Arzneimittelkontingentierung

Was sind „versorgungsrelevante“ Arzneimittel?

Stuttgart - 25.03.2020, 09:00 Uhr

Um Ungleichverteilungen bei Arzneimitteln und Engpässen vorzubeugen, hat das BfArM die Kontingentierung von  Arzneimitteln angeordnet. (t/Foto:imago images / Panthermedia)

Um Ungleichverteilungen bei Arzneimitteln und Engpässen vorzubeugen, hat das BfArM die Kontingentierung von  Arzneimitteln angeordnet. (t/Foto:imago images / Panthermedia)


Das BfArM hat am vergangenen Freitagnachmittag angeordnet, dass Arzneimittel für die Zeit der Corona-Pandemie nur noch kontingentiert an den pharmazeutischen Großhandel und Apotheken ausgeliefert werden. Man will Ungleichverteilungen und Engpässen bei der Arzneimittelversorgung vorbeugen. Doch welche Arzneimittel trifft die Anordnung konkret?

Dass sich die SARS-CoV-2-Pandemie die Arzneimittelversorgung beeinträchtigen wird, war absehbar. Bereits das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hatte in der vergangenen Woche dazu angehalten, dass Ärzte bedarfsgerecht verordnen (und keine zusätzlichen Privatrezepte auszustellen) und Apotheker OTC-Arzneimittel mit Augenmaß abgeben

Am Freitagnachmittag ordnete nun das BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) an, Arzneimittel für die Zeit der Corona-Pandemie nur kontingentiert zu liefern. Die oberste Arzneimittelbehörde will mit dieser Maßnahme ersten Phasen einer Ungleichverteilung von Medikamenten entgegenwirken, da sich einzelne Marktteilnehmer übermäßig bevorrateten. Mit strengeren Regeln zur Abgabe von Arzneimitteln ist Deutschland nicht allein, auch die Schweiz beugt Hamsterkäufen bereits vor.

Für welche Arzneimittel diese Anordnung genau gilt, wird aus dieser selbst nicht ganz deutlich. Zwar soll das BfArM künftig im Hinblick auf Lieferengpässe versorgungsrelevanter Arzneimittel Maßnahmen – auch zur Kontingentierung – ergreifen können. Das sieht das Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz vor, dessen Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt jeden Tag zu erwarten, aber bislang nicht erfolgt ist. Dies im Blick, könnte man annehmen, dass sich auch die aktuelle Anordnung nur auf versorgungsrelevante Arzneimittel bezieht. Angesichts der besonderen derzeitigen Situation dürfte sie jedoch als Appell zu verstehen sein, der auch andere Arzneimittel, inklusive OTC, einbezieht, um einer flächendeckenden Ungleichverteilung von Arzneimitteln entgegenzuwirken.

Dennoch kann man sich schon jetzt die Frage stellen, was eigentlich hinter den „versorgungsrelevanten“ Arzneimitteln steckt, für die das BfArM künftig Maßnahmen ergreifen kann, wenn Lieferengpässe drohen oder bestehen.

Was ist ein „versorgungsrelevanter Wirkstoff“?

Die Liste der versorgungsrelevanten Wirkstoffe wurde auf Basis der Vorschläge der medizinischen Fachgesellschaften und der WHO-Liste der essenziellen Arzneimittel zusammengeführt. Diese Liste wird laut BfArM-Webseite „regelmäßig im Jour fixe zu Liefer- und Versorgungsengpässen auf Aktualität geprüft und sofern erforderlich angepasst“. Damit Wirkstoffe oder Wirkstoffkombinationen „Versorgungsrelevanz“ erlangen, ist grundsätzliche Voraussetzung, „dass die Arzneimittel verschreibungspflichtig sind, und dass der Wirkstoff für die Gesamtbevölkerung relevant ist“, definiert die Bundesoberbehörde. 

Aus diesem Grund sind laut BfArM-Seite Wirkstoffe zur Behandlung seltener Erkrankungen (mit Orphan Drug Status) grundsätzlich nicht Bestandteil der Liste, sofern nicht der Jour fixe dies für einzelne Wirkstoffe empfehle. Denn: Ein Lieferengpass führe hier zwar sofort zu einem Versorgungsnotstand, doch könne dieser nicht durch die Behörde aufgehoben werden. Zur Erklärung: Arzneimittel zur Behandlung von seltenen Erkrankungen besitzen eine zehnjährige Marktexklusivität, es gibt kein weiteres Arzneimittel für diese seltene Indikation.

Klar ist damit aber auch: Das derzeit häufig „gehamsterte“ rezeptfreie Paracetamol ist hier nicht erfasst (wohl auch deshalb ist das Bundesgesundheitsministerium in Sachen Paracetamol am gestrigen Dienstag selbst aktiv geworden). 



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Fragen

von Peter Brunsmannn am 26.03.2020 um 10:18 Uhr

Keine Ahnung von welchen Hamsterkäufen da geredet, oder geschrieben wird (im RX-bereich). Was ich sehe sind Vorziegeffekte, welche durch die Erfahrung unserer Patienten mit "Nichtlieferbarkeiten" und Praixurlauben zum Quartalsende, mehr als verständlich sind.
Nun macht man uns noch die Versorgung zusätzlich schwer.

Es gibt 10 tausende Fachleute in diesem Land, die sich mit der Arzneimittelversorgung auskennen! Zumindest einen hätte man ja fragen können, bevor man aktionistisch agiert.

Bleibt gesund



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Sehr geehrter Herr Minister Spahn,

von Wolfgang Müller am 25.03.2020 um 15:28 Uhr

liebe Bundesregierung,

das ist eine wirklich überhastete und unseriöse Regelung. Sie öffnet vor Allem Tür und Tor für Willkür bei den Großhändlern und Gschaftlhuberei sowie Schlaumeierei bei einem Teil der abnehmenden, durch die Kontingentierung betroffenen 19.000 Apotheken. Vom völlig überflüssigen Mehraufwand und Gewusel in diesen - noch einmal - 19.000 Betrieben ganz zu schweigen!

Der Effekt wird sein: "schlaue", "geschickte", "starke" Apotheken, sprich also in der Regel die recht großen, recht kaufmännisch aufgestellten mit guten "Kanälen" werden ordentlich weiter Ware vom Großhandel bekommen. Die normalen haben gerade aktuell gar nicht die Zeit und oft eben NICHT die "Kanäle", sich dieser privilegierten, bonfortionösen geschäftemacherischen Schlaumeierei anzuschließen. Die Flächenversorgung mit den Hilfloseren trocknet dann als Erste aus. Die Fläche, die von sich gerade emsiger als je abstrampelnden "Regel-Apotheken im Gestern" (wie Disruptions-Gurus abschätzig bis vor Kurzem schon mal sagten; sorry, Herr Abgeordneter Hennrich, ich weiß: sie sind eigentlich auf unserer Seite) hochmotiviert und anpassungsfähig versorgt wird!!!

Dieser Mist muss SCHNELL WEG, Herr Minister Spahn. Sie sollten eher Wege finden, dass aus der inländischen Handelskette keine hier eigentlich schon für die Vor-Ort-Versorgung bereitstehenden Arzneimittel in Riesen-Lieferlosen und unverhältnismäßigen Mengen strategisch in die Lagerhäuser "Ganz Großer" im benachbarten Ausland verschwinden, WENN Sie schon kontingentieren wollen. Das hat hier übrigens heute auch schon mal der Kollege Reinhard Rokitta von der Freien Apothekerschaft klar gefordert.

Zu viel an Fairness verlangt? Bitte enttäuschen Sie mich nicht. Ich möchte gerne meinen Glauben an eine Chance für anständige konservative Haltungen in Ihrem/unserem Lager bewahren.

Mit freundlichen Grüßen,

Wolfgang Müller

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