Wie SARS-CoV-2 in die Wirtszelle kommt

Neuropilin-1 als wichtiger Co-Faktor identifiziert

Remagen - 06.11.2020, 10:45 Uhr

Zwei Forschergruppen sind unabhängig voneinander zu dem Ergebnis gekommen, dass die Infektion von Zellen mit SARS-CoV-2 durch die spezifische Blockierung von Neuropilin-1 mit Antikörpern unterdrückt werden konnte. (s / Foto: Kateryna_Kon / stock.adobe.com)

Zwei Forschergruppen sind unabhängig voneinander zu dem Ergebnis gekommen, dass die Infektion von Zellen mit SARS-CoV-2 durch die spezifische Blockierung von Neuropilin-1 mit Antikörpern unterdrückt werden konnte. (s / Foto: Kateryna_Kon / stock.adobe.com)


Neuroplin bringt SARS-CoV-2 zur Tür

„Es ist bekannt, dass SARS-CoV-2 den Rezeptor ACE-2 zur Infektion unserer Zellen verwendet, aber Viren nutzen häufig mehrere Faktoren, um ihr Infektionspotential zu maximieren“, fügt Balistreri an. ACE-2 werde in den meisten Zellen in sehr geringen Mengen exprimiert. Daher sei es für das Virus nicht einfach, Türen zu finden, durch die es eintreten könne. Andere Faktoren wie Neuropilin-1 könnten ihm dabei helfen. „Wenn Sie sich ACE-2 als Türschloss für den Eintritt in die Zelle vorstellen, könnte Neuropilin-1 ein Faktor sein, der das Virus zur Tür geleitet“, beschreibt er das mögliche Zusammenwirken. Über die molekularen Prozesse, die dabei eine Rolle spielen, können die Wissenschaftler laut eigenem Bekunden derzeit nur spekulieren. Neuropilin-1 sei in den Zellen der Nasenhöhle jedenfalls sehr reichlich vorhanden, eine strategisch wichtige Lokalisierung, die möglicherweise zur effizienten Infektiosität dieses neuen Coronavirus beiträgt, vermuten die Wissenschaftler. Sie fanden noch einen weiteren Hinweis darauf, dass ihre Theorie zutreffen könnte. In Laborexperimenten konnte die Infektion von Zellen mit SARS-CoV-2 durch die spezifische Blockierung von Neuropilin-1 mit Antikörpern unterdrückt werden.

Bestätigung durch zweite Studie

Die zweite parallele Studie mit dem Titel „Neuropilin-1 is a host factor for SARS-
CoV-2 infection“ von einem Wissenschaftlerteam um James L. Daly von der Universität Bristol kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Auch in ihren Experimenten verhinderte die Blockade dieser Wechselwirkung den Eintritt von SARS-CoV-2 und verminderte die Infektiosität in der Zellkultur. „Unsere Entdeckung der Bindung des SARS-CoV-2-Spikes an Neuropilin-1 und seiner Bedeutung für die Virusinfektiosität bietet einen bisher nicht erkannten Weg für antivirale Therapien zur Eindämmung der aktuellen COVID-19-Pandemie“, hoffen die Forscher aus Bristol.

Potenzielle Blocker bereits im Test

Für Balistreri ist es derzeit noch zu früh, darüber zu spekulieren, ob die direkte Blockierung von Neuropilin ein praktikabler therapeutischer Ansatz gegen SARS-CoV-2 sein könnte. In zukünftigen Studien müsse berücksichtigt werden, dass dies zu Nebenwirkungen führen könnte. Sein Labor teste aber bereits die Wirkung neuer Moleküle, die sein Team speziell entwickelt habe, um die Verbindung zwischen dem Virus und Neuropilin zu unterbrechen. „Die vorläufigen Ergebnisse sind sehr vielversprechend und wir hoffen, in naher Zukunft Validierungen in vivo zu erhalten“, resümiert der Virologe.

Drosten: Vielleicht der entscheidende Änderungspunkt

Der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité hatte sich anlässlich der beiden Veröffentlichungen im Preprint-Bereich in seinem COVID-19-Podcast vom 16. Juni 2020 ebenfalls schon zu Neuropilin geäußert und von einem „wichtigen zusätzlichen Wirtsfaktor“ gesprochen. ACE-2 sei das eigentliche Oberflächenmolekül, der eigentliche Rezeptor für das Virus. Nur mit Neuropilin alleine könnte das Virus sicherlich nicht zu einem epidemischen Krankheitserreger werden, so seine Überzeugung. Allerdings könnte die zusätzliche Verfügbarkeit von Neuropilin, gerade auch an Schleimhäuten des oberen Respirationstrakts, durchaus der entscheidende Änderungspunkt gewesen sein, wie das SARS-2-Virus diese Übertragbarkeit über den oberen Respirationstrakt gewonnen habe und damit dann auch letztlich zu einem Pandemie-Erreger geworden sei. Die Ergebnisse der Arbeiten hält er für relativ klar. Schließlich seien zwei Forschungsgruppen unabhängig voneinander zum selben Schluss gekommen. 



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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