4-Chloranilin in Paracetamol

Verunreinigung: EDQM sieht keinen Handlungsbedarf

Stuttgart - 17.08.2020, 07:00 Uhr

Paracetamol besitzt zwar chemisch eine einfache Struktur, aber keine Synthese verläuft ohne Nebenprodukte. Diese sind bei Paracetamol sehr ähnliche aromatische Verbindungen, die nur mit viel Aufwand vom eigentlichen Wirkstoff abzutrennen sind. (Foto: imago images / PPE)

Paracetamol besitzt zwar chemisch eine einfache Struktur, aber keine Synthese verläuft ohne Nebenprodukte. Diese sind bei Paracetamol sehr ähnliche aromatische Verbindungen, die nur mit viel Aufwand vom eigentlichen Wirkstoff abzutrennen sind. (Foto: imago images / PPE)


Am 10. Juli hatte das EDQM (Europäisches Direktorat für die Qualität von Arzneimitteln) bekannt gegeben, dass es Untersuchungen zu einer Verunreinigung im Wirkstoff Paracetamol eingeleitet hat. Vorausgegangen waren Medienberichte in den Niederlanden. Schon früh schien klar zu sein, dass das gefundene aromatische Amin 4-Chloranilin (PCA) vorgegebene Grenzwerte nicht überschreitet. Nun ist das EDQM zu dem Schluss gekommen, dass es keinen weiteren Handlungsbedarf gibt. Den Zulassungsinhabern stehe aber frei, Wirkstofflieferanten zu wählen, deren Synthese zu keiner PCA-Bildung führt.

Am vergangenen Mittwoch hat das Europäische Direktorat für die Qualität von Arzneimitteln (EDQM) bekannt gegeben, dass es weiterhin keinen Anlass sieht einem bestimmten Wirkstoffhersteller (wahrscheinlich „Anqiu Lu'an Pharmaceutical Co.“) das Paracetamol-CEP zu entziehen – das Zertifkat belegt, dass eine Monographie des Europäischen Arzneibuchs geeignet ist, die Qualität eines Wirkstoffs zu prüfen. Das EDQM hatte am 10. Juli bekannt gegeben, dass es Untersuchungen zur Verunreinigung 4-Chloranilin (PCA) im Wirkstoff Paracetamol eingeleitet hat.

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Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass PCA laut der DAZ 33/2020 in der Arzneibuch-Monographie gar nicht als Verunreinigung aufgeführt ist. Das bedeutet laut den drei Experten Ulrike Holzgrabe, Fritz Sörgel und Helmut Buschmann aber nicht, dass diese Verunreinigung bei den zertifizierten Herstellverfahren nicht auftauchen kann. PCA könne in spezifischen Prozessen durchaus als Nebenprodukt beobachtet werden und werde dann als nicht „monographierte“ Verunreinigung über die M7-Richtlinie der ICH kontrolliert. Ob diese aber – in Abhängigkeit des Herstellprozesses – für die Freigabe-Spezifikation relevant ist, sei im „Restricted Part“ des „Drug Master Files“ aufgeführt. Der ist aber nur dem Paracetamol-Hersteller und der Zulassungsbehörde bekannt, während er dem Hersteller des Fertigarzneimittels in der Regel nicht zugänglich ist.

Auch die Fertigarzneimittelhersteller sind gefragt

DAZ.online hatte bereits berichtet, dass es gesetzliche Grenzwerte für den Gehalt an 4-Chloranilin oder seinem Hydrochloridsalz in Arzneimitteln der M7-Leitlinie zufolge nicht gibt. Als akzeptabler Schätzwert für eine lebenslange Aufnahme wurden aber 34 µg PCA pro Tag berechnet. Die deutsche Arzneimittelbehörde (BfArM) hatte dazu auf Anfrage von DAZ.online erklärt, dass die in Paracetamol gemessenen Werte alle unter den für Chloranilin in der Guideline ICH M7 festgelegten Grenzwerten für Humanarzneimittel lagen. „Chloranilin ist zudem keine neue Verunreinigung, sondern seit längerem bekannt – auch in Paracetamol“, hieß es.

Die Zeit schien also nicht zu drängen. Man konnte sich aber fragen, ob die Paracetamol-Synthesen der jeweiligen Wirkstoffhersteller in Zukunft nicht grundsätzlich hinterfragt werden sollten? Denn offenbar gibt es auch Paracetamol auf dem Weltmarkt, das kein PCA enthält: Am 7. August hat Sanofi DAZ.online mitgeteilt, dass „Thomapyrin Intensiv“ und „Thompyrin Classic“ nicht von der Verunreinigung in Paracetamol betroffen seien.

Verunreinigungen sind bei chemischen Reaktionen die Regel

Da die Sicherheit von Paracetamol nicht beeinträchtigt sei und die berichteten Ergebnisse nicht zeigten, dass 4-Chloranilin über dem international vereinbarten akzeptablen Grenzwert liegt, werden nun keine Maßnahmen bezüglich des betreffenden CEP ergriffen. Das hat das EDQM nun bekannt gegeben. Dabei spricht das EDQM vom CEP eines „spezifischen Herstellers“. Doch was ist mit den CEPs anderer Wirkstoffhersteller? Immerhin schreibt das EDQM selbst zur Erklärung, dass PCA eine bekannte Verunreinigung ist, die unter bestimmten Bedingungen im Herstellungsprozess entstehen kann. Das EDQM schreibt auch, dass PCA durch eine geeignete Kontrollstrategie entfernt oder begrenzt werden sollte. Außerdem heißt es in der DAZ 33/2020, dass PCA auch nachträglich – also nicht nur während der Synthese – gebildet werden kann. Und das nicht notwendigerweise nur im Wirkstoff, sondern auch im Fertigarzneimittel während der Lagerung. „Somit sind Wirkstoffhersteller wie auch Fertigarzneimittelhersteller gleichermaßen gefragt“, folgern die Autoren des DAZ-Artikels.

DAZ.online hat beim EDQM nachgehakt: Werden also – auch auf anderen Ebenen und von anderen Behörden – nun wirklich keine weiteren Untersuchungen oder Maßnahmen mehr ergriffen? Das EDQM antwortete:


Das EDQM überwacht die Situation. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben wir jedoch keine Verstöße gegen international vereinbarte akzeptable Werte für 4-Chloranilin festgestellt (vgl. ICH M7). Daher glauben wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht, dass weitere Maßnahmen notwendig sind.“

EDQM, Council of Europe


Angesprochen darauf, dass es auch Paracetamol frei von PCA geben soll, erklärt das EDQM zunächst allgemein, dass chemische Reaktionen in der Regel zur Bildung von Verunreinigungen führen, fügt aber an: „Dennoch steht es den Herstellern von paracetamolhaltigen Arzneimitteln selbstverständlich frei, einen Wirkstoff zu wählen, der aufgrund der Art seiner Synthese frei von PCA ist.“

Was sagen die Hersteller zu PCA in Paracetamol? DAZ.online fragte bei Sanofi nach, schließlich scheint dort der Paracetamol-Wirkstofflieferant von PCA-Verunreinigungen nicht betroffen zu sein. Wie lässt sich erklären, dass manche Wirkstoffhersteller die Verunreinigung in Kauf nehmen, obwohl sie vermeidbar ist – auch wenn Grenzwerte nicht überschritten werden? Vielleicht gibt es ja vernünftige Gründe? Andere Synthesewege, könnten etwa andere Verunreinigungen mit sich bringen? Immerhin gibt es eine Fülle von verfahrenstechnischen Patenten, die sich mit aufwendigen Reinigungsmethoden des Paracetamols beschäftigen.

Sanofi konnte oder wollte sich zu Fragen wie diesen nicht äußern. Das BfArM teilte DAZ.online am Freitag schließlich noch mit, dass die Hinweise der niederländischen Zulassungsbehörde vom 09.07.2020 auf europäischer Ebene zum Anlass genommen wurden, eine weitere Abstimmung und Überprüfung umgehend zu initiieren, die noch nicht abgeschlossen sei. Allerdings sollen sich auch keine Hinweise auf ein kritisches Potential ergeben haben.
In diesen Prozess sei das BfArM aktiv eingebunden, sowohl im CMDh als auch auf Ebene der EMA.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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