Covid-19-Hotspot Rheda-Wiedenbrück

„Wir hören viel Unmut über Tönnies in der Offizin“

Düsseldorf - 25.06.2020, 11:15 Uhr

Vor allem der Ärger über den großen Fleischproduzenten Tönnies sei bei den Kunden zu spüren, berichtet Apotheker Friedhelm Linnemann. (s / Foto: Pius-Apotheke/Linnemann)

Vor allem der Ärger über den großen Fleischproduzenten Tönnies sei bei den Kunden zu spüren, berichtet Apotheker Friedhelm Linnemann. (s / Foto: Pius-Apotheke/Linnemann)


Apotheker Friedhelm Linnemann betreibt zwei Apotheken in Rheda-Wiedenbrück im Kreis Gütersloh. Nach dem Corona-Ausbruch im dort ansässigen Tönnies-Fleischwerk ist das mulmige Gefühl aus dem ersten Lockdown wieder da – und auch die Nachfrage nach Masken und Desinfektionsmittel ist wieder gestiegen.

„Muss ich die Masken jetzt selbst bezahlen oder können wir das direkt Tönnies in Rechnung stellen?“ – solche bissigen Kommentare hört Apotheker Friedhelm Linnemann in diesen Tagen öfter. In seiner Pius- und in der Sonnen-Apotheke, die er in der 47.000-Einwohner-Stadt Rheda-Wiedenbrück im Kreis Gütersloh betreibt, sei zu spüren, wie die Menschen über den aktuellen Corona-Hotspot im Fleischwerk der Tönnies Holding denken.

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„Da hört man viel Unmut über die Zustände da“, sagt er. Jeder im Ort kenne jemanden, der in Europas größtem Fleischwerk, dem Hauptsitz von Tönnies in Rheda-Wiedenbrück, arbeite oder der Kontakt zu jemandem dort hat. „Da macht man sich natürlich Gedanken“, sagt der Apotheker. Besondere Angst sich anzustecken aber habe er nicht – jedenfalls nicht mehr als ohnehin seit Beginn der Covid-19-Pandemie.

Dass man nun wieder einen Lockdown im gesamten Kreis Gütersloh und auch im mit der Stadt Oelde direkt an Rheda-Wiedenbrück grenzenden Kreis Warendorf habe, mache die Menschen nicht glücklich. „Da haben viele auch Angst um ihre Urlaubspläne“, sagt Linnemann. Auch bei seinen Mitarbeitern sei das zu spüren. „Das ist jetzt wieder eine ganz andere Stimmung“, sagt er. Nachdem etwa bereits Österreich NRW als Risikogebiet eingestuft hat und auch andere Bundesländer wie Bayern Einwohner der Kreise Gütersloh und Warendorf nur noch mit negativem Corona-Testergebnis einreisen lassen, könnte nun so mancher geplanter Urlaub auch im Inland durch den COVID-19-Ausbruch im Fleischwerk ins Wasser fallen.

Die Sorgen der Menschen sind wieder größer geworden

Bei Tönnies sind besonders Mitarbeiter aus Rumänien und anderen Ländern vom Infektionsgeschehen betroffen, die über sogenannte Werkverträge bei dem Fleischfabrikanten arbeiten.

Ärger bei den Apotheken-Kunden sei aber vor allem über den großen Fleischproduzenten zu spüren, berichtet der Apotheker. „Ich will mir da selbst noch kein Urteil erlauben. Da sind bestimmt Versäumnisse gemacht worden. Aber das müssen die Experten jetzt klären, warum es diesen großen Corona-Ausbruch in dem Werk geben konnte“, sagt er.

Was neben den Sorgen der Menschen ebenfalls größer geworden sei, sei die erneute Nachfrage nach Masken und Desinfektionsmitteln. „Das werden wir ja alles nun noch eine ganze Weile brauchen. Da ist das Bewusstsein bei den Menschen wieder deutlich gestiegen. Zum Glück hatten wir uns damit ganz gut eingedeckt“, sagt Linnemann.

Dass die Zahl der Kunden nun wieder deutlich einbrechen könnte, wie beim ersten Lockdown im März, glaubt Linnemann nicht. Noch sei die Zahl konstant. Die Geschäfte im Kreis Gütersloh sind vom neuerlichen Lockdown nach dem Corona-Ausbruch mit über 1.500 Infizierten auch noch nicht betroffen und dürfen geöffnet bleiben. Allerdings gelten die Abstandsregeln und das Kontaktverbot. Auch öffentliche Einrichtungen, angefangen bei Schulen und Kindergärten bis hin zu Museen und Stadtverwaltung, sind nun wieder geschlossen.

Botendienst ist gut nachgefragt

„Unser Botendienst wird allerdings ebenfalls sehr gut nachgefragt. Das war seit Beginn der Krise so“, sagt Linnemann. Seine Apotheken gehören auch zu denen, die sich auf Anfrage der Apothekerkammer Westfalen-Lippe bereit erklärt haben, die unter Quarantäne stehenden Mitarbeiter der Firma Tönnies mit Medikamenten zu beliefern. Das funktioniert nach einer „eigens entwickelten Versorgungsroutine“, die sicherstellt, „dass auch der Apotheken-Bote sich möglichst nicht infiziert“, wie die Apothekerkammer Westfalen-Lippe erklärt. „Das Rezept wird an die jeweils zur Verfügung stehende Apotheke im Wohnort des Patienten versandt – Handynummer des Patienten inklusive. Der Bote stellt das Arzneimittel in einer Tüte vor die Haustür, entfernt sich von dieser und ruft den Patienten an. Nun hat der Patient oder ein Angehöriger drei Minuten Zeit, um die Arzneimittel in Empfang zu nehmen. Geschieht das nicht, nimmt der Bote die Lieferung wieder mit“, heißt es von der Kammer. Schutzausrüstung und Desinfektionsmittel seien dabei auch für den Boten selbstverständlich. Für einige Tage hatten auch die Kreisvertrauensapothekerinnen der Kammer Claudia Scherrer und Susanne Gehring sowie Apothekerverband Westfalen-Lippe-Vorstandsmitglied Olaf Elsner eine Art mobile Apotheke am Corona-Behandlungszentrum auf dem Tönnies-Gelände betrieben.

Apotheker Linnemann hofft indes, dass das Infektionsgeschehen in den Kreisen Gütersloh und Warendorf bald wieder abebbt. „Man wünscht sich halt, dass das vielleicht nach einer Woche wieder eingedämmt ist, aber wahrscheinlich wird uns das ja leider wieder länger beschäftigen“, sagt er.



Volker Budinger, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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