Rote-Hand-Brief

Risiko der Herzklappeninsuffizienz unter Fluorchinolonen

Stuttgart - 29.10.2020, 10:30 Uhr

In einem Rote-Hand-Brief informieren BfArM, EMA und Zulassungsinhaber über das Risiko einer Herzklappeninsuffizienz unter Fluorchinolonen. (s / Foto: Schwanen Apotheke, Stuttgart)

In einem Rote-Hand-Brief informieren BfArM, EMA und Zulassungsinhaber über das Risiko einer Herzklappeninsuffizienz unter Fluorchinolonen. (s / Foto: Schwanen Apotheke, Stuttgart)


Fluorchinolone können das Risiko für eine Herzklappeninsuffizienz und das dadurch bedingte Zurückfließen des Blutes (Regurgitation) erhöhen. Über diese schwere Nebenwirkung bei systemischen und inhalativen Fluorchinolonen informieren BfArM, EMA und die Zulassungsinhaber der betroffenen Antibiotika in einem Rote-Hand-Brief. In Deutschland betrifft dies die Wirkstoffe Ciprofloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin, Norfloxacin und Ofloxacin. 

Fluorchinolone kommen bei den unterschiedlichsten Infektionen zum Einsatz, unter anderem sind sie zugelassen bei komplizierten Harnwegsinfektionen und Pyelonephritis, verschiedenen Infektionen des Gastrointestinaltrakts, des Genitaltrakts, Infektionen der Knochen und Gelenke und bei Infektionen der unteren Atemwege. 2019 wurde die Zulassung zur Behandlung zahlreicher, eher banaler Infektionen widerrufen. Dem vorausgegangen war ein Risikobewertungsverfahren.

Aktuell sehen sich das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) wieder zum Handeln genötigt: Sie informieren gemeinsam mit den Zulassungsinhabern fluorchinolonhaltiger Arzneimittel in einem Rote-Hand-Brief über eine schwere Nebenwirkung bei den Antibiotika: Herzklappenregurgitation/-insuffizienz.

Zweifach erhöhtes Risiko für Mitral- und Aortenklappeninsuffizienz

Laut der Roten Hand zeigte eine epidemiologische Studie bei Patienten mit systemischer Fluorchinolon-Therapie ein etwa zweifach erhöhtes Risiko für eine Mitral- und Aortenklappenregurgitation/-insuffizienz im Vergleich zu Patienten, die andere Antibiotika (Amoxicillin oder Azithromycin) einnahmen. Auch gebe es Hinweise, dass die Entstehung einer Herzklappenregurgitation/-insuffizienz im Zusammenhang mit einem Fluorchinolon-assoziierten Abbau des Bindegewebes stehen könnte.

Unter Regurgitation versteht man in der Kardiologie das Zurückfließen des Blutes bei Klappeninsuffizienz des Herzens. Die Mitralklappe (Bikuspidalklappe) trennt den linken Vorhof von der linken Kammer, die Aortenklappe verhindert den Rückfluss des Blutes aus der Aorta zurück in den linken Ventrikel.

Was sind Risikofaktoren für eine Herzklappeninsuffizienz?

Bei Patienten mit einem Risiko für eine Herzklappenregurgitation/-insuffizienz sollten systemisch und inhalativ angewendete Fluorchinolone daher nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung unter Berücksichtigung anderer Therapieoptionen erfolgen, lautet die Empfehlung.

Als prädisponierende Faktoren für eine Herzklappenregurgitation/-insuffizienz nennen die Autoren unter anderem angeborene oder vorbestehende Herzklappenfehler, Bindegewebserkrankungen, z. B. Marfan-Syndrom oder Ehlers-Danlos-Syndrom, Turner-Syndrom, Morbus Behçet, Hypertonie, rheumatoide Arthritis und infektiöse Endokarditis.

Bei ersten Anzeichen von akuter Atemnot, neu auftretendem Herzklopfen oder der Entwicklung von Ödemen am Bauchraum oder in den unteren Extremitäten sollten sich Patienten unverzüglich an ihren Arzt wenden.

2018: Rote-Hand-Brief zu Aortenaneurysmen

Erst im April 2019 informierte ein Rote-Hand-Brief über neue Zulassungsbeschränkungen systemischer fluorchinolonhaltiger Antibiotika. Unter anderem dürfen die Wirkstoffe Ciprofloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin, Norfloxacin und Ofloxaxin seither nicht mehr bei selbstlimitierenden Infektionen, wie Bronchitis, Pharyngitis und Tonsillitis, eingesetzt werden. Nicht mehr indiziert sind sie außerdem bei leichten oder mittelschweren Infektionen – unkomplizierten Harnwegsinfekten, Otitis media, Sinusitis oder Exazerbationen einer COPD – außer andere Antibiotika wirken nicht. Auch zur Prävention von Reisedurchfällen und rezidivierenden Harnwegsinfekten stehen Fluorchinolone seither nicht mehr zur Verfügung. Die Maßnahmen waren damals Ergebnis eines 2017 vom BfArM angestoßenen Risikobewertungsverfahrens zu der antibiotischen Wirkstoffklasse. Unter Chinolonen und Flurochinolonen war es zu schwerwiegenden und anhaltenden Nebenwirkungen gekommen, die Sehnen, Muskeln, Gelenke und das Nervensystem betreffen. Außerdem kam es auch zu zentralnervösen Störungen wie etwa Müdigkeit, Depressionen, Gedächtnisstörungen, Schlafstörungen, Probleme beim Sehen oder Hören sowie veränderter Geschmacks- oder Geruchssinn.

Seit 2019 ist mit Delafloxacin (Quofenix®) ein weiteres Fluorchinolon in der EU zugelassen, in Deutschland ist es laut der Gelben Liste nicht in Verkehr.

Im Oktober 2018 hatte eine Rote Hand davor gewarnt, dass inhalative und systemische Fluorchinolone das Risiko für Aortenaneurysmen und -dissektionen erhöhen können. Die Gefahr besteht vor allem bei älteren Personen.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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