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Deutschland im Standby-Modus, Shutdown für Deutschland. Haben wir eine Wahl? Nein. Der DAX stürzt auf ein schmerzendes Tief. Das gesellschaftliche und kulturelle Leben wird eingestellt. Wer kann, bleibt im Home Office. Die Apothekerfortbildung bitte nur noch mit Büchern und Online-Seminaren. Apothekers arbeiten hinter Plexiglasscheiben. Deutschland im Corona-Krisenmodus. Das war’s in dieser Woche, Fast. Ein bisschen Politik gab’s trotzdem, z. B.: Lieferengpässe, Grüße von der FDP und die berechtigte Frage: Bekommen wir eine ABDA-Präsidentin?
9. März 2020
Lieferengpässe! 2019 fehlten doppelt so viele Arzneimittel wie 2018, meldet die ABDA. Mein liebes Tagebuch, nicht lieferbare Arzneimittel – was sich anfangs als episodischer Defekt zeigte, ist nun schon längst zur Normalität geworden. Deutschlands Apothekers müssen als Krisenmanager agieren, wenn sie ihre Patienten wenigstens mit Alternativpräparaten versorgen wollen. Sagt unser ABDA-Präsident und fordert, endlich über eine Vergütung des Mehraufwands zu sprechen, auch vor dem Hintergrund der Corona-Epidemie und der Belastung durch die Eigenherstellung von Desinfektionsmittel. Schmidt meint, die Krankenkassen könnten das nicht länger ignorieren. Aber sie tun es, mein liebes Tagebuch.
Wie groß das Problem der Lieferengpässe ist, führt ein gut gemachter Beitrag des NDR der Öffentlichkeit vor. Apothekerin Magdalene Linz machte in diesem Beitrag deutlich: „Wir können unseren Versorgungsauftrag nicht mehr erfüllen!“
Ja, mein liebes Tagebuch, der jahrelange Rabattvertrags-Druck der Krankenkassen zwingt die Pharmaindustrie dazu, die Wirkstoffproduktion weitgehend in die Billiglohnländer China und Indien auszulagern. Das Ergebnis sehen wir in der Corona-Epidemie: unsere eklatante Abhängigkeit von diesen Ländern mit allen bekannten Folgen. Der ABDA-Präsident fordert, diese Abhängigkeit zu beenden, auch wenn die Arzneimittel dann teurer werden. Spahn sieht zwar zurzeit noch keine weiteren Lieferengpässe aufgrund der Corona-Krise, will aber auch die Arzneimittelversorgung von China unabhängiger machen. Mein liebes Tagebuch, wir passen da mal gut auf, ob sich politisch was tut. Hoffen wir, dass das nicht nur leere Worthülsen im Corona-Mantel sind.
Die Zeit ist reif. Mehr als das, mein liebes Tagebuch: In der nächsten Amtszeit muss an der ABDA-Spitze endlich eine Frau stehen. Und sie will dieses Zeichen setzen: Gabriele Overwiening, Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, hat sich gemeldet, sie tritt im kommenden Herbst zur Wahl als ABDA-Präsidentin an. Der amtierende Präsident Friedemann Schmidt hatte zuvor angekündigt, nicht mehr kandidieren zu wollen. Mein liebes Tagebuch, eine Frau an der Spitze des Apothekerberufs – das wäre der Durchbruch zur Normalität angesichts 80 Prozent Frauen in unserem Beruf. Natürlich hören wir schon die Kritiker, mein liebes Tagebuch, die herumstänkern und meinen, es gehe nicht um Mann, Frau oder Divers an der Spitze, sondern um gute, um fähige Persönlichkeiten. Schon klar, daher umso mehr: Mit Overwiening stellt sich eine solche Persönlichkeit zur Verfügung. Sie will und kann nicht alles schlagartig anders oder besser machen als die bisherige Spitze, aber sie bringt neue Ideen mit, sie will mehr Transparenz (ist dringend notwendig), mehr Öffentlichkeitsarbeit. Und sie bringt frischen Wind mit (mehr als dringend!). Und vor allem, mein liebes Tagebuch, eine Frau führt anders als ein Mann – ich würde es dieser ABDA mal gönnen. Es gibt sie, die fähigen Frauen in unseren Reihen.
10. März 2020
Deutschland und die Welt im Ausnahmezustand. Die Corona-Epidemie hat für einen Zustand in unserer Gesellschaft gesorgt, den wir so noch nie erlebt haben. Wir sind alle gefordert, damit umzugehen und fertig zu werden. Die Kanzlerin brachte es auf den Punkt: Mehr Solidarität, aber mit Mindestabstand. Klingt paradox, ist aber richtig. Also, bitte auf das Handschlagsritual bei der Begrüßung verzichten und stattdessen „eine Sekunde länger in die Augen gucken und lächeln“. Machen wir, mein liebes Tagebuch. Und unsere Kanzlerin lobte ihren Bundesgesundheitsminister: Spahn macht gerade einen tollen Job, sagte sie. Ja, Krise kann er. Vielleicht hilft er ja auch mal uns Apothekers, wenn wir später, nach der Corona-Zeit, in eine Apothekenkrise rutschen, weil’s keine Gleichpreisigkeit mehr gibt.
Ok, jetzt zeigen wir ihm erstmal, dass er sich auf uns Apothekers verlassen kann: Wir managen die Liefer- und Versorgungsengpässe, lassen Desinfektionsmittel in Strömen laufen, bedienen hinter selbstgebastelten Plexiglasscheiben oder, wenn’s ganz schlimm wird, durch unsere Notdienstklappe, aber wir bedienen! Mein liebes Tagebuch, hoffen wir, dass ihm das alles in guter Erinnerung bleibt…
11. März 2020
Das politische Leben geht weiter, auch mit Corona. Unsere DAZ- und DAZ.online-Chefs haben sich mit Christian Lindner getroffen. Christian wer? Nein, mein liebes Tagebuch, so ganz in Vergessenheit geraten ist der Chef der kleinen FDP bei uns Apothekers doch noch nicht. Apothekers und FDP – das war doch früher mal was, hatte irgendwie gepasst, Freiberuflichkeit stand auf den Fahnen, ein Herz für den Mittelstand und so. Sogar unser ABDA-Präsident Schmidt war mal Mitglied dieser Partei. War mal, aber das ist eine andere Geschichte. Die DAZ wollte von Lindner wissen, wie es um die Beziehung zwischen FDP und Apothekers heute steht, konkret: Ist die Beziehung noch zu retten oder ein Fall für den Paartherapeuten? Denn Lindner hatte keine Gelegenheit ausgelassen zu zeigen, dass er mit seiner FDP auf Abstand zu den Apothekers geht – FDP und Apothekerpartei, nimmer mehr, so Lindner. Damit das ganz deutlich wird, sprach sich diese Partei sogar für antiapothekerliche Werte aus wie Fremd- und Mehrbesitz und Rx-Versand. Aber das geht gar nicht, mein liebes Tagebuch. Kein Wunder, wenn Apothekers die FDP zunehmend böse, böse fanden. Das wollte Lindner so nicht stehen lassen und klopfte bei der DAZ um ein Interview an. Mein liebes Tagebuch, jeder soll seine second chance haben. Ob es Lindner in dem Video-Interview gelungen ist, ein paar Dinge geradezurücken?Muss jeder selbst entscheiden. Immerhin: Das Fremdbesitzverbot soll nicht angetastet werden, die Freiberuflichkeit bleibt und ja, die FDP sei immer noch die beste Wahl für die Apotheker. Sagt jedenfalls Lindner.
Mein liebes Tagebuch, in der letzten Woche hatten wir’s mal als Frage in den Raum gestellt: Der Meraner Fortbildungskongress wird in diesem Jahr wegen der Corona-Epidemie abgesagt. In dieser Woche wurde es Realität. Der Meraner Pharmacon fällt aus – und nicht nur das. Auch das Sommerfest der ABDA, das Wirtschaftsforum des Deutschen Apothekerverbands, der PZ-Kongress auf der Ferieninsel Mallorca und alle anderen in den nächsten beiden Monaten anstehenden regionalen Kongresse und Fortbildungsveranstaltungen von Kammern und anderen Organisationen: gecancelt. Nachdem der Deutsche Apotheker Verlag bereits vorausschauend die Interpharm absagen musste, müssen nun alle anderen Organisationen nachziehen. Mein liebes Tagebuch, ist alles nicht schön, aber auch da heißt es: Es gibt keine Alternative. Fast nicht. Die eine oder andere kleinere Veranstaltung weicht auf das Format des Online-Seminars aus. Und ansonsten, mein liebes Tagebuch? Die Fortbildung muss nicht stillstehen: Es gibt sehr gute Fachzeitschriften (wir kennen da einige) und, wir erinnern uns, es gibt Bücher!
12. März 2020
Gegen Ende der Woche wird immer deutlicher: Corona nimmt an Fahrt auf. In Italien schließen fast alle Läden, sogar Bars und Restaurants, nur Apotheken, Lebensmittelläden und Tankstellen nicht. Die WHO ruft offiziell die Pandemie aus, Covid-19 hat sich in 115 Ländern ausgebreitet. Trump erlässt Einreisestopp für Europäer. Und Deutschland fährt das öffentliche Leben runter: shutdown. Ziel ist: die Infektionswelle zu verlangsamen, Zeit zu gewinnen. Auch für die Forschung.
Aus China kommt dagegen die Meldung, die Ausbreitung des Coronavirus habe ihren Höhepunkt überschritten – propagandiert zumindest die Pekinger Gesundheitskommission.
Derweil muss Deutschland zusätzlich mit einem neuen Höhepunkt der Grippewelle kämpfen. Mein liebes Tagebuch, was bedeutet das für uns? Hygienemaßnahmen auf allen Ebenen, erst recht in der Apotheke. Und darüber hinaus so wenig gesellschaftliche Kontakte wie möglich. Kann auch entschleunigend sein.
Es gibt Lichtblicke, in naher Zukunft mit Sars-CoV-2 fertig zu werden. Die Forschung läuft auf Hochtouren, versichern uns die Bio- und Virologen, zahlreiche klinische Studien sind bereits am Laufen. Das Corona-Update der DAZ listet den aktuellen Stand der Wirk- und Impfstoffe auf. Und wer sich über die laufenden klinischen Studien informieren möchte, sollte mal einen Blick in die Studien-Datenbank ClinicalTrials.gov werfen.
13. März 2020
Die Lieferengpass-Kampagne der Noweda will Druck auf die Politik machen. Mit Hilfe der Reichweite der Zeitschriften ihres Kooperationspartners Burda will der apothekereigene Pharmagroßhändler die Öffentlichkeit über die aktuelle Problematik der Lieferengpässe aufklären. Ein aktualisierter Flyer liegt den Magazinen „Focus“, „Freizeit Revue“, „SUPERillu“ und „Lisa“ bei, mit einer Auflagenzahl von 2,35 Millionen Exemplaren. Mein liebes Tagebuch, klingt gut. Und jetzt nicht nachlassen. Der Druck auf die Politik kann nicht hoch genug sein.
Darf der niederländische Versender „Europa Apotheek“, jetzt „Shop Apotheke“, gegenüber Privatpatienten mit einem „Sofort-Bonus“ von bis zu 30 Euro pro Rezept werben, ein Bonus, der dem Kunden auf dessen Kundenkonto gutgeschrieben und bei einer späteren Bestellung mit dem Kaufpreis nicht rezeptpflichtiger Produkte verrechnet wird? Ja, der Versender darf, sagt der Bundesgerichtshof in einem aktuellen Urteil, zu dem nun auch die Urteilsgründe vorliegen. Außerdem: Es ist sogar rechtens, wenn der Bonus nicht auf der Quittung für die private Krankenversicherung vermerkt ist. Und der Privatversicherte muss seine Versicherung auch nicht darüber informieren, dass er für die Rezepteinlösung einen Gutschein erhalten hat. Na, mein liebes Tagebuch, was will uns das sagen? Dieses Urteil unterläuft die Spahnschen Bemühungen um Gleichpreisigkeit. Es wird keine umfassende Gleichpreisigkeit mit dem Apotheken-Stärkungsgesetz geben. Die Privatversicherten werden mit diesem Urteil eindeutig von der Gleichpreisigkeit ausgespart. Wir können uns schon heute vorstellen, was das schon bald bedeuten wird.
Politik ist wirklich nicht einfach, mein liebes Tagebuch. Früher hatte man den ABDA-Präsidenten gescholten, dass er sich zu lasch für ein höheres Apothekenhonorar einsetzt. Jetzt meldet er sich öffentlich zu Wort und verlangt eine zusätzlich Vergütung für uns Apothekers wegen der Mehrarbeit in der Corona-Krise und den zunehmenden Lieferengpässen – und wird auch dafür kritisiert: Das komme nicht gut an, heißt es, das wirke fast erpresserisch, in der akuten Lage mehr Geld zu verlangen. Ja, mein liebes Tagebuch, Politik ist wirklich nicht einfach. Manchmal braucht man eben auch viel Fingerspitzengefühl, wann der richtige Zeitpunkt für die Forderung nach mehr Geld gekommen ist. Eine Situation größter Not, eine Krise, in der Solidarität von allen verlangt wird, gehört sicher nicht in die Kategorie richtiger Zeitpunkt.
Der Bundesrat hat das Gesetz für einen fairen Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung gebilligt. Auch wenn es aus dem Gesetzesnamen nicht hervorgeht: Es enthält auch einen Abschnitt, der für uns Apothekers wichtig ist: ein erstes Maßnahmen-Paket gegen Lieferengpässe. Was u. a. kommt: Wir Apothekers werden bei nicht lieferbaren Rabattarzneimitteln künftig sofort ein vergleichbares Arzneimittel abgeben dürfen, die Krankenkasse muss es bezahlen, auch wenn’s teurer ist als der Festbetrag. Und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte muss z. B. eine aktuelle Liste versorgungsrelevanter und versorgungskritischer Wirkstoffe erstellen und auf seiner Internetseite veröffentlichen. Diese Behörde erhält zudem weitere Befugnisse gegenüber Pharmaindustrie und Großhandel zur Lagerhaltung versorgungskritischer Arzneimittel. Mein liebes Tagebuch, alles in allen ein kleiner Anfang, den Lieferengpässen Herr zu werden. Aber es reicht nicht – meint auch der Bundesrat, weitere Maßnahmen müssen folgen. Wir wüssten da schon was, mein liebes Tagebuch: Die Krankenkassen müssten verpflichtet werden, Rabattverträge an mehrere Hersteller zu vergeben.
16 Kommentare
zu Herrn Mückschel
von Dr.Diefenbach am 16.03.2020 um 10:15 Uhr
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Bitte keinen Tunnelblick entwickeln
von DrCK am 15.03.2020 um 17:25 Uhr
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Solidarität und Retax
von Barbara Buschow am 15.03.2020 um 14:18 Uhr
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AW: Solidarität und Retax
von Conny am 15.03.2020 um 17:24 Uhr
AW: Solidarität und Retax ... wenn Spahn jetzt nicht lesen kann ... Pech gehabt ...
von Christian Timme am 15.03.2020 um 19:02 Uhr
zu Herrn Ströh
von Dr.Diefenbach am 15.03.2020 um 12:37 Uhr
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AW: zu Herrn Ströh
von Roland Mückschel am 16.03.2020 um 9:56 Uhr
Overwiening: Alter Wein in neuen Schläuchen?
von Gunnar Müller, Detmold am 15.03.2020 um 12:26 Uhr
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Zum Rechnen und Staunen ...
von Reinhard Herzog am 15.03.2020 um 11:15 Uhr
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Erstaunlich
von Reinhard Rodiger am 15.03.2020 um 9:45 Uhr
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von Anita Peter am 15.03.2020 um 8:52 Uhr
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Genial ... Politik zieht Sommerpause vor ...
von Christian Timme am 15.03.2020 um 8:44 Uhr
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Dieses Tagebuch
von Karl Friedrich Müller am 15.03.2020 um 8:38 Uhr
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AW: Dieses Tagebuch ... leider Saft- und Kraftlos ...
von Christian Timme am 15.03.2020 um 10:08 Uhr
AW: Dieses Tagebuch
von Roland Mückschel am 15.03.2020 um 15:52 Uhr
Corona Vergütung zusätzlich?
von Ulrich Ströh am 15.03.2020 um 8:36 Uhr
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