Interview Prof. Andrew Ullmann (FDP-MdB und Infektiologe)

„Der Mensch hat noch kein immunologisches Gedächtnis für das Coronavirus“

Berlin - 27.02.2020, 07:00 Uhr

Prof. Dr. Andrew Ullmann sitzt für die FDP im Bundestag und ist Professor für Infektiologie. Im Gespräch mit DAZ.online schätzt er die Lage zum Coronavirus ein. (Foto: imago images / photothek)

Prof. Dr. Andrew Ullmann sitzt für die FDP im Bundestag und ist Professor für Infektiologie. Im Gespräch mit DAZ.online schätzt er die Lage zum Coronavirus ein. (Foto: imago images / photothek)


Ullmann: Wir kennen das Virus noch zu wenig

DAZ.online: Das klingt alles entspannter als es in einigen Medien derzeit dargestellt wird. Ist das Coronavirus denn aus Ihrer Sicht nicht so gefährlich, wie es gemacht wird?

Ullmann: Wie gesagt, die Gefahr liegt derzeit darin, dass wir das Virus noch nicht genug kennen. Zweitens ist natürlich die sehr rasche Ausbreitung ein Problem. Das sehen wir aber bei allen Viren, die aus dem Tierreich an den Menschen weitergegeben – wie etwa bei Ebola und bei SARS. Solche Viren verbreiten sich anfangs rasant schnell, weil die Menschheit noch kein immunologisches Gedächtnis dafür entwickelt hat. Heißt konkret, dass unser Immunsystem die Viren noch nicht kennt. Umso wichtiger ist es, dass sich die Länder gut ausrüsten und vorbereiten.

DAZ.online: Wie gut ist Deutschland aus Ihrer Sicht vorbereitet?

Ullmann: Wir sind nicht schlecht vorbereitet, aber es ginge noch besser. Zählen Sie doch mal, wie viele speziell für solche Krankheitsausbrüche entwickelte Krankenhausabteilungen es in Deutschland gibt. Es könnten mehr sein. Weiterhin hat die Bundesärztekammer immer noch keinen Facharzt für Infektiologie eingeführt – wir müssen uns um dieses Thema mehr kümmern, mehr Wissen generieren. Ein weiteres großes Problem sehe ich darin, dass das Robert Koch-Institut so abhängig vom Bundesgesundheitsministerium ist. Das RKI müsste weisungsunabhängig arbeiten können – wir bräuchten einen Chief Medical Officer für Deutschland, der die Bundesregierung regelmäßig zu gesundheitlichen Lagen berät und informiert. Ratsam wäre auch ein Bundessicherheitsrat, der mit Experten besetzt ist und in Krisenzeiten zusammenkommt. Was mir auch immer zu kurz kommt, sind die wirtschaftlichen Folgen einer solchen Pandemie.

DAZ.online: Das müssen Sie erklären.

Ullmann: Es zeichnet sich doch jetzt schon ab, dass viele Unternehmen unter dem Virus und den daraus folgenden Sicherheitsmaßnahmen leiden. Sie können nicht produzieren, nicht ausliefern. Vielleicht wäre es sinnvoll, einen Fonds für Unternehmen einzurichten, die in so einer Situation Insolvenz anmelden, auch steuerliche Abschreibungen wären denkbar. Soweit ich weiß, gibt es dazu noch keine Überlegungen seitens der Bundesregierung. Übrigens kann sich genau das auch wiederum negativ auf die Versorgung auswirken.

DAZ.online: Sie meinen die Arzneimittel-Lieferengpässe?

Ullmann: Ganz genau. Ich gehe fest davon aus, dass unsere Arzneimittelversorgung, die stark von der Produktion in Asien abhängig ist, deutlich mehr Engpässe hinnehmen muss als ohnehin schon. Und das wird nicht nur Antibiotika betreffen, sondern auch andere wichtige Wirkstoffe.

DAZ.online: Die Bevölkerung ist derzeit beunruhigt. Masken und Desinfektionsmittel werden teils in Hamsterkäufen eingekauft, insbesondere Atemschutzmasken sind fast kaum noch erhältlich. Ist dieses Verhalten angebracht? Wenn nein, was raten Sie den Menschen?

Ullmann: In erster Linie ist es noch wichtiger als sonst, auf Hygienemaßnahmen zu achten. Regelmäßiges Händewaschen und auch die Hände-Desinfektion – daran sollten die Menschen derzeit noch mehr denken als ohnehin schon. Immungeschwächte und kranke Menschen hingegen sollten darüber hinaus größere Menschenmengen meiden.

DAZ.online: In Italien appellieren die Regierung und die Apothekerkammer an die Apotheken in den Krisengebieten, dass sie die Beratung der besorgten Bürger in der Primärversorgung übernehmen. Sehen Sie diese Aufgaben auch für Apotheken in Deutschland?

Ullmann: Apotheker sind kompetente Heilberufler, natürlich können und sollten sie die Bevölkerung jederzeit zu Hygienefragen informieren.

DAZ.online-Geschichtentaxi mit Prof. Andrew Ullmann



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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2 Kommentare

Corona und Grippe impfen in Apotheken

von Dunin am 27.02.2020 um 8:02 Uhr

Man hätte den Professor auch mal fragen können, was er von Grippe Impfungen in Apotheken hält. Das Gesetz ist da und der neue Virus zeigt, wie wichtig es ist, dass die Bevölkerung umfangreich einen niedrigschwelligen Zugang zur Impfung hat. Auch das würde vor allem den Patienten aber auch der Wirtschaft nutzen. Jetzt sich gegen solche Impfungen bzw erst einmal Impfmodelle auszusprechen, halte ich für grob fahrlässig gegenüber unserer gemeinsamen Verantwortung von Ärzten und Apothekern für die Gesundheit der Bevölkerung. Boykottierende Standesvertretungen sollten sich sehr bewusst machen, dass aktive Apotheker und Ärzte da sicher weiterdenken und in Richtung Selektivvertraege gehen. So schafft man sich inaktiv selber ab.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Man schafft sich selber ab

von Rainer W. am 28.02.2020 um 7:43 Uhr

.... indem man unterfinanzierte Leistungen anbietet die nicht mal die Versicherungssumme einspielen werden die dafür benötigt wird...

Eine auskömmliche Vergütung ist für Apotheken nicht mal ansatzweise absehbar. Erhöhte Versicherungskosten + regelmäßige Schulung + Zeitaufwand. Geben wirds dafür wahrscheinlich nix. Die Ärzte bekommen 8€, bei uns gilt das sicher wieder als mit dem Apothekenhonorar abgegolten... und selbst wenn wir 16€ bekommen würden wärs für die meisten nicht rentabel.

Falls Sie nicht wissen wohin mit ihrem Geld suchen Sie sich ein anderes Marketinginstrument. Den Apothekern eine weitere Gemeinwohlaufgabe aufdrücken ist nicht die Lösung.

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