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Interview mit Dr. Kerstin Kemmritz, AK Berlin
Grippeimpfung: „Eine faire Vergütung ist die Grundvoraussetzung“
„Apotheker, die impfen wollen, wollen das auch wirklich gut und mit Herzblut“
DAZ: Würde sich der Aufwand für Apotheken auch in anderer Hinsicht lohnen?
Kemmritz: Vielleicht ist für manche der Imagegewinn entscheidend und wird für Marketingzwecke genutzt. Andere werden eventuell aus politischen Gründen sagen, der Impfgedanke ist mir so wichtig, dass ich das – auch mit einem möglicherweise betriebswirtschaftlichen Minus – übernehme. Aber die Zeiten, wo wir Apotheken uns so etwas leisten konnten, sind definitiv vorbei. Wenn wir schon bei der ersten neuen Dienstleistung, die vergütet wird, Verluste machen, habe ich wenig Hoffnung für weitere Dienstleistungen.
DAZ: Wie ist die Rückmeldung von Seiten der Berliner Apotheker?
Kemmritz: Verständlicherweise sind die Meinungen gespalten. Jetzt, wo man weiß, welche Anforderungen die Leitlinie der Bundesapothekerkammer stellt, überlegen viele: wie realisiere ich das? Führe ich gesonderte Sprechstunden dafür ein? Bundesweit wird nicht jeder Apotheker impfen können und wollen. Das ist auch in Ordnung, denn die Apotheker, die impfen wollen, wollen das auch wirklich gut und mit „Herzblut“ tun. In Zukunft kommt es auf die Modellprojekte an, die verhandelt werden, und in besonderem Maße auf die Vergütung. Einige Kollegen müssen die Räumlichkeiten organisieren, eine Liege bereitstellen. Außerdem müssen approbierte Mitarbeiter geschult werden. Auch das kostet Zeit und Geld. Da muss man abwägen: Lohnt sich das, hätte ich auch genügend „Impflinge“? Wie viele Impfungen muss ich verabreichen, um damit wenigstens eine Kostendeckung zu erreichen oder positiver formuliert: Wie viele Impfungen muss ich durchführen, damit ich durch diese Leistung einen Gewinn erziele?
Ich würde mir wünschen, dass wir uns in naher Zukunft auf die pharmazeutischen Dienstleistungen konzentrieren würden.
DAZ: Zwischen der Apothekerkammer Brandenburg und der in Berlin besteht ein starker Kontrast. Während die Apothekerkammer Brandenburg Ende 2019 mit der Ärzteschaft einstimmig eine Resolution gegen die Impfung unterschrieb, ist Ihre Apothekerkammer in Berlin sehr aktiv. Woher kommt das? Lohnt sich das Impfen für urbane Gegenden mehr als für den ländlichen Raum?
Kemmritz: Chancen bieten sich für urbane wie auch ländliche Situationen. Jeder muss individuell entscheiden, ob er als Anbieter der Grippeschutzimpfung vielleicht gar nicht gebraucht wird, weil seitens der Hausärzte und Fachärzte in der Umgebung viel geimpft wird. In diesem Fall würde es potenziell zu einer Konkurrenz kommen, was ja nicht Ziel des Modellprojekts ist. Stattdessen wird angestrebt, neue Personengruppen zu erreichen und keine Konkurrenz zu schaffen, die jemandem (also den Ärzten) etwas wegnimmt. Wenn die Kammer Brandenburg das schon so entscheiden konnte, dass sich Grippeschutzimpfungen auf dem Landesgebiet nicht lohnen, dann wäre die Entscheidung verständlich. Letztendlich sollte jeder Apotheker die Möglichkeit haben, am Modellprojekt teilzunehmen, um die Impfquote zu steigern, wenn ein Bedarf gesehen wird. Und der kann in der Stadt tendenziell höher sein, da die Apotheken hier besser zu erreichende Öffnungszeiten haben und damit gerade auch im Vergleich mit vielen Arztpraxen gute Anlaufstellen darstellen. Mit den Modellvorhaben würde man z. B. gut die Zielgruppe der vielarbeitenden Bevölkerung erreichen, die keine Zeit für einen Arzttermin hat. Solche Patienten würden sich eher von einer niederschwelligen Impfsprechstunde in der Apotheke überzeugen lassen. Allerdings sind einige dieser Patienten privat krankenversichert und könnten mit dem Modellprojekt nicht erreicht werden, weil § 132 SGB V diese Patienten leider nicht in die Modellvorhaben mit einschließt. An dieser Stelle sollte der Gesetzgeber noch einmal nachjustieren. Gerade vor dem Hintergrund Corona ist ja das Ziel, so viele Personen wie möglich impfen zu können.
DAZ: Wie sieht für Sie die Zukunft der Impfung als Dienstleistung in der Apotheke aus?
Kemmritz: Ich hoffe, dass sich auf dem Gebiet der pharmazeutischen Dienstleistungen in Zukunft viel entwickeln wird. Nun ist die Impfung eben gerade keine besonders pharmazeutische Dienstleistung, sondern eher eine medizinische. Ich sehe sie also weniger als Start der pharmazeutischen, sondern allgemein als eine weitere Dienstleistung in Apotheken. Ich würde mir wünschen, dass wir uns in naher Zukunft auf die pharmazeutischen Dienstleistungen konzentrieren würden. Grippeimpfen ist ein Start, der gesellschaftlich gewünscht und notwendig ist. Aber für mich steht das im Vordergrund, was wir Apotheker wirklich können: Angewandte Pharmazie für den Patienten und seine Gesundheit. Dafür brauchen wir gesetzliche Grundlagen, wie zum Beispiel durch das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz und gute, wertschätzende Verträge für solche pharmazeutischen Dienstleistungen. Das ist die eigentliche Aufgabe, die vor uns liegt.
1 Kommentar
und?
von Karl Friedrich Müller am 17.07.2020 um 8:50 Uhr
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