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Experten-Stellungnahme
Leopoldina: Apotheken könnten Opfern häuslicher Gewalt helfen
Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina empfiehlt, unter bestimmten Voraussetzungen so bald wie möglich einige der zuletzt verhängten Einschränkungen des sozialen Lebens wieder aufzuheben. Konkret fordern die Experten die schrittweise Wiedereröffnung des Schulwesens. Allerdings wird in der Stellungnahme auch vor psychischen und sozialen Problemen gewarnt, wie etwa häusliche Gewalt. Apotheken könnten hier helfen, finden die Experten. Zudem sprechen sich die Experten für eine Masken-Pflicht etwa in Bussen und Bahnen aus.
Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hat am gestrigen Montag eine dritte Ad-hoc-Stellungnahme zur COVID-19-Pandemie veröffentlicht. Das Papier mit dem Titel „Coronavirus-Pandemie – Die Krise nachhaltig überwinden“ behandelt die psychologischen, sozialen, rechtlichen, pädagogischen und wirtschaftlichen Aspekte der Pandemie und beschreibt Strategien, die zu einer schrittweisen Rückkehr in die gesellschaftliche Normalität beitragen können. Zu den Experten gehören 24 Autoren und zwei Autorinnen, die im Original-Gutachten der Leopoldina namentlich genannt sind. Auch ein Apotheker ist dabei: der Pharmazeut und Pharmakologe Prof. Dr. Heyo Kroemer, derzeit Vorstandsvorsitzender der Berliner Charité.
In erster Linie empfehlen die Autoren, zuerst Grundschulen und die Sekundarstufe I schrittweise zu öffnen. Die wichtigste Voraussetzung sei allerdings nach wie vor, dass die Infektionen auf niedrigem Niveau stabilisiert und die bekannten Hygieneregeln eingehalten werden müssten. In der Stellungnahme erklären die Experten, dass auch viele weitere Teile des öffentlichen Lebens schrittweise unter bestimmten Voraussetzungen wieder normalisiert werden können. Zunächst könnten etwa der Einzelhandel, das Gastgewerbe und Behörden öffnen. Aber auch private und dienstliche Reisen sowie gesellschaftliche, kulturelle und sportliche Veranstaltungen könnten wieder stattfinden.
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Hierfür müssten jedoch zunächst auch „notwendige klinische Reservekapazitäten aufgebaut“ und auch andere Patienten wieder regulär aufgenommen werden. Als Voraussetzung wird auch jeweils genannt, dass Hygieneregeln diszipliniert eingehalten werden. Und auch wenn jetzt über eine Normalisierung des gesellschaftlichen Lebens diskutiert wird, machen die Experten klar, dass „die Pandemie das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben noch auf Monate bestimmen wird“.
Apotheker und Supermärkte könnten bei häuslicher Gewalt helfen
In einem Kapitel beschäftigen sich die Autoren auch damit, wie die psychischen und sozialen Folgen der Krise „abgefedert“ werden könnten. Denn: „In einer Krise von der Größenordnung der aktuellen COVID-19-Pandemie muss mit massiven psychischen und sozialen Auswirkungen gerechnet werden. Diese betreffen sowohl Individuen als auch Gruppen und Gesellschaften in ihrer Gesamtheit.“ Ein besonderes Augenmerk müsse dabei auf die Familien gerichtet werden. Schließlich seien dort durch die zusätzlichen Belastungen (Kinderbetreuung, schulische Ausbildung der Kinder, etc.) in erster Linie Frauen betroffen. Je länger der „Shutdown“ anhalte, desto häufiger könnten Menschen in den Privathaushalten an ihre Belastungsgrenzen geraten, was sich an der Zunahme der häuslichen Gewalt und an professionellem Beratungsbedarf zeige.
Diese Belastungen bleiben nach Ansicht der Autoren aber zu oft „unsichtbar“. Und hier könnten die Apotheken helfen. Wörtlich heißt es in dem Papier: Kurzfristig von zunehmender Bedeutung sind daher Hotlines und Beratungsdienste. Zudem sollten die in Frankreich getroffenen Maßnahmen wie Anlaufstellen für häusliche Gewalt und andere familiäre Notsituationen in Supermärkten und Apotheken erwogen werden.“ Die Leopoldina-Experten spielen hier auf die Aufgabe für Frankreichs Apotheker an: Dort haben Frauen die Möglichkeit, ihrem Apotheker mit dem Codewort „Maske19“ zu signalisieren, dass sie in Gefahr sind. Der Apotheker muss dann Maßnahmen einleiten und die Behörden bzw. die Polizei informieren.
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Nur kleine Klassen möglich
Zur Öffnung von Schulen und Kitas heißt es in dem Papier: „Da kleinere Kinder sich nicht an die Distanzregeln und Schutzmaßnahmen halten können, gleichzeitig aber die Infektion weitergeben können, sollte der Betrieb in Kindertagesstätten nur sehr eingeschränkt wiederaufgenommen werden.“ In Kitas sollten maximal fünf Kinder in einem Raum sein. Weil ältere Schüler Fernunterricht besser nutzen könnten, wird empfohlen, dass diese erst später wieder zum gewohnten Unterricht zurückkehren sollten.
Die Wissenschaftler machen im Bildungsbereich auch weitere konkrete Vorschläge, wie der Unterricht künftig stattfinden könne. Zunächst solle sich etwa auf die Schwerpunktfächer Deutsch, Mathe und Fremdsprachen konzentriert werden. Zudem sollten konstante Lerngruppen gebildet werden, um das Ansteckungsrisiko zu verringern. Als Gruppengröße wird eine Zahl von 15 Schülerinnen und Schülern genannt, sofern entsprechend große Klassenräume vorhanden sind.
In den Empfehlungen der Leopoldina heißt es unter dem Punkt „Wirtschafts- und Finanzpolitik zur Stabilisierung nutzen“, staatliche Beteiligungen sollten nur im äußersten Notfall zur Stabilisierung von Unternehmen eingesetzt werden. Mit dem Auslaufen der jetzigen gesundheitspolitischen Maßnahmen würden mittelfristig weitere expansive fiskalpolitische Impulse notwendig sein. Auf der Einnahmenseite könnten dies Steuererleichterungen sein, das Vorziehen der Teilentlastung beim Solidaritätszuschlag oder seine vollständige Abschaffung. Auf der Ausgabenseite seien zusätzliche Mittel für öffentliche Investitionen, etwa im Gesundheitswesen, der digitalen Infrastruktur und im Klimaschutz wichtig.
Die Experten rufen zudem dazu auf, an der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung festzuhalten. So sei an der Schuldenbremse im Rahmen ihrer derzeit geltenden Regeln festzuhalten. Dies erlaube gerade in so besonderen Zeiten wie der Corona-Krise eine deutlich höhere Verschuldung, verlange aber bei der Rückkehr zur Normalität wieder deren Rückführung.
Experten wollen keine Bevormundung
Explizit abgelehnt wird eine Isolierung von einzelnen Bevölkerungsgruppen zu deren Schutz. Dies sei eine „paternalistische Bevormundung“. Dennoch müsse Rücksicht genommen werden. „Die Krankheitswirkung von belastenden Ereignissen hängt wesentlich davon ab, ob ein Individuum sie als vorhersagbar und kontrollierbar erlebt oder nicht“, heißt es mit Blick auf die psychischen und sozialen Folgen der Pandemie.
Die Stellungnahme geht zudem auf die politischen Dimensionen der Pandemie und der bisher beschlossenen Maßnahmen ein. „Grundrechtseinschränkungen müssen nicht nur ein legitimes Ziel verfolgen – was in der gegenwärtigen Situation mit dem Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung außer Zweifel steht“, schreiben die Wissenschaftler. Dennoch habe der Staat die Pflicht, angesichts der Schwere der Maßnahmen „ständig zu überprüfen, ob nicht mildere Maßnahmen in Betracht gezogen werden können.“
Die Leopoldina ist eine der weltweit ältesten naturwissenschaftlichen Gelehrtengesellschaften und seit 2008 die Nationale Akademie der Wissenschaften Deutschlands. Unabhängig von wirtschaftlichen oder politischen Interessen berät sie Entscheidungsträger über gesellschaftlich relevante Themen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte die Studie der Leopoldina als „sehr wichtig“ für das weitere Vorgehen bezeichnet.
6 Kommentare
Besuch im Märchenland
von Conny am 14.04.2020 um 13:39 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort
AW: Besuch im Märchenland
von Roland Mückschel am 14.04.2020 um 14:12 Uhr
Ich wünsche der Leopoldina eine weit höhere Verbreitung als Corona ... natūrlich auch unter unseren Politikern ...
von Christian Timme am 14.04.2020 um 13:33 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Codewort Maske 19
von Roland Mückschel am 14.04.2020 um 11:55 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten
AW: Bitte nicht so voreilig ... Codewort Maske 19
von Christian Timme am 14.04.2020 um 18:24 Uhr
AW: Herr Timme
von Roland Mückschel am 15.04.2020 um 10:39 Uhr
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