Wer zu spät kommt…

Corona-Impfstoff als Spielball der Supermächte

Remagen - 05.08.2020, 17:50 Uhr

Die chinesische Regierung will mit Corona-Impfstoffen offenbar nicht nur die eigene Bevölkerung schützen, sondern betrachtet diese auch als „politische Währung“ für seine wirtschaftlichen Expansionsbestrebungen. (c / Foto: imago images / Fotoarena)

Die chinesische Regierung will mit Corona-Impfstoffen offenbar nicht nur die eigene Bevölkerung schützen, sondern betrachtet diese auch als „politische Währung“ für seine wirtschaftlichen Expansionsbestrebungen. (c / Foto: imago images / Fotoarena)


Das Wettrennen um den ersten Corona-Impfstoff nimmt weiter Fahrt auf. Nach anfänglichen tugendhaften Bekenntnissen zu einem weltweiten Schulterschluss in der Forschung scheinen nun nationale Egoismen die Oberhand zu gewinnen. Ein Übersichtsartikel im Handelsblatt analysiert die Lage und taxiert die Konkurrenten.

Die klinische Entwicklung von Corona-Impfstoffen schreitet unaufhaltsam fort und alle warten gespannt und ungeduldig auf den großen Durchbruch. Nach einem umfangreichen Übersichtsartikel im Handelsblatt scheint sich die Suche nach einem Impfstoff gegen COVID-19 allmählich zu einem geopolitischen Machtkampf auszuwachsen. Als Hauptakteure mischen die Weltmächte USA, China, Indien, Russland und bis dato offenbar noch etwas zögerlich auch Europa mit. Offiziell betonten die meisten Staaten die Bedeutung der internationalen Kooperation und dass ein möglicher Impfstoff natürlich schnellstmöglich allen Menschen zugänglich gemacht werden müsse, schreibt das Handelsblatt. 

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Doch nach den Recherchen der Wirtschaftszeitung wird de facto mit harten Bandagen gekämpft, um Bestände, die noch nicht einmal vorhanden sind, für die eigene Bevölkerung zu sichern und unliebsame Konkurrenten abzuschütteln. Außerdem machen Gerüchte über chinesische und russische Computerspione die Runde, die angeblich versuchen sollen, bei der Konkurrenz an Informationen über den Forschungsstand in Sachen Corona zu gelangen.

Trumps „Operation Warp Speed“

US-Präsident Donald Trump habe den Amerikanern versprochen, einen Impfstoff „in Rekordzeit“ zu entwickeln, rekapituliert das Handelsblatt. Dafür habe die US-Regierung die „Operation Warp Speed“ angeworfen, über die bis Januar kommenden Jahres 300 Millionen Dosen eines COVID-19-Impfstoffs bereitgestellt werden sollen. Ganz im Einklang mit Trumps „America-first“-Doktrin sollen die USA das globale Rennen gewinnen, und natürlich zuerst die eigene Bevölkerung mit Impfstoffen versorgen. So bekomme der US-Pharmakonzern Novavax für die Entwicklung seines Impfstoffkandidaten NVX-CoV2373 von der Regierung 1,6 Milliarden US-Dollar. Der Pharmakonzern Moderna aus dem US-Bundesstaat Massachusetts werde mit einer Milliarde US-Dollar bedacht.

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Parallel flössen Bundesmittel der „Operation Warp Speed“ an sieben weitere Firmen, etwa an den Konzern Johnson & Johnson. Internationale Kooperationen halten sich in Grenzen. Einzig der Pharmakonzern Pfizer, der mit dem deutschen Biotechnologieunternehmen Biontech zusammenarbeitet, werde von der US-Regierung mit 1,95 Milliarden US-Dollar gefördert. Weiterhin verweist das Handelsblatt auf einen Impfstoffvertrag der US-Regierung mit Astra-Zeneca und der britischen Oxford-Universität.

China: Impfstoff als Machtinstrument

In China sind nach Angaben im Handelsblatt mindestens sieben einheimische Firmen an klinischen Tests von COVID-19-Impfstoffen beteiligt, die ihre Produktionskapazitäten in den kommenden Monaten weiter ausbauen wollen. Eine Tochter des Staatskonzerns Sinopharm soll sogar schon eine neue Anlage für Coronavirus-Impfstoffe auf die Beine gestellt haben. Kenner der Impfstoffbranche bezeichneten die chinesischen Labore jedoch als „Blackbox“. 

Die Regierung in Peking wolle mit den Impfstoffen im Übrigen nicht nur die eigene Bevölkerung schützen, sondern betrachte diese auch als „politische Währung“ für ihre wirtschaftlichen Expansionsbestrebungen speziell in jenen südlichen Weltregionen. So sollen die afrikanischen Länder zu den ersten gehören, die von chinesischen Impfstoffentwicklungen profitieren werden, damit die Chinesen dort besser den Fuß in die Tür bekommen.

Russland setzt auf den Sputnik-Moment

Russland setze ebenfalls auf die einheimische Forschung, und zwar konkret auf einen Impfstoff der Firma Gamaleya, der auf einem erfolgreichen Präparat gegen Ebola und MERS basiere. Die Erprobung im großen Maßstab soll allerdings noch ausstehen. Ungeachtet dessen träumt der Chef des Staatsfonds RDIF (Russian Direct Investment Fund) Kirill Dmitriew laut Handelsblatt bereits von einem neuen „Sputnik-Moment“ in der Coronaforschung, ähnlich dem bahnbrechenden Erfolg der Sowjetunion von 1957 in der Weltraumtechnologie.   

Indischer Unternehmer pokert hoch

In Indien setzt nach dem Handelsblatt-Bericht der Unternehmer Adar Poonawalla für die Produktion des ersten Coronaimpfstoffs „alles auf eine Karte“. In seinen Fabrikhallen in der westindischen Industriemetropole Pune wolle er bereits im August mit der Massenproduktion eines der vielversprechendsten Impfstoffkandidaten beginnen. Es geht um den Impfstoffkandidaten von Astra-Zeneca und der Universität Oxford. Poonawalla habe die Lizenz, diesen für Indien und mehr als 60 weitere Schwellen- und Entwicklungsländer herzustellen. Bis zum Ende des Jahres wolle der Chef des Serum Institute of India (SII) 300 bis 400 Millionen Dosen davon auf Lager haben, um sofort mit der Auslieferung zu beginnen, sobald die Zulassung vorliegt. 

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Sollte der Impfstoff nicht funktionieren, könnten nach seinen Berechnungen 200 Millionen Dollar an Vorab-Investitionen durch den Kamin sein. Anfang Juli hatte der medizinische Forschungsrat ICMR angekündigt, einen in Indien entwickelten Impfstoffkandidaten des Herstellers Bharat Biotech spätesten bis zum 15. August zur Verfügung stellen zu können, was in Expertenkreisen heftige Kritik ausgelöst hatte. Die Behörde nahm das Datum daraufhin wieder zurück.

Europa im Hintertreffen?

Im Ergebnis könnten Deutschland und die EU bei dem „Impfstoff-Poker“ auf der Verliererseite stehen, befürchten die Handelsblatt-Autoren, und das obwohl kaum ein anderer Erdteil über so viel Pharma-Know-how verfüge. Die EU und mit ihr die Bundesregierung stünden unter Zugzwang. Anfang Juni schlossen sich Deutschland, Frankreich, Italien und die Niederlande auf Initiative von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zu einer Impfstoff-Allianz zusammen, um im Ringen um Impfstoffe bestehen zu können. Das Viererbündnis sei inzwischen in den Bemühungen der EU-Kommission aufgegangen. Auch diese setze bei ihrer Impfstoffstrategie auf Vorverträge, um Hersteller möglicher Impfstoffe über Abnahmegarantien an sich zu binden, habe allerdings bislang nichts geliefert.

„Der Staat muss steuernd eingreifen“

Der Kölner Verhaltensökonom Axel Ockenfels glaubt nicht, dass die Marktmechanismen es in der Corona-Pandemie schaffen, mögliche Impfstoffe dorthin zu leiten, wo sie am dringendsten gebraucht werden. In einem Interview mit dem Handelsblatt schlägt er vor, diese unter Aufsicht des Staates mithilfe von Algorithmen zu verteilen.

Zugleich wendet sich der Volkswirt gegen den wachsenden Nationalismus in der Coronakrise und befürwortet eine Kooperation über größere Regionen.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Finanzierung des Impfstoffes

von Nachdenker am 06.08.2020 um 7:23 Uhr

Es ist ein Witz, dass Deutschland MIllionen ausgibt, um Pharmariesen zu unterstützen. Das Geschäft werden genau diese Pharmariesen machen. Bitte erinnern wir uns an die Schweinegrippe und Pandemrix. Wo ist der - schnell gestrickte Impfstoff gelandet? In der Müllverbrennung, nachdem der schwere Nebenwirkungen hatte. Wir sollten warten, testen, ein normales Zulassungsverfahren durchlaufen. Vielleicht gibt es einen Impfstoff nie (HIV), selbst die WHO bezweifelt das... Bis dahin: Panik beenden, Händewaschen (nach Semmelweis), Immunsystem stärken, frische Luft... und aufhören mit übertriebener Desinfektion. Sonst haben wir am Ende noch resistente Keime. Man kann auch mit H2O und Seife effizient reinigen.

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