Milliarden gegen Corona mobilisiert

Corona-Tests für jedermann in Bayern

Stuttgart - 29.06.2020, 11:30 Uhr

Bayern will als erstes Bundesland Corona-Tests für jedermann einführen – unabhängig davon, ob er Symptome hat oder einem besonderen Risiko ausgesetzt ist. Im Bild: Soldaten der Bundeswehr beim Test in einer ehemaligen Lagerhalle von Flugzeugen mit Autos und Gütersloher Kennzeichen. (Foto: imago images / Noah Wedel)

Bayern will als erstes Bundesland Corona-Tests für jedermann einführen – unabhängig davon, ob er Symptome hat oder einem besonderen Risiko ausgesetzt ist. Im Bild: Soldaten der Bundeswehr beim Test in einer ehemaligen Lagerhalle von Flugzeugen mit Autos und Gütersloher Kennzeichen. (Foto: imago images / Noah Wedel)


Im weltweiten Kampf gegen die Corona-Pandemie mobilisiert die Staatengemeinschaft Milliardenbeträge. Beim internationalen Spendenmarathon sind für Impfstoffe und Behandlungen neue Hilfszusagen in Höhe von 6,15 Milliarden Euro zusammengekommen. Allein die EU-Kommission und Deutschland sagten bei einer virtuellen Geberkonferenz am Samstag zusammen knapp 5,3 Milliarden Euro zu. Bayern macht den Bürgern nun ein ungewöhnliches Angebot.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von einem unglaublichen Ergebnis. Der Spendenmarathon sei ein bewegender und zugleich greifbarer Moment der Einigkeit zwischen Bürgern, Regierungen, Philanthropen, Gesundheitsorganisationen und Wirtschaftsführern. Deutschland sagte bei virtuellen Geberkonferenz am Samstag zusätzliche 383 Millionen Euro zu, während von der Leyen weitere 4,9 Milliarden Euro an EU-Mitteln ankündigte. „Ich bin der festen Überzeugung: Impfstoffe, Tests und Medikamente müssen weltweit verfügbar, bezahlbar und zugänglich sein“, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in einer Videobotschaft zum deutschen Beitrag.

Weltweit gibt es rund sechs Monate nach Beginn der Corona-Pandemie US-Wissenschaftlern zufolge bereits mehr als 10 Millionen bestätigte COVID-19-Infektionen –  mehr als eine halbe Million Menschen starben nach einer Infektion. Das ging am Sonntag aus Daten der Universität Johns Hopkins in Baltimore hervor. Am schlimmsten sind die USA betroffen –  mit rund 2,5 Millionen bestätigten Infektionen und mehr als 125.000 Opfern. In Deutschland zählte das Robert Koch-Institut bis Sonntagfrüh 193.499 Infektionen und 8.957 Todesfälle.

„Corona-Testoffensive“: Die Kosten will der Freistaat übernehmen

Trotz der vergleichsweise niedrigen Infektions- und Todeszahlen in Deutschland warnte Merkel die Bürger vor Leichtsinn. „Die von dem Virus ausgehende Gefahr ist weiterhin ernst“, sagte sie am Samstag in ihrer wöchentlichen Videobotschaft. Merkel wiederholte explizit ihren Appell vom Anfang der Krise Mitte März: „Nehmen Sie es ernst, denn es ist ernst.“ Bei der Eindämmung des Virus seien neben der Politik weiterhin alle Bürger gefragt. „Wir alle müssen es weiter als unsere gemeinschaftlich empfundene Verpflichtung verstehen, dass jeder und jede Einzelne unser aller Schicksal in der Hand haben, indem wir uns an die Regeln halten: Mindestabstand, Mund-Nasen-Schutz im öffentlichen Raum und Händewaschen.“

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) warnte vor einer zweiten Corona-Welle. „Wir müssen wirklich aufpassen“, sagte er in einer am Samstag veröffentlichten Videobotschaft. „Wir dürfen nicht riskieren, dass wir sogar noch schneller als befürchtet, vor dem Herbst, eine zweite Welle, eine schleichende Welle, und überall regionale Lockdowns bekommen.“ Bayern will als erstes Bundesland Corona-Tests für jedermann einführen – unabhängig davon, ob man Symptome hat oder einem besonderen Risiko ausgesetzt ist. Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) kündigte am Sonntag eine „Corona-Testoffensive“ an. „Allen Bürgerinnen und Bürgern Bayerns wird deshalb zeitnah angeboten, sich bei einem niedergelassenen Vertragsarzt auch ohne Symptome testen zu lassen.“ Die Kosten will der Freistaat übernehmen, soweit das nicht etwa die Krankenkasse macht.

Falsche Sicherheit: Ein Test ist immer nur eine Momentaufnahme

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) reagierte zunächst zurückhaltend. „Umfangreiches Testen ist sinnvoll, insbesondere um regionale Ausbrüche schnell einzudämmen. Dazu haben wir das Testkonzept des Bundes bereits vor Wochen angepasst“, sagte er am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Zusätzliche Testangebote durch die Länder könnten das ergänzen. „Allerdings ist ein Test immer nur eine Momentaufnahme. Er darf nicht in falscher Sicherheit wiegen.“ 

„Einfach nur viel testen klingt gut, ist aber ohne systematisches Vorgehen nicht zielführend“, schrieb er nun am Montag bei Twitter. „Denn es wiegt in falscher Sicherheit, erhöht das Risiko falsch-positiver Ergebnisse und belastet die vorhandene Testkapazität.“ Spahn betonte: „Testen, testen, testen – aber gezielt.“ Das entspreche der mit dem Robert-Koch-Institut (RKI) entwickelten nationalen Teststrategie. „Dies beinhaltet umfassendes präventives Testen im Gesundheitswesen und bei lokalen Ausbrüchen wie in Gütersloh.“ Auch wie in Nordrhein-Westfalen in Schlachthöfen zweimal die Woche zu testen, habe Sinn.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach fordert eine zielgenaue Strategie. Grundsätzlich sei das Vorgehen Bayerns richtig. „Allerdings müssen wir dafür sorgen, dass die richtigen Leute getestet und die Tests selbst billiger werden“, sagte Lauterbach der Funke Mediengruppe. Im Herbst seien Massentests nötig.

Eine zweite Welle könnte sich – so die Befürchtungen – vor allem bei leichtsinnigem Verhalten in der soeben begonnen Sommerreisezeit aufbauen. Am Freitag starteten gleich sechs Bundesländer in die Ferien. Einen ersten Vorgeschmack auf die mögliche Entwicklung in den kommenden Wochen erhielten Badeorte an Nord- und Ostsee vor allem am Samstag. Bei hochsommerlichen Temperaturen stießen manche durch einen Touristenansturm an ihre Kapazitätsgrenzen, so etwa Scharbeutz und Haffkrug an der Ostsee, wo Parkplätze und Strände zeitweise voll waren. Am Sonntag sorgte ein Wetterumschwung für Entspannung.

Söder verteidigt Bayerns Strategie der Tests für alle

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat die Strategie des Freistaats zur Abwehr des Coronavirus mit Tests für jedermann verteidigt. Es gebe im Kampf gegen das Virus keine Alternative, als zum einen zu testen und zum anderen Abstand zu halten, sagte Söder am Montag im ZDF-„Morgenmagazin“. „Testen ist die Grundvoraussetzung für alles: um zu wissen, wer ist infiziert, um Infektionsketten zu ermitteln, diese dann auch letztlich zu verfolgen und brechen zu können.“

Bayern biete auch eine 24-Stunden-Garantie für alle, die Symptome zeigten, damit diese nicht lange auf ihr Testergebnis warten müssten, sagte der CSU-Chef. Darüber hinaus werde denen ein Angebot gemacht, die für sich einfach Sicherheit haben wollten. „Das wird nicht so sein, dass alle es sofort annehmen. Aber das ist ein Angebot für die Menschen, und ich glaube ein sehr, sehr gutes.“ Sicherheit sei zudem „der wichtigste Konjunkturimpuls“ zur Wiederbelebung der Wirtschaft, fügte Söder mit Blick auf die Abstimmung von Bundestag und Bundesrat über das Konjunkturpaket der Bundesregierung an diesem Montag hinzu.

Die bayerische Strategie steht nach Söders Darstellung auch nicht im Widerspruch zum Anspruch, fokussiert dort zu testen, wo Menschen besonders gefährdet sind. Es gebe Serientests in Alten- und Behindertenheimen, in Krankenhäusern und nach den Ferien auch in Schulen für Lehrer und Erzieher, erklärte er.

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Leicht entspannt hat sich nach dem massiven Corona-Ausbruch in einem Tönnies-Fleischbetrieb die Lage im Kreis Gütersloh. Die Behörden in Nordrhein-Westfalen sehen bisher keine Anzeichen dafür, dass sich das Virus in größerem Umfang unter der übrigen Bevölkerung verbreitet hat. Der Kreis berichtete am Samstag, die Zahl der nachweislich Infizierten, die keinen direkten Bezug zur Tönnies-Belegschaft haben, sei zuletzt zwar „merklich“ gestiegen. Das liege aber vor allem an der starken Ausweitung der Tests. Viele der Infizierten zeigten keine Symptome.

Vom 21. bis 27. Juni sind demnach 107 Fälle in der übrigen Bevölkerung des Kreises Gütersloh bekannt geworden. Das sind 32 mehr als am Vortag berichtet. Im Nachbarkreis Warendorf waren nach Angaben der Behörden nur 2 der 4.491 Corona-Tests positiv, die bis Samstagnachmittag ausgewertet wurden. „Der bisherige Trend zeigt, dass das Virus nicht auf die allgemeine Bevölkerung übergesprungen ist“, so Landrat Olaf Gericke (CDU) am Abend.

In den Kreisen Gütersloh und Warendorf gelten wegen des Corona-Ausbruchs in dem Tönnies-Werk mit mehr als 1.500 infizierten Mitarbeitern wieder verschärfte Einschränkungen des öffentlichen Lebens.



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