Positionspapier zur Corona-Pandemie

BAH: Arzneimittelhersteller sind systemrelevant

Berlin - 02.04.2020, 14:59 Uhr

Riskante Abhängigkeiten: Die im Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller vereinten Unternehmen fordern Anreize, um die Produktion in die EU zurückzuverlagern. ( r / Foto: imago images / PhotoAlto)

Riskante Abhängigkeiten: Die im Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller vereinten Unternehmen fordern Anreize, um die Produktion in die EU zurückzuverlagern. ( r / Foto: imago images / PhotoAlto)


Die Produktion von Arzneimitteln und Medizinprodukten läuft trotz der derzeit angespannten Lage auf Hochtouren – das versichern die Mitgliedsunternehmen des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH). Allerdings bereiten ihnen einige Entwicklungen Sorge – und sie wünschen sich Anreize, um die Produktion in die EU zurückzuholen. In einem Positionspapier zur Corona-Pandemie legt der BAH nun dar, was aus seiner Sicht geschehen muss, damit die Hersteller auch weiterhin Versorgungssicherheit gewährleisten können.

Durch die aktuelle SARS-CoV-2 -Krise steht die ganze Welt vor bislang nie dagewesenen Herausforderungen – nicht zuletzt die Gesundheitssysteme aller Länder. Wie viele andere Branchen, die global arbeiten und von funktionierenden internationalen Lieferketten abhängig sind, fragt sich auch die Arzneimittelindustrie, was ihr noch bevorsteht und wie sie die Arzneimittelversorgung der Patienten sicherstellen kann.

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Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) hat sich nun in einem Positionspapier mit dieser Frage auseinandergesetzt. „Unsere Mitgliedsfirmen haben uns versichert, dass die Produktion von rezeptfreien wie auch rezeptpflichtigen Arzneimitteln sowie Medizinprodukten trotz der angespannten Lage weiter auf Hochtouren läuft“, heißt es darin eingangs. Da, wo es möglich sei, hätten sie bereits Kapazitäten erweitert und Maßnahmen eingeleitet, um auch in dieser schwierigen Situation die Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten zu gewährleisten.

Derzeit sind die Lieferketten laut BAH noch relativ stabil – aber man schaut besorgt auf die globalen Entwicklungen. Denn: Der Bundesregierung zufolge gibt es für die in Deutschland zugelassenen versorgungsrelevanten Arzneimittelwirkstoffe weltweit 1.344 Hersteller. Europaweit sind es 526 und in Deutschland 96. Die meisten Hersteller von Wirkstoffen, die als versorgungsrelevant eingestuft sind, befinden sich in Indien, China und Italien. Zugleich, so der BAH, exportiere Deutschland  Arzneimittel im Wert von über 80 Milliarden Euro.

Keine nationalen Alleingänge

Die Firmen, so der BAH, trügen also nicht nur Verantwortung für Deutschland. Daher seien zur Sicherstellung ihrer Produktion nationale Alleingänge, wie etwa Beschränkungen des freien Warenverkehrs, Exportverbote (wie zuletzt in Indien oder Großbritannien) oder ähnliche Maßnahmen, zu vermeiden. Vor dem Hintergrund des am vergangenen Samstag in Kraft getretenen „Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ und der dort vorgesehen Eingriffsermächtigungen – beispielsweise zur Sicherstellung von Arzneimitteln – sollte berücksichtigt werden, dass einige Maßnahmen zu einer Minderversorgung ausländischer Märkte führen könnten. Das könnte eine Kettenreaktion auslösen, wenn diese Märkte dann ihrerseits für den deutschen Markt unverzichtbare Waren beschränken. „Die Ausfuhrbeschränkungen für Schutzkleidung sind hier ein mahnendes Beispiel“, so der BAH. Daher plädiert der BAH für ein Anhörungsrecht der Betroffenen, um solche Konsequenzen in ihrer ganzen Tragweite bedenken zu können. Zudem sollten entsprechende Maßnahmen auch auf internationaler, zumindest aber auf EU-Ebene, abgestimmt werden. 

Mit anderen Rabattverträgen und neuer Subsitutionsregelung Standort EU stärken

Weiterhin sei festzustellen, dass bei einigen Unternehmen bereits logistische Probleme auftreten – etwa wegen Störungen der Transportwege. Hier müsse man kurzfristig Maßnahmen ergreifen, beispielsweise „Durchfahrtspuren“ für Lieferfahrzeuge an den geschlossenen oder kontrollierten Grenzen innerhalb der EU einrichten und Transporte mit systemrelevanten Gütern priorisieren. 

Einige BAH-Mitgliedsunternehmen haben zudem eine angespannte Personalsituation. So berichteten Firmen, die in grenznahen Gebieten z. B. zu Frankreich oder der Schweiz tätig sind, von Problemen bei Grenzübertritten von Mitarbeitern. Hier müsse die Freizügigkeit von Personen möglichst bald wieder vollständig oder zumindest teilweise hergestellt werden.

Bundesweite Anerkennung als systemrelevant nötig

Der BAH betont überdies, dass Arzneimittel- und Medizinproduktehersteller systemrelevant seien – und das unabhängig von der aktuellen Bekämpfung der Pandemie. Einige Länder (Baden- Württemberg, Nordrhein-Westfalen) hätten dies auch schon ausdrücklich anerkannt – nötig sei aber eine bundeseinheitliche Anerkennung. Das würde ihnen ermöglichen, dass in den Betrieben auch an Sonn- und Feiertagen gearbeitet und die tägliche Höchstarbeitszeit auf bis zu zwölf Stunden verlängert werden dürfe. Überdies könnten bei Schließungen von Kinderbetreuungsstätten die Kinder von Mitarbeitern der Arzneimittel- und Medizinproduktehersteller in eine „Kindernotbetreuung“. Auch Passierscheine könnten dann ausgegeben werden.

Keine Sonderbelastungen

Weiterhin fordert der BAH, dass auf die Hersteller keine finanziellen Sonderbelastungen fallen dürfen. Schon jetzt seien Wirkstoff- und Transportkosten gestiegen, zugleich veröffentlichten Krankenkassen aber neue Ausschreibungen für Rabattverträge – Planbarkeit für die Unternehmen gebe es nicht. Statt sie noch weiter zu belasten, sollte man über Anreize nachdenken, um die EU als Standort für die pharmazeutische Industrie zu stärken und die Produktion von Wirkstoffen und Arzneimitteln in die Europäische Union „zurückzuholen“. Die Abhängigkeit von der Wirkstoffproduktion in Drittländern sei schon vor der Coronakrise durch Lieferengpässe deutlich geworden, so der BAH. Ein Weg seien direkte Beihilfen der EU und der Mitgliedstaaten. Und auch bei der Ausschreibung und Vergabe von Rabattverträgen könnten europäische Produktionsstandorte bevorzugt berücksichtigt werden – und zwar schon nach dem heutigen Recht. Gefördert werden könnten diese Standorte auch durch eine Ergänzung der Substitutionspflicht der Apotheken bei Rabattverträgen: Sie sollten demnach solche Arzneimittel bevorzugt abgeben, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union produziert wurden.

Überdies spricht der BAH die europäische Medizinprodukteverordnung (MDR) an, die eigentlich ab dem 26. Mai 2020 anzuwenden ist. Die EU-Kommission hat bereits Ende März angekündigt, den Geltungsbeginn um zwölf Monate zu verschieben. Zudem sei eine Verlängerung der Medizinproduktzertifikate, die nach der Richtlinie 93/42/EWG erteilt worden sind, um mindestens sechs Monate erforderlich – beides müsse der EU-Gesetzgeber jetzt unverzüglich beschließen, so der BAH.

Letztlich ist man beim BAH überzeugt: Um die Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten zu sichern, ist eine Kooperation aller Beteiligten essenziell – inklusive der hierzulande ansässigen Hersteller.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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