Österreich

Letzter Antibiotika-Produktionsstandort in Westeuropa soll bleiben

Remagen - 25.05.2020, 10:15 Uhr

Die Novartis-Tochter Sandoz produziert im österreichischen Kundl Penicillin. Der letzte Produktionsstandort für Antibiotika war Medienberichten zufolge bedroht, soll nun aber bleiben. (s / Foto: imago images / Mühlacker)

Die Novartis-Tochter Sandoz produziert im österreichischen Kundl Penicillin. Der letzte Produktionsstandort für Antibiotika war Medienberichten zufolge bedroht, soll nun aber bleiben. (s / Foto: imago images / Mühlacker)


Die Wirkstoffproduktion hat sich in den letzten Jahrzehnten weitgehend aus Europa verabschiedet, im Wesentlichen getrieben durch den finanziellen Druck auf die Gesundheitssysteme. Wie die „Epoch Times“ meldet, soll es in Westeuropa nur noch ein „gallisches Dorf“ geben, in dem an der Herstellung antibiotischer Wirkstoffe festgehalten wird. Und das soll auch so bleiben.

Spätestens seit der Coronakrise hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Europa die Produktion wichtiger Arzneimittel dringend wieder auf heimischen Boden zurückholen muss, um die Abhängigkeit vor allem von China und Indien zu verringern. Die beiden „Platzhirsche“ haben sich in den letzten Jahrzehnten im internationalen Wirkstoffhandel so breitgemacht, dass Produktionsausfälle an einzelnen Standorten in den Importländern in Europa und auch in den USA Erdbeben in der Versorgung auslösen können. So geschehen im Fall Valsartan. Immer wieder im Fokus der Diskussion um Lieferengpässe stehen die Antibiotika. In Westeuropa soll es nur noch ein einziges Werk geben, dass die therapeutisch unverzichtbaren Pharmaka herstellt, schreibt die internationale Zeitung „Epoch Times“.

75 Prozent der Weltproduktion von Penicillin

Das unbeugsame „gallische Dorf“ der westeuropäischen Antibiotikaherstellung befindet sich im österreichischen Tirol in den Ortschaften Kundl und Schaftenau. Der Schweizer Pharmariese Novartis-Sandoz habe hier seine weltweit größten Herstellungsstandorte, berichtet die Zeitung. Das Tiroler Werk decke allein bei Penicillin in Tablettenform 75 Prozent der Weltproduktion ab. Nun sei vor einiger Zeit das Gerücht kursiert, das Unternehmen könnte die Antibiotikaherstellung wegen des enormen Preisdrucks in Österreich beenden und den Wirkstoff künftig aus Asien zukaufen. Diese sei hier in Europa zu kostenintensiv, habe es seitens der Firmenleitung geheißen. Man könne am Weltmarkt mit Asien nicht mithalten.

Wirtschaftsministerin interveniert

Das hat nun die Politik auf den Plan gerufen. Der Österreichische Rundfunk berichtet über einen Besuch von Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) am letzten Donnerstag im Bundesland. Bei dieser Gelegenheit soll in Innsbruck ein erstes Gespräch mit den Top-Managern von Novartis, dem Mutterkonzern, und der Tochter Sandoz stattgefunden haben. Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) sollen zugegen gewesen sein, Chefsache also. Novartis habe sich gesprächsbereit gezeigt. Die Wirtschaftsministerin habe die Einrichtung einer Taskforce angekündigt, um den Verbleib der Penicillinproduktion im Tiroler Unterland zu sichern. „Wir werden Gespräche mit der Europäischen Union führen, um die Rahmenbedingungen für das Unternehmen zu verbessern“, so ihre Zusage. Angedacht sei, dass die Länder der Europäischen Union gemeinsam in einen Topf einzahlen und so die Produktion in Kundl mit der europaweit einzigen Penicillin-Produktion absichern. Zugleich müsse aber auch gewährleistet werden, dass das Antibiotikum von den europäischen Ländern gekauft wird.

Motivationsschub durch Corona?

Gegenüber ORF Tirol soll die Sandoz Gmbh Kundl/Schaftenau die „Aufmerksamkeit der Politik“ begrüßt haben. Ob seitens Novartis ein ernsthaftes Interesse am Verbleib der Antibiotika-Produktion in Tirol besteht, dazu habe Geschäftsführer Mario Riesner allerdings zunächst nichts sagen wollen. Möglicherweise bringt die Coronavirus-Pandemie dem Unternehmen einen Motivationsschub, von ihrem Ansinnen abzurücken. Die Novartis-Tochter Sandoz berichtet von Vollauslastung der dort beschäftigen 4.000 bis 5.000 Mitarbeiter. Der Bedarf an Antiinfektiva sei weltweit gestiegen, Kurzarbeit kein Thema.

Herstellung soll zurück nach Europa

Laut „meinbezirk.at“ geht auch Christoph Baumgärtel vom österreichischen Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen davon aus, dass hier bald ein nachhaltiger Erfolg erzielt werden kann, was er in der aktuellen Lage als ein „wichtiges und richtiges Signal“ wertet. Baumgärtel hofft, dass noch mehr heimische Firmen diesem Vorbild folgen, und dass vor allem die in der Vergangenheit nach Fernost abgewanderte Firmen wieder zumindest in die EU oder besser direkt nach Österreich zurückkehren.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat die Produktion von Wirkstoffen in Europa als einen Schwerpunkt auf die Agenda der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zwei­ten Halbjahr 2020 gesetzt.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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