Grippeschutzimpfung in Apotheken

Auch Apotheker in Niedersachsen dürfen impfen

Berlin - 23.10.2020, 07:00 Uhr

Das möglicherweise größte der aktuell im Raum stehenden Modellprojekte zur Grippeschutzimpfung in Apotheken wird schon bald in Niedersachsen beginnen. (x / Foto: Kunatorn / stock.adobe.com)

Das möglicherweise größte der aktuell im Raum stehenden Modellprojekte zur Grippeschutzimpfung in Apotheken wird schon bald in Niedersachsen beginnen. (x / Foto: Kunatorn / stock.adobe.com)


Der Landesapothekerverband Niedersachsen hat die Vertragsverhandlungen zu einem Modellprojekt zur Grippeschutzimpfung in den Apotheken mit einer Krankenkasse abgeschlossen und erste Schulungen organisiert. Während das niederschwellige Angebot im Flächenland vielversprechend anmutet, kritisiert die regionale Ärztekammer das Vorhaben.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ist sich sicher: Die Grippeschutzimpfung könnte in diesem Jahr zum Game-Changer werden, wenn mehr und mehr COVID-19-Erkrankte stationär behandelt werden müssen. „Dieser kleine 'Pieks' bedeutet dreifachen Schutz: Er schützt mich gegen Grippe, er schützt andere in meinem Umfeld, sich anzustecken, und er schützt das Gesundheitssystem vor Überlastung“, erklärte der Minister vergangene Woche in einer Bundespressekonferenz – direkt nach seiner eigenen Influenza-Impfung.

Mehr zum Thema

Schulungsleitfaden der BAK zu Modellprojekten

Was Apotheker zum Grippeimpfen „können“ müssen

Laut Robert Koch-Institut lag die Influenza-Impfquote in den vergangenen Jahren bei Patienten über 65 Jahren in den westlichen Bundesländern bei rund 30 Prozent – mit sinkender Tendenz. Als Antwort auf diese geringe Impfquote schmiedete das Bundesgesundheitsministerium eine Neuregelung: So soll das niederschwellige Angebot der Vor-Ort-Apotheke genutzt werden, um die Impfbereitschaft zu erhöhen. Jetzt nimmt Spahns Idee langsam Form an. Seit Anfang Oktober impfen die ersten Apothekerinnen und Apotheker nach § 132j SGB V im Saarland und in Nordrhein. Nun stehen die nächsten Modellvorhaben vor dem Startschuss. Das möglicherweise größte der aktuell im Raum stehenden Modellprojekte wird schon bald in Niedersachsen beginnen.

Verhandlungen mit Krankenkasse abgeschlossen

Bereits im September gaben der Landesapothekerverband und die Apothekerkammer Niedersachsen in einem gemeinsamen Pressestatement bekannt, dass die Vertragsgespräche mit der verhandelnden Krankenkasse abgeschlossen seien. Das Modellvorhaben soll Apothekerinnen und Apothekern in Niedersachsen ermöglichen, sich freiwillig am Modellvorhaben zu beteiligen. Weitere Details zum Vertrag, zum Beispiel mit welcher Krankenkasse verhandelt wurde, würden folgen, wenn die nötigen Vorbereitungen getroffen seien. 

Gerade in einem Flächenland wie Niedersachsen sei die Apotheke vor Ort eine wichtige Anlaufstelle, mit der sich die Bevölkerung Rat zu gesundheitlichen Themen verschafft. Apothekerkammer und -verband ergriffen die Chance nach § 132j SGB V und arbeiteten eng zusammen, um ein Modellvorhaben zur Grippeschutzimpfung zu etablieren.

Schulungen in vollem Gang

Die Apothekerkammer Niedersachsen organisierte daraufhin die für die Zusatzqualifikation benötigten Schulungen. Bereits Ende September liefen die ersten Web-Seminare des theoretischen Teils der Zusatzqualifikation. Die Teilnahmegebühr der in zwei Blöcke aufgeteilten Web-Seminare beträgt jeweils 
10 Euro, das darauffolgende Praxisseminar kostet weitere 125 Euro.

Das erste Praxisseminar startet am 29. Oktober. In dem ganztägigen Kurs vermittelt Dr. Thomas Menn, Facharzt für öffentliches Gesundheitswesen, Umwelt- und Sozialmedizin, die praktischen Fähigkeiten zur Vakzination. Die ersten drei Präsenztermine Ende Oktober und Anfang November in Oldenburg, Osnabrück und Hannover sind bereits ausgebucht. Die Apothekerkammer bietet ab dem 
25. November weitere Praxisseminare in Hannover an. Die Inhalte der Schulung entsprechen denen des Curriculums zur Grippeschutzimpfung der Bundesapothekerkammer.

Ärztekammer Niedersachsen gegen Modellprojekte

Doch noch vor der ersten Impfung in der Apotheke weht Gegenwind durch Niedersachsen. In einer gestern veröffentlichten Pressemitteilung positioniert sich die Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen (ÄKN), Dr. Martina Wenker, gegen die Modellvorhaben: „Ärztinnen und Ärzte haben Impfen gelernt, deshalb können nur Ärztinnen und Ärzte das Impfen adäquat begleiten.“ Die ÄKN startete dazu die Kampagne „Grippeimpfung? Aber sicher! In Ihrer Arztpraxis!“ und unterstützt die Kammermitglieder mit Aufklebern und Postern. Die Kampagne führt Patienten die Risiken der Vakzination vor Augen und betont die Wichtigkeit ärztlicher Expertise bei Überempfindlichkeitsreaktionen.

In einer 2019 im „Journal of Allergy and Clinical Immunology“ veröffentlichten Studie errechneten die Autoren anhand von Daten aus den Jahren 1990 bis 2016 eine Häufigkeit von 0,2 anaphylaktischen Reaktionen pro einer Million applizierter Grippeschutzimpfungen. Um auch auf diese Fälle vorbereitet zu sein, lernen die Apotheker im letzten Teil der praktischen Schulung von einem Arzt, welche Notfallmaßnahmen bei schweren allergischen Reaktionen zu ergreifen sind.

Zudem befürchtet Wenker, dass durch die Modellvorhaben vermehrt Lieferengpässe bei Grippeimpfstoffen auftreten würden. Tatsächlich treten aktuell lokal Lieferengpässe auf. Gesundheitsminister Spahn betont, dass das Paul-Ehrlich-Institut neue Impfstoff-Chargen erst nach und nach freigeben kann. Damit seien zeitlich begrenzte Engpässe regional möglich. Spahn merkte an, dass in den vergangenen Jahren jeweils vier bis sechs Millionen Impfdosen vernichtet wurden, da sich nicht genügend Menschen impfen ließen.

Verhärtete Fronten

Den altbekannten Streit zwischen Ärzten und Apothekern trugen am Mittwoch auch Apothekerin Cynthia Milz und der Arzt Dr. Johannes Gehle in einem DocCheck TV-Streitgespräch aus. „Die Politik hat gesagt, sie will Modellprojekte. Die müssen jetzt durchgezogen und ausgewertet werden“, erklärte Milz. Am Ende entscheide der Patient. Der Vertreter der Ärzteschaft bezog dagegen klar gegen die Impfung in Apotheken Stellung. 

Doch nicht alle Ärztinnen und Ärzte zeigen sich skeptisch gegenüber den neuen Modellvorhaben. Am 7. Oktober äußerte sich auch Sabine Dittmar, Ärztin und gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, in einem Interview zur Kritik der Ärzteschaft: „Ich kann meine Kollegen nicht verstehen. Apotheker impfen bereits im europäischen Ausland, wobei wir beobachten, dass sich die Impfquoten erhöhen, ohne dass den Ärzten irgendetwas dabei weggenommen wird.“



Marius Penzel, Apotheker
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.