Europäischer Gerichtshof

Gratismuster von Rx-Arzneimitteln sind für Apotheken tabu

Berlin - 11.06.2020, 10:50 Uhr

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat sich mit der Frage befasst, ob Pharmaunternehmen Apothekern gratis Arzneimittelmuster überlassen dürfen. (x / Foto: ks)

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat sich mit der Frage befasst, ob Pharmaunternehmen Apothekern gratis Arzneimittelmuster überlassen dürfen. (x / Foto: ks)


Darf ein pharmazeutisches Unternehmen einem Apotheker ein Diclofenac-haltiges Schmerzgel mit neuer Textur kostenlos überlassen, damit dieser es ausprobieren und besser dazu beraten kann? Der Europäische Gerichtshof hat im Streit um die Zulässigkeit der Abgabe von Gratismustern an Apotheker nur bedingt für Klarheit gesorgt: Für Pharmazeuten bleiben solche Muster zwar tabu, wenn es sich um verschreibungspflichtige Arzneimittel handelt. Dagegen kann der nationale Gesetzgeber erlauben, dass lediglich apothekenpflichtige Arzneimittel zu Probierzwecken abgegeben werden können. Das Arzneimittelgesetz sieht dies derzeit allerdings nicht explizit vor. 

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sein Urteil gesprochen: Pharmazeutische Unternehmen dürfen keine Gratismuster verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Apotheker abgeben. Das verbietet der Gemeinschaftskodex für Arzneimittel. Dagegen lässt das Unionsrecht es durchaus zu, dass Apotheker nicht verschreibungspflichtige Arzneimittelmuster bekommen, um sich mit einem neuen Produkt vertraut zu machen. 

Der Fall Ratiopharm

Hinter dieser Entscheidung steckt ein deutscher Fall. Der Novartis Consumer Health GmbH, die vor GSK das Schmerzgel Voltaren vertrieben hat,missfiel eine spezielle Praktik ihres Wettbewerbers Ratiopharm im Apotheken-Außendienst. Mitarbeiter des Ulmer Unternehmens gaben im Jahr 2013 an Apotheken 100 g Packungen des apothekenpflichtigen Diclo-ratiopharm-Schmerzgels ab, die mit der Aufschrift „zu Demonstrationszwecken“ versehen waren – und zwar kostenlos. Novartis sah darin einen Verstoß gegen § 47 Abs. 3 Arzneimittelgesetz (AMG). Dieser gestatte die kostenlose Abgabe von Arzneimittelmustern an Apotheker nicht – tatsächlich sind Pharmazeuten hier nicht ausdrücklich als potenzielle Empfänger von solchen Gratismustern genannt – anders als etwa Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte. Diese Abgabe sei daher eine unzulässige Gewährung von Werbegaben.

Doch auch der europäische Humanarzneimittelkodex, die Richtlinie 2001/83/EG, enthält Bestimmungen zur Abgabe von Arzneimittelmustern, die Apotheken nicht ausdrücklich nennen, sondern immer nur den ärztlichen Verordner im Blick haben: 

Artikel 96 Richtlinie 2001/83/EG

(1) Gratismuster dürfen nur ausnahmsweise unter folgenden Voraussetzungen an die zur Verschreibung berechtigten Personen abgegeben werden:

a) die Anzahl von Mustern von jedem Arzneimittel pro Jahr und je Verschreiber muss begrenzt sein;

b) jedes Muster darf nur auf schriftliches Ersuchen mit Datum und Unterschrift des Verschreibenden geliefert werden;

(...)

e) das Muster muss die Aufschrift „unverkäufliches Gratisärztemuster“ oder eine Angabe mit gleicher Bedeutung tragen;

(...)

(2) Ferner können die Mitgliedstaaten die Abgabe von Mustern bestimmter Arzneimittel weiter einschränken.

Nachdem Novartis in den ersten beiden Instanzen mit seiner Klage Erfolg hatte, wollte der Bundesgerichtshof erst entscheiden, wenn zuvor der EuGH Klarheit geschaffen hat. Konkret wollten die Karlsruher Richter wissen, ob der Gemeinschaftskodex die Abgabe kostenloser Arzneimittelmuster an Apotheker erlaubt und falls ja, ob er dann den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumt, diese Abgabe zu verbieten.  

Mitgliedstaaten dürfen OTC-Muster für Apotheker erlauben

Anfang Februar veröffentlichte der Generalanwalt am EuGH, Giovanni Pitruzzella, seine Schlussanträge. Darin führte er aus, dass die europarechtlichen Vorgaben in jeder Hinsicht deutlich seien: Demnach könne es Arzneimittelmuster nur für verordnende Ärzte geben, nicht aber für Apotheken. Einen Unterschied, ob es sich um verschreibungspflichtige oder nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel handelt, machte Pitruzzella nicht. 

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Ganz so weit geht der EuGH in seiner Entscheidung nicht. Der Gemeinschaftskodex ist seiner Ansicht nach so auszulegen, dass nur Ärzte, also verschreibungsberechtigte Personen, Gratismuster verschreibungspflichtiger Arzneimittel erhalten dürfen. Und dies hat zur Folge, dass eine Abgabe an Apotheker nicht zulässig ist. „Diese Arzneimittel dürfen in Anbetracht der mit ihrem Gebrauch verbundenen Gefahr oder der hinsichtlich ihrer Wirkungen bestehenden Unsicherheit nämlich nicht ohne ärztliche Überwachung verwendet werden“, heißt es in der Pressemitteilung des Gerichts.

Die Beantwortung der zweiten Vorlagefrage erübrigt sich für den EuGH nach dieser verneinenden Antwort. Allerdings machen die EU-Richter deutlich: Im Rahmen des nationalen Rechts werde den Apothekern durch den Kodex nicht die Möglichkeit genommen, Gratismuster von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu erhalten, damit sie sich mit neuen Präparaten vertraut machen und Erfahrungen mit deren Anwendung sammeln können. 

Was das nun für die Entscheidung des Bundesgerichtshofs bedeutet, muss sich zeigen. Derzeit führt auch die Norm im Arzneimittelrecht die Apotheken nicht als empfangsberechtigte Personengruppe für Arzneimittelmuster auf. Und es ist stets nur von „Fertigarzneimitteln“ die Rede, nicht speziell von verschreibungs- oder apothekenpflichtigen Arzneimitteln. Ein solcher Unterschied wird nur in § 47 Abs. 3 Satz 1 Nummer 2 Arzneimittelgesetz gemacht – doch Apotheker sind keine Personen, die Heilkunde berufsmäßig ausüben. 

§ 47 Abs. 3 Arzneimittelgesetz

Pharmazeutische Unternehmer dürfen Muster eines Fertigarzneimittels abgeben oder abgeben lassen an 

1. Ärzte, Zahnärzte oder Tierärzte,

2. andere Personen, die die Heilkunde oder Zahnheilkunde berufsmäßig ausüben, soweit es sich nicht um verschreibungspflichtige Arzneimittel handelt,

3. Ausbildungsstätten für die Heilberufe.

Pharmazeutische Unternehmer dürfen Muster eines Fertigarzneimittels an Ausbildungsstätten für die Heilberufe nur in einem dem Zweck der Ausbildung angemessenen Umfang abgeben oder abgeben lassen. Muster dürfen keine Stoffe oder Zubereitungen 

1. im Sinne des § 2 des Betäubungsmittelgesetzes, die als solche in Anlage II oder III des Betäubungsmittelgesetzes aufgeführt sind, oder

2. die nach § 48 Absatz 2 Satz 3 nur auf Sonderrezept verschrieben werden dürfen,

enthalten.

Juristen legen den Umstand, dass Apotheker nicht genannt sind, bislang unterschiedlich aus. Während die einen meinen, dass ihre Nicht-Erwähnung zwangsläufig zu ihrem Ausschluss führe, gibt es andere, die das genaue Gegenteil vertreten. Vom Wortsinn her ist wohl die Ausschluss-These leichter nachvollziehbar. Doch diese Entscheidung bleibt dem Bundesgerichtshof überlassen. Alternativ könnte natürlich auch der Gesetzgeber für Klarheit sorgen und eine EU-konforme Anpassung im Arzneimittelrecht vornehmen.  

Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 11. Juni 2020, Rs. C-786/18



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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