Umsatzsteuer auf Herstellerabschlag

Klagewelle in Hessen - in anderen Ländern Einzelfälle

Süsel - 06.02.2020, 07:00 Uhr

Unter anderem die AOK hat in Hessen Apotheken verklagt, weil sie nicht auf die Einrede der Verjährung zur Umsatzsteuer für 2015 verzichtet haben. (Foto: imago images / CHROMORANGE)

Unter anderem die AOK hat in Hessen Apotheken verklagt, weil sie nicht auf die Einrede der Verjährung zur Umsatzsteuer für 2015 verzichtet haben. (Foto: imago images / CHROMORANGE)


In Hessen sind inzwischen etwa 120 Klagen gegen Apotheken bekannt, weil sie nicht auf die Einrede der Verjährung zur Umsatzsteuer für 2015 verzichtet haben. In einigen anderen Ländern beschränken sich solche Klagen auf Einzelfälle. Mit diesen Klagen wollen die Krankenkassen die Verjährung von Ansprüchen verhindern. Doch offenbar ist die Bereitschaft zur Klage bei verschiedenen Krankenkassen recht unterschiedlich.

Im Dezember hatten einige Krankenkassen für Irritationen bei vielen Apothekern gesorgt. Die Krankenkassen hatten die Apotheken aufgefordert, auf die Einrede der Verjährung zur Umsatzsteuer für das Jahr 2015 zu verzichten. Denn diese Krankenkassen gehen davon aus, Umsatzsteuer auf den gesetzlichen Herstellerabschlag entrichtet zu haben, obwohl sie dazu nicht verpflichtet waren. Der steuerliche Sachverhalt wird weiterhin kontrovers diskutiert. Die Steuerberatungsgesellschaft Treuhand Hannover geht davon aus, dass die Umsatzsteuer bei dem auf Bundesebene vereinbarten Verfahren so verbucht wird, dass die Krankenkassen damit gar nicht belastet werden. Doch einige Krankenkassen sehen dies anders und möchten ihre erwarteten Ansprüche in steuerrechtlichen Verfahren vor den Finanzgerichten geltend machen. Damit diese möglichen Ansprüche, soweit sie das Jahr 2015 betreffen, nicht verjähren, hatten einige Krankenkassen von Apotheken diesbezügliche Verzichtserklärungen gefordert. Außerdem hatten einige Krankenkassen gedroht, die Apotheken noch vor dem Jahreswechsel zu verklagen, wenn sie keine Verzichtserklärung abgeben. Auch damit sollte die Verjährung unterbrochen werden.

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Etwa 120 Klagen in Hessen

In den ersten zwei Wochen dieses Jahres wurden einzelne Klagen der AOK Hessen und der IKK Südwest gegen Apotheken in Hessen und Rheinland-Pfalz bekannt . Inzwischen zeichnet sich aber in Hessen eine Klagewelle ab. Der Hessische Apothekerverband teilte auf Anfrage von DAZ.online mit, dass dort bis zum 5. Februar etwa 120 Klagen vorliegen. Die Zahl nehme zu, weil das Sozialgericht Frankfurt in diesen Tagen die Klagen an die Apotheken versende. Der Hessische Apothekerverband habe inzwischen einen Anwalt organisiert, der den Mitgliedern ausführliche Empfehlungen gebe und auch individuelle Mandate übernehmen könne.

Einzelne Klagen im Saarland, in Sachsen-Anhalt und Hamburg

Damit unterscheidet sich die Lage in Hessen deutlich von der Situation in einigen anderen Bundesländern, zumindest soweit sie bisher bekannt ist. In einem Rundschreiben vom 3. Februar hat der Saarländische Apothekerverein nur über Klagen gegen zwei Apotheken von der IKK Südwest berichtet. Der Saarländische Apothekerverein erklärt dazu, andere Krankenkassen könnten für 2015 keine entsprechenden Ansprüche mehr stellen, weil die Verjährung mittlerweile eingetreten sei. Aus Hamburg ist außerdem eine Apotheke bekannt, die von der AOK Rheinland/Hamburg verklagt wurde. Beobachter vermuten, dass für diese vereinzelten Klagen gezielt Apotheken ausgewählt wurden, die besonders hohe Umsätze mit der jeweiligen Krankenkasse getätigt haben.

Der Apothekerverband Sachsen-Anhalt erklärte auf Anfrage von DAZ.online, dort sei bekannt, dass die AOK Sachsen-Anhalt einzelne Apotheken verklagt habe. Von einer Klagewelle könne dort aber keine Rede sein, heißt es beim Apothekerverband Sachsen-Anhalt. Nach Einschätzung des Verbandes hätten die meisten Apotheken dort wohl eine Einredeverzichtserklärung abgegeben, zumal der Verband dies empfohlen habe. Bei ihren Klagen habe die AOK Sachsen-Anhalt von sich aus das Ruhen der Klage beantragt. Zur Erklärung: Für die Krankenkassen steht die Klärung der zugrundeliegenden steuerlichen Frage im finanzgerichtlichen Verfahren im Mittelpunkt. Davon ist das sozialrechtliche Verfahren gegen die Apotheken zu unterscheiden.

Verschiedene Vorgehensweisen bei den Krankenkassen

Die unterschiedliche Situation in den Bundesländern liegt offenbar am unterschiedlichen Vorgehen der verschiedenen Krankenkassen. Ein vollständiges Bild aus allen Bundesländern liegt bisher nicht vor. Außerdem muss derzeit wohl damit gerechnet werden, dass noch Klagen zugestellt werden. Dies zeigt die jüngste Entwicklung in Hessen.

Droht Wiederholung zu jedem Jahresende?

Die Klärung des steuerlichen Sachverhalts dürfte bis zur letzten Instanz Jahre dauern. Bis dahin droht möglicherweise vor jedem Jahresende, dass einzelne Krankenkassen die Apotheken zu entsprechenden Verzichtserklärungen auffordern und mit Klagen drohen. Denn zu jedem Jahresende können wieder Ansprüche verjähren. Das Thema kann daher langfristig weiterhin alle Apotheken betreffen, auch in Bundesländern, die bisher kaum oder gar nicht davon berührt waren.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

1,77 € Abschlag für alle Arzneimittel zurückfordern!

von Andreas P. Schenkel am 06.02.2020 um 18:50 Uhr

Jeder Kollege, dem eine Klageschrift dieser Art zugestellt wurde, sollte einen Rechtsanwalt oder Steuerberater beauftragen, eine Rechnung an die jeweilige GKV zu erstellen und zu senden, mit welcher der Abschlag von 1,77 € je Rx-AM und 5% je sonstigen AM für den gesamten Zeitraum unverzüglich zurückgefordert wird.

Die Rechnung sollte darüber hinaus innerhalb eines Monats fällig gestellt werden, damit die Verzugszinsen auch schön auflaufen können.

Die Rückforderung des Zwangs-Abschlags i.H.v. 1,77€ x (Anzahl AM zulasten GKV) ist berechtigt, weil nach § 130 Abs. 3 SGB V die Rechnung durch die GKV innerhalb von 10 Tagen beglichen werden muss, da ansonsten der GKV dieser Abschlag nicht zusteht. Eine Ausnahme davon ist nur für die Rechnungsprüfung (jene GKV-Amtshandlung, die zur Retaxation führen kann), ausgestaltet im § 25 Abs. 3 Rahmenvertrag.

Durch die Zusendung der Klageschrift an das Gericht macht die jeweilige GKV deutlich, dass sie die Forderungserfüllung nachträglich zu ihren Gunsten verändert haben möchte. Egal, ob der Anspruch gegenüber dem Fiskus (USt-Rückerstattung an die GKV ) besteht oder nicht: Indem die GKV Geld von der Apotheke zurückfordert, dies in einem Verfahren, das nicht durch die rahmenvertragliche Retaxation erfolgt, verliert die klagende GKV das Recht auf die Einbehaltung des Apothekenabschlags. Fraglich ist nur, ob dies schon ab Gerichtshängigkeit der Rückforderungsklage oder erst ab einem Urteil zugunsten der GKV geltend gemacht werden kann.

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warum

von Karl Friedrich Müller am 06.02.2020 um 17:08 Uhr

regt sich keiner auf?
warum werden Apotheker für einen kostenlosen Service auch noch verklagt?
warum lässt man dann die KK nicht selbst die Arbeit erledigen?
warum hört man nichts von unseren "Vertretungen"
Warum lässt man uns immer ! in der Schei... sitzen?

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