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Wie SARS-CoV-2 in die Wirtszelle kommt
Neuropilin-1 als wichtiger Co-Faktor identifiziert
Neben dem ACE-2-Rezeptor gibt es in den Wirtszellen offenbar noch ein zweites „Empfangskomitee“ für das neuartige Coronavirus, und zwar das Protein Neuropilin-1. Dieses ist in den Schleimhäuten der Atemwege und der Nase in Mengen vorhanden. Zwei Wissenschaftlerteams haben übereinstimmende Ergebnisse zum Zusammenwirken von ACE-2 und Neuropilin-1 als Türöffner für das neuartige Coronavirus publiziert.
Die Kenntnis, wie das neuartige Coronavirus in Zellen eindringt, gehört zu den Schlüsselelementen für die Bekämpfung seiner Ausbreitung. Neue Forschungsergebnisse aus zwei getrennten Manuskripten zeigen, dass SARS-CoV-2 zur effizienten Infektion menschlicher Zellen neben dem ACE-2-Rezeptor auch einen zweiten „Rezeptor“ namens Neuropilin-1 verwenden kann. Dieser kommt in vielen menschlichen Geweben, einschließlich der Atemwege, Blutgefäße und Neuronen, sehr häufig vor. Die zwei Artikel zu den Forschungsarbeiten sind am selben Tag im Fachjournal „Science“ veröffentlicht worden, nachdem sie im Juni bereits auf dem Preprint-Server BioRxiv erschienen waren.
Warum war SARS-CoV nicht so infektös?
Eine Publikation mit dem Titel „Neuropilin-1 facilitates SARS-CoV-2 cell entry and infectivity“ stammt von einem deutsch-finnischen Forscherteam unter der Leitung des Neurowissenschaftlers Mikael Simons von der Technischen Universität München und des Virologen Giuseppe Balistreri von der Universität Helsinki. Ausgangspunkt der Studie war die Frage, warum sich SARS-CoV, das Coronavirus, das 2003 zu einem vergleichsweise geringen Ausbruchsgeschehen führte, und SARS-CoV-2 auf so unterschiedliche Weise ausbreiten, obwohl sie für den Zelleintritt denselben Hauptrezeptor ACE-2 verwenden.
Unbestätigte Hypothese
SARS-CoV-2: Begünstigen ACE-Hemmer schwere Verläufe?
Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, konzentrierten sich die Forscher auf die Charakteristika der sogenannten Spike-Proteine, mit denen die Viren an die ACE-2-Rezeptoren der Zellen binden. Hier wurden sie tatsächlich fündig. „Als die Sequenz des SARS-CoV-2-Genoms Ende Januar verfügbar wurde, hat uns etwas überrascht“, berichtet Balistreri. „Im Vergleich zu seinem älteren Verwandten hatte das neue Coronavirus ein zusätzliches Stück auf seinen Oberflächenproteinen, das auch in den Spikes vieler verheerender menschlicher Viren zu finden ist, wie etwa Ebola, HIV und bei hoch pathogenen Stämmen der Vogelgrippe. Wir dachten, das könnte uns zur Antwort führen.“
Furin-Spaltstelle macht den Unterschied
„Das SARS-CoV-2-Spike-Protein unterscheidet sich von seinem älteren Verwandten durch die Einfügung einer Furin-Spaltstelle“, konkretisiert Mikael Simons, Professor für molekulare Neurobiologie am Klinikum rechts der Isar und Forschungsgruppenleiter am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). Wenn Proteine durch die Endoprotease Furin gespalten werden, wird am gespaltenen Ende eine spezifische Aminosäuresequenz freigelegt. Solche furingespaltenen Substrate besitzen ein charakteristisches Muster, das an bestimmte Rezeptoren an der Zelloberfläche bindet, die sogenannten Neuropiline.“
Neuroplin bringt SARS-CoV-2 zur Tür
„Es ist bekannt, dass SARS-CoV-2 den Rezeptor ACE-2 zur Infektion unserer Zellen verwendet, aber Viren nutzen häufig mehrere Faktoren, um ihr Infektionspotential zu maximieren“, fügt Balistreri an. ACE-2 werde in den meisten Zellen in sehr geringen Mengen exprimiert. Daher sei es für das Virus nicht einfach, Türen zu finden, durch die es eintreten könne. Andere Faktoren wie Neuropilin-1 könnten ihm dabei helfen. „Wenn Sie sich ACE-2 als Türschloss für den Eintritt in die Zelle vorstellen, könnte Neuropilin-1 ein Faktor sein, der das Virus zur Tür geleitet“, beschreibt er das mögliche Zusammenwirken. Über die molekularen Prozesse, die dabei eine Rolle spielen, können die Wissenschaftler laut eigenem Bekunden derzeit nur spekulieren. Neuropilin-1 sei in den Zellen der Nasenhöhle jedenfalls sehr reichlich vorhanden, eine strategisch wichtige Lokalisierung, die möglicherweise zur effizienten Infektiosität dieses neuen Coronavirus beiträgt, vermuten die Wissenschaftler. Sie fanden noch einen weiteren Hinweis darauf, dass ihre Theorie zutreffen könnte. In Laborexperimenten konnte die Infektion von Zellen mit SARS-CoV-2 durch die spezifische Blockierung von Neuropilin-1 mit Antikörpern unterdrückt werden.
Bestätigung durch zweite Studie
Die zweite parallele Studie mit dem Titel „Neuropilin-1 is a host factor for SARS-
CoV-2 infection“ von einem Wissenschaftlerteam um James L. Daly von der Universität Bristol kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Auch in ihren Experimenten verhinderte die Blockade dieser Wechselwirkung den Eintritt von SARS-CoV-2 und verminderte die Infektiosität in der Zellkultur. „Unsere Entdeckung der Bindung des SARS-CoV-2-Spikes an Neuropilin-1 und seiner Bedeutung für die Virusinfektiosität bietet einen bisher nicht erkannten Weg für antivirale Therapien zur Eindämmung der aktuellen COVID-19-Pandemie“, hoffen die Forscher aus Bristol.
Potenzielle Blocker bereits im Test
Für Balistreri ist es derzeit noch zu früh, darüber zu spekulieren, ob die direkte Blockierung von Neuropilin ein praktikabler therapeutischer Ansatz gegen SARS-CoV-2 sein könnte. In zukünftigen Studien müsse berücksichtigt werden, dass dies zu Nebenwirkungen führen könnte. Sein Labor teste aber bereits die Wirkung neuer Moleküle, die sein Team speziell entwickelt habe, um die Verbindung zwischen dem Virus und Neuropilin zu unterbrechen. „Die vorläufigen Ergebnisse sind sehr vielversprechend und wir hoffen, in naher Zukunft Validierungen in vivo zu erhalten“, resümiert der Virologe.
Drosten: Vielleicht der entscheidende Änderungspunkt
Der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité hatte sich anlässlich der beiden Veröffentlichungen im Preprint-Bereich in seinem COVID-19-Podcast vom 16. Juni 2020 ebenfalls schon zu Neuropilin geäußert und von einem „wichtigen zusätzlichen Wirtsfaktor“ gesprochen. ACE-2 sei das eigentliche Oberflächenmolekül, der eigentliche Rezeptor für das Virus. Nur mit Neuropilin alleine könnte das Virus sicherlich nicht zu einem epidemischen Krankheitserreger werden, so seine Überzeugung. Allerdings könnte die zusätzliche Verfügbarkeit von Neuropilin, gerade auch an Schleimhäuten des oberen Respirationstrakts, durchaus der entscheidende Änderungspunkt gewesen sein, wie das SARS-2-Virus diese Übertragbarkeit über den oberen Respirationstrakt gewonnen habe und damit dann auch letztlich zu einem Pandemie-Erreger geworden sei. Die Ergebnisse der Arbeiten hält er für relativ klar. Schließlich seien zwei Forschungsgruppen unabhängig voneinander zum selben Schluss gekommen.
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