- DAZ.online
- News
- Apotheke
- Plattformen: Apotheken ...
Interview mit Dr. Hermann Vogel jun.
Plattformen: Apotheken nur „angeschlossene Abwickler“
Ja zu digitalen Services, Nein zur Plattformökonomie – Apotheker Dr. Hermann Vogel jun. aus München hat eine klare Haltung zu den aktuellen Entwicklungen im Markt. Seit 20 Jahren engagiert er sich als Initiator prominenter Digitalprojekte im Apothekenbereich und hat zugleich Internet-Giganten wie Amazon vor Gericht die Grenzen des Möglichen aufgezeigt. Die Aktivitäten der Plattformprojekte sieht er äußerst kritisch. Die DAZ hat mit Vogel im Rahmen eines größeren Interviews gesprochen, das hier auf DAZ.online vorab und auszugsweise veröffentlicht wird.
Man könnte ihn als ein „Grandseigneur“ der Apothekendigitalisierung betiteln, doch so alt ist Dr. Hermann Vogel jun. noch längst nicht. Vogel ist in siebter Generation Apotheker, betreibt mit seiner Frau mehrere Apotheken in München und engagiert sich seit 20 Jahren als Initiator zahlreicher digitaler Projekten im Apothekenbereich. Im Jahr 2000 gründete er apotheken.de und präsentierte dort den ersten online verfügbaren deutschlandweiten Apothekennotdienstplan. Im Jahr 2011 konzeptionierte er für den inzwischen verstorbenen Wort&Bild-Verleger Rolf Becker die erste Apotheken-App, die drei Jahre später auch als individualisierbare Tablet-Anwendung in den Stores verfügbar war. 2017 initiierte er die Apotheken-App ApoSync, die im April 2020 von der ARZ Haan Gruppe übernommen wurde.
Daneben wurde Vogel jun. auch mit einem Gerichtsverfahren gegen Amazon bekannt. Der Apotheker hatte gegen zwei Kollegen geklagt, die apothekenpflichtige Arzneimittel über die Verkaufsplattform Amazon angeboten und vertreiben hatten. Im vergangenen November fällte das Oberlandesgericht Naumburg in den zwei Verfahren eine für den Apothekenmarkt wichtige Entscheidung: Aus datenschutzrechtlichen Gründen müssen Apotheker, die den Amazon Marketplace zum Arzneimittelvertrieb nutzen, sicherstellen, dass ihre Kunden zuvor in die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung ihrer bei der Bestellung angegebenen Gesundheitsdaten eingewilligt haben.
Von dem noch nicht rechtskräftigen Urteil fühlt sich Hermann Vogel jun. bestätigt, dass Arzneimittel und Patientendaten in die obhut der Vor-Ort-Apotheken gehören. Das bedeutet für ihn, dass man im Hinblick auf Digitalprojekte differenzieren muss. Wie, erläutert er im DAZ-Interview.
DAZ.online: Der Versandhandel mit Arzneimitteln hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Bedeutet dies, dass die Apotheken vor Ort hier nicht mithalten können?
Vogel: Sehen Sie es doch mal so: Nach über 15 Jahren Versandhandel wird der Großteil der Arzneimittel immer noch über die Apotheke vor Ort abgegeben. Natürlich haben wir einen schmerzlichen Umsatzanteil an preissensiblen Kunden und Schnäppchenjägern verloren. Digital zu shoppen mag vielleicht in manchen Situationen auch seine Vorteile haben. Wer aber glaubt, als Apotheker vor Ort durch digitale Plattformen oder Click and Collect den Versendern nachhaltig Kunden wieder abwerben zu können, ignoriert die Fakten.
DAZ.online: Und die wären?
Vogel: Die Arzneimittelversender sind anonym, preislich konkurrenzlos und erfüllen mittlerweile in ihren Shopsystemen digitale Standards, die „normale“ Apotheken nicht leisten können. Die Apotheken vor Ort sind dagegen persönlich, kompetent, übergeben die Arzneimittel sofort, liefern unmittelbar und können gerade hinsichtlich Lieferengpässe und Rabattverträge exklusiv schnelle und akzeptable Lösungen anbieten. Jeder Apotheker sollte hier eine klare Position beziehen. Natürlich ist auch der Datenschutz ein großes Thema: Bei der Apotheke vor Ort sind die Patientendaten sicher, niemand weiß, was bei einer ausländischen Versandapotheke oder einem großen US-Konzern, der mit Apotheken kooperiert, mit den Patientendaten passiert.
Kritik an Plattformen
DAZ.online: Halten Sie Click-and-Collect-Angebote der Apotheken vor Ort für eine sinnvolle Option – gerade auch hinsichtlich E-Rezept?
Vogel: Bezüglich digitaler Konzepte muss man differenzieren: Service-Apps wie apotheken.de, callmyApo oder „Meine Apotheke“ sind eigentlich für jede Apotheke heutzutage ein Muss. Sie geben den Kunden die Option, digital mit ihrer gewünschten Apotheke in Kontakt zu treten. Plattformen sehe ich dagegen kritisch.
DAZ.online: Warum?
Vogel: Weil digitale Plattformen stets den Regeln der Plattformbetreiber unterliegen und den einzelnen Apotheken nur sehr eingeschränkt Einflussmöglichkeiten bieten. Des Weiteren sind auf Apothekenplattformen alle Apotheken „gleich“ und die einzelne Apotheke mit einem Klick „austauschbar“. Individuelle Leistungsfähigkeit ist dort – soweit ich das überblicken kann – kein Kriterium. Außerdem können hier mittelfristig Abhängigkeiten entstehen, die für jede Apotheke das Ende der Unabhängigkeit und Eigenständigkeit bedeuten können.
DAZ.online: Bitte erklären Sie das genauer.
Vogel: Ich möchte an dieser Stelle ein Zitat des Chefs eines großen Softwarehauses erwähnen, das wortwörtlich lautet: „Ich sage jetzt einfach mal 50 Prozent. Außerdem werden die ausländischen Versandapotheken die Verlierer der Digitalisierung sein und die Apotheken, die nicht mitmachen“. Ich verstehe das so, dass die ausländischen Versandapotheken keine Konkurrenz werden und dass ich als deutscher Vor-Ort-Apotheker 50 Prozent meiner Kunden verliere, wenn ich nicht an einer Bestellplattform teilnehme. Dass hier niemand widerspricht, wundert mich sehr! Sicher ist, dass Digitalisierung Veränderungen bringt. Darf dies auch bedeuten, dass die Apotheke vor Ort auf die Zuführung von Patienten über Plattformen abhängig wird?
DAZ.online: Sie halten Apothekenplattformen also für den falschen Weg?
Vogel: Ja, Medikamente sind ganz nachweislich eine ganz besondere Ware und deren Bezug kann meines Erachtens nicht mit der Buchung von Hotelzimmern oder Sitzplätzen in einem Flugzeug gleichgesetzt werden. Und, mit Verlaub, es kann doch nicht ernsthaft der Fall sein, dass unser Berufstand bei der Politik für ein Makelverbot von Rezepten kämpft und gleichzeitig apothekernahe und apothekereigene Unternehmen genau solche „Vermittlungs-Plattformen“ aufbauen. So wird die Plattform zum „Lotsen für die Medikamentenversorgung“ und die Apotheke nur noch als „angeschlossener Abwickler“ wahrgenommen. Eine fatale Entwicklung! Denn der Patient lernt so, „frage als erstes die Plattform, sie zeigt dir den Weg!“ Wenn die Patienten daran gewöhnt werden, vor dem Kontakt mit einer Apotheke ihr Rezept bei Dritten „hochzuladen“, um z.B. Verfügbarkeit zu erfragen, wird die individuelle Leistungsfähigkeit und Service-Kompetenz der jeweiligen Apotheke zweitrangig. Die Plattform „sortiert“ die Apotheken nach ihren „eigenen“ Regeln, ohne dass ich als Teilnehmer Einfluss nehmen kann.
DAZ.online: Sind digitale Plattformen also ihrer Meinung nach für die Apotheke keine Alternative?
Vogel: Nicht die einzelne Apotheke, sondern die Plattformen würden dann primär von den Patienten in der digitalen Welt hinsichtlich Arzneimittelversorgung wahrgenommen werden. Gehen Sie auf Amazon und kaufen dort einmal einen OTC-Artikel. Verfügbarkeit, Preise und Rezensionen sind Grundlage der Kaufentscheidung. Die dort aktiven Apotheken werden kaum wahrgenommen. Jeder Apotheker muss hier aber selber entscheiden, ob man Teil eines solchen Systems werden will. Ich selbst würde aktuell hier sehr vorsichtig sein. Es können hier zu leicht Abhängigkeiten entstehen, die eigentlich nicht im Sinne meiner Apotheken sind.
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.