbst seien dazu verpflichtet, diese Rezepte zu beliefern. 

„Apotheken hätten gegen den Missbrauch vorgehen müssen“

Sollten sie als haftbar befunden werden, so müssten die Ärzte und andere Verschreiber einen Teil der Strafe zahlen, fordern die Kettenbetreiber. Ihre Anwälte verweisen außerdem darauf, dass solche Anschuldigungen die Rolle anderer Arzneimittellieferanten, wie Internet-Apotheken, unabhängiger Apotheken oder Kliniken bei der Krise völlig außer Acht ließen. Diese verteilten die Medikamente zum Teil in erheblich größerem Umfang als die Ketten. Sie fordern nun von dem zuständigen Richter in Cleveland, der für die nationalen Opioid-Prozesse zuständig ist, zugunsten der Apotheken zu entscheiden und die Ansprüche der Countys in Ohio zurückzuweisen. Deren Anwälte wollen jedoch laut Washington Post weiterhin daran festhalten, die Apotheken zur Rechenschaft zu ziehen. Sie seien ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen, den Missbrauch verschreibungspflichtiger Schmerzmittel aktiv zu verhindern, so der Vorwurf. „Die Apotheken haben die verheerenden Folgen dieser Krise im Bereich der öffentlichen Gesundheit mit eigenen Augen gesehen, und wir werden zeigen, dass sie wenig bis gar nichts getan haben, um dagegen anzugehen", stellten die Anwälte in einer Erklärung fest.

Größte Zivilklage in der Geschichte der USA

In den USA haben in letzter Zeit mehr als 2.500 Städte, Counties, eingeborene amerikanische Stämme und andere Gruppen wegen der Opioidepidemie Bundesklagen gegen Unternehmen in der gesamten Arzneimittelindustrie eingereicht. Die Fälle werden von dem US-Bezirksrichter Dan Aaron Polster in Cleveland in einer umfassenden „Multidistrict Litigation“ konsolidiert.

Rechtsexperten sprechen nach einem Bericht in der Washington Post von der größten Zivilklage in der Geschichte der USA. Polster, die zentrale Figur in der dramatischen Szenerie, gelte in Anwaltskreisen als seriös, nüchtern, effizient, bürgerlich gesinnt und fleißig, heißt es dort. Dass ein Gremium von Bundesrichtern ihm die Zuständigkeit für den Prozess zugeteilt habe, sei ein Zeugnis für seinen hervorragenden Ruf, sagt Alexandra Lahav, Professorin an der University of Connecticut School of Law.

Regierung müsste mehr tun, fordert der Richter

Vor Gericht und in öffentlichen Auftritten soll Polster die Opioidkrise der vergangenen zwei Jahrzehnte wiederholt beklagt haben. Er sprach von der Zahl der Todesopfer und der Notwendigkeit, den Gemeinden bei der Bezahlung von Suchtbehandlung, medizinischer Versorgung und Notdiensten zu helfen. Außerdem fordert er mehr Einsatz seitens der Regierung. Seiner Auffassung nach ist die Entwicklung von Lösungen zur Bekämpfung einer sozialen Krise wie der Opioidepidemie nicht Aufgabe der Justiz, sondern vielmehr der Exekutive und der Legislative. „Aber ob es uns gefällt uns oder nicht, wir haben diese Fälle“, wird Polster in der Washington Post zitiert. „Und mir wurde die Aufgabe übertragen, sie in einer Weise zu verwalten, die sowohl den Klägern als auch den Angeklagten gerecht wird.“ 

Firmen beschuldigen Richter der Voreingenommenheit 

Die Pharmaunternehmen hegen ihrerseits allerdings Zweifel an Polsters Unparteilichkeit. Im September 2019 hatten einige der verklagten Unternehmen den Bezirksrichter von Cleveland zum Rücktritt aufgefordert. Sie werten seinen Eifer für eine Einigung über Vergleiche und Verweise auf die Zahl der Todesopfer durch Opioide sowie die Rolle von Pharmaunternehmen in der Krise als ein Zeichen von Voreingenommenheit. Polster hat laut Washington Post in den letzten knapp zwei Jahren bereits „einige der kämpferischsten Anwälte des Landes“ dazu aufgefordert, Vergleiche zu finden. Diese würden Milliarden von Dollar von Pharmaunternehmen in Städte und Landkreise pumpen, die von den Folgen der Opioidepidemie gebeutelt werden.

Gespräche über nationale Regelung werden fortgesetzt

Der Bundesstaat Oklahoma erreichte im August 2019, dass der Arzneimittelhersteller Johnson und Johnson zu einer Strafe von 572 Millionen US-Dollar verurteilt wurde. Das Unternehmen hatte es auf einen Prozess ankommen lassen.

Demgegenüber hat sich Purdue Pharma mit Oklahoma außergerichtlich auf die Zahlung von 270 Millionen Dollar geeinigt. Die Gespräche über eine mögliche nationale Regelung, die alle Klagen im Zusammenhang mit der Epidemie beenden könnte, die seit dem Jahr 2000 mehr als 400.000 Menschen in den USA das Leben gekostet hat, sollen fortgesetzt werden, schreibt die Washington Post.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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