Impfungen

Impfen – Ein historischer Überblick

Münster - 08.09.2020, 17:57 Uhr

Die ersten wirksamen Passivimpfstoffe wurden1890 eingeführt: gegen Diphtherie und Tetanus. (c / Foto: phichak / stock.adobe.com)

Die ersten wirksamen Passivimpfstoffe wurden1890 eingeführt: gegen Diphtherie und Tetanus. (c / Foto: phichak / stock.adobe.com)


Die Welt sucht verzweifelt nach einem Impfstoff gegen SARS-CoV-2. Was für uns heute selbstverständlich ist – das Prinzip des Impfens – nahm seine ersten Anläufe jedoch ganz zaghaft. Es war ein langer und erfolgreicher Weg, den Vakzinen bislang beschritten – doch wie fing eigentlich alles an?

Wie die „Corona-Pandemie“ anschaulich zeigt, gilt die Entwicklung eines Impfstoffes als eine Art Königsweg zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten. Wenig verwunderlich sind daher die entsprechenden Anstrengungen, die derzeit auf der ganzen Welt und mit großem Nachdruck unternommen werden. Die forcierte Impfstoffsuche zeigt aber auch: Wir leben in einem weitgehend immunisierten Zeitalter – ein Zeitalter, in dem die Möglichkeit einer Schutzimpfung den meisten Seuchen ihren Schrecken genommen hat – mit einigen Ausnahmen wie AIDS.

Von Mensch zu Mensch übertragen und (bleibende) Immunität

Dies unterscheidet unsere Gegenwart grundlegend von früheren Epochen. Seuchen wie die Pest, die Pocken oder die Cholera galten lange Zeit als unheilvolle Geißeln, die die scheinbar schutzlos ausgelieferte Menschheit in wiederkehrenden Epidemien heimsuchten und nicht selten zu unzähligen Toten und Entstellten führten.

Obschon über die Ursache der Infektionskrankheiten bis weit ins 19. Jahrhundert gerätselt und gestritten wurde, wusste man doch seit langer Zeit um zwei wichtige Aspekte: Zum einen wurden Seuchen von Mensch zu Mensch übertragen. Dies machte sie zu politisch wie sozialmoralisch höchst aufgeladenen Krankheiten, war ihre Verbreitung doch mit den Formen menschlichen Zusammenlebens untrennbar verwoben. Zum anderen war auch bekannt, dass das Überstehen einer Seuche, etwa der Pocken, gegen eine erneute Ansteckung (weitgehend) immun machte.

Isolation und absichtliche Infizierung mit Pockenschorf

Aus diesen basalen Kenntnissen entwickelten sich zwei wesentliche Strategien der Seuchenbekämpfung: Einerseits wurden Erkrankte isoliert (etwa in Leprahäusern), um sie als Infektionsquelle auszuschalten. Andererseits wurde bereits vor unserer Zeitrechnung versucht, Personen durch absichtliche Infektionen zu immunisieren. Wirksame Impfungen auf diesem Wege erfolgten nachweislich gegen 200 v. Chr. in China und Indien, wo man infektiösen Pocken-Schorf schnupfte oder in die Haut ritzte. Diese auch als „Variolation“ bezeichnete Technik gelangte spätestens zu Beginn des 18. Jahrhunderts nach Europa und Nordamerika, wohl über Kulturkontakte zu den Türken, die Körperflüssigkeiten leicht Infizierter nutzten, um sich auf ähnlichem Wege zu immunisieren. In der Folge wurden solche Immunisierungsstrategien wiederholt eingesetzt, zum Beispiel während der Pockenepidemie 1721 in Boston.

Infektion mit Kuhpocken schützt vor „echten“ Pocken

Nachdem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bekannt geworden war, dass auch eine überstandene Infektion mit Kuhpocken (eine milde pockenartige Erkrankung, die vor allem Rinder befällt) gegen die echten Pocken immunisiert, führte der britische Mediziner Edward Jenner ab 1796 die Impfung mittels Kuhpockenlymphe zwar nicht als erster, dafür aber mit einer gewissen Breitenwirkung ein. Von seinem tierischen Ursprung, der Kuh (lat. vacca) abgeleitet, nannte Jenner seinen Impfstoff vaccine und die Impftechnik vaccination. Noch heute wird die Impfung im Englischen allgemein als vaccination genannt, während Vakzine im Deutschen heute einen Impfstoff bezeichnet. Dies verwundert nicht weiter, wenn man sich vor Augen führt, mit welchem medizinischen Forschungseifer Jenners Beobachtungen an der Wende zum 19. Jahrhundert in Kontinentaleuropa geradezu aufgesogen und bald auch nachgeahmt wurden.

Infektionsursachen lange unklar

Trotz der weitverbreiteten Begeisterung für die wirksame Methode blieb die Ursache der Infektionskrankheiten vorerst im Unklaren. Dass die Seuchen durch bakterielle oder virale Erreger ausgelöst werden, war den Zeitgenossen ebenso unbekannt wie der Umstand, dass eine Impfung zur Ausbildung einer Immunkompetenz gegen den jeweiligen Erreger führt, ohne die Infektionskrankheit durchgemacht zu haben. Dies begann sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zu ändern. Die bahnbrechenden Forschungen von Louis Pasteur und Robert Koch brachten den endgültigen Beweis für die Existenz mikrobiologischer Krankheitserreger, etwa des Milzbrandes (1876) oder der Tuberkulose (1882). Damit war ein Ansatz gegeben, die Impfstoffentwicklung weiterzutreiben. Pasteur gelang 1881 die Entwicklung eines Impfstoffes gegen Milzbrand, 1885 folgte einer gegen die Tollwut. Kurze Zeit später wurde mit der passiven Impfung unter Leitung von Emil von Behring eine weitere Immunisierungsstrategie entwickelt, bei den die Antikörper nicht im Körper selbst hergestellt, sondern von außen zugeführt werden. Die ersten wirksamen Passivimpfstoffe wurden 1890 eingeführt: gegen Diphtherie und Tetanus.

Pocken-Impfzwang schon im 19. Jahrhundert

Die Standardisierung des Impfwesens begünstigte wie kaum ein anderer medizinischer Bereich die Herausbildung einer systematischen staatlichen Gesundheitspolitik. Im Fokus standen dabei zunächst die Pocken. Als erster deutscher Staat führte das Großherzogtum Hessen 1807 einen entsprechenden Impfzwang ein, der bald auch von anderen Staaten übernommen wurde. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurden Impfprogramme dann auch auf nationaler Ebene eingeführt: im Deutschen Reich 1874 mit der allgemeinen gesetzlichen Pflicht zur Pockenschutzimpfung. Dieser Schritt bedeutete zugleich den Beginn der Impfgegnerschaft, die in der Pflichtimpfung einen unzulässigen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Einzelnen erkannte. 


Als erster deutscher Staat führte das Großherzogtum Hessen 1807 einen Impfzwang ein."

Dr. Niklas Lenhard-Schramm


Da das Impfen grundsätzlich auf eine Immunisierung nicht nur des Individuums, sondern auch der Gemeinschaft zielt, war es stets mit hochumstrittenen sozialmoralischen und -medizinischen Ordnungsvorstellungen verbunden: Verhandelt wurde hier etwa das prinzipielle Verhältnis zwischen individuellen Grund- und staatlichen Eingriffsrechten. Besonders brisant war diese Problematik wegen der gravierenden, teils tödlichen Komplikationen, die mit der Pockenschutzimpfung in Einzelfällen einhergingen. Aber auch andere Vorfälle – etwa das Lübecker Impfunglück von 1931, bei dem 77 Säuglinge durch einen verunreinigten Tuberkulose-Impfstoff zu Tode kamen – machten das Impfen zu einer durchaus umstrittenen Sache.

DDR: Pflichtimpfungen gegen Tuberkulose, Kinderlähmung, Diphtherie und Masern

Während im Deutschen Reich und in der Bundesrepublik keine weitere Pflichtimpfungen eingeführt wurden, beschritt die DDR einen anderen Weg. Um vor dem Hintergrund des Kalten Krieges eine Überlegenheit des sozialistischen Gesundheitswesens propagieren zu können, wurden in Ostdeutschland diverse weitere Pflichtimpfungen vorgeschrieben, etwa gegen Tuberkulose, Kinderlähmung, Diphtherie und Masern. In der Bundesrepublik dagegen versuchte man angesichts des gesellschaftlichen Liberalisierungsprozesses, die Bevölkerung durch Aufklärungskampagnen zur Teilnahme an Impfprogrammen zu bewegen – mit einigem Erfolg. Nachdem die Impfpflicht 1976 bereits gelockert worden war, wurde sie 1982 schließlich ganz abgeschafft. Die Frage einer Impfpflicht ist aber nach wie vor präsent, wurde eine solche vor kurzem gegen die Masern eingeführt. Auch im europäischen Ausland bestehen nach wie vor diverse Pflichtimpfungen, etwa gegen Diphtherie und Poliomyelitis (so in Frankreich und Italien).

Pockenfreie Welt

Unterdessen wurden seit der Mitte des 20. Jahrhunderts zahlreiche weitere Impfstoffe entwickelt, von denen derjenige gegen die spinale Kinderlähmung aufgrund einer umfassenden Werbekampagne („Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist grausam“) wohl der bekannteste sein dürfte. Aber auch gegen andere verbreitete Krankheiten konnten in den letzten Jahrzehnten erfolgreich Impfstoffe entwickelt werden, darunter gegen Mumps, Masern und Hepatitis-Erreger. Von wesentlicher Bedeutung war dabei die Internationalisierung des Impfwesens, bei der nichtstaatliche Organisationen an Einfluss gewonnen haben. Seit 1967 legt etwa die WHO weltweite Impfprogramme auf, die in vielen Fällen erfolgreich gewesen sind: 1980 konnte die Welt zum Beispiel offiziell für pockenfrei erklärt werden.

Die außerordentliche medizinische Relevanz, die Impfungen bis heute besitzen, wird aber nicht nur durch solche Erfolge unterstrichen. Vielmehr existiert bis heute eine Reihe an Krankheiten, die mittels präventiver Immunisierung deutlich besser bekämpft werden können, als durch eine kurative Therapie, etwa die Influenza. Vor diesem Hintergrund wird auch die Impfstoffsuche gegen den Erreger SARS-CoV-2 noch besser verständlich.



Dr. Niklas Lenhard-Schramm, Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Münster
redaktion@daz.online


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