Modellprojekt zur Grippeimpfung

Ärzte in Nordrhein verweisen auf Apotheken

Berlin - 16.11.2020, 13:30 Uhr

Seit die ersten Modellprojekte zur Grippeschutzimpfung in Apotheken starteten, üben Ärztekammern Kritik. (s / Foto: AVNR)

Seit die ersten Modellprojekte zur Grippeschutzimpfung in Apotheken starteten, üben Ärztekammern Kritik. (s / Foto: AVNR)


Das Modellprojekt zu Grippeschutzimpfungen in den Apotheken entwickelt sich in Nordrhein zu einem Erfolgsmodell. Inzwischen verweisen laut AVNR sogar schon manche Ärzte darauf, dass die Menschen sich auch in bestimmten Apotheken impfen lassen können. Nur aus der Ärztekammer Nordrhein kommt weiter Gegenwind.

Die Ärztekammer Nordrhein kann es nicht lassen: In einer Pressemeldung vom vergangenen Samstag fordert sie den Stopp der Modellprojekte zur Grippeimpfung in Apotheken im Rheinland. „Nur Ärztinnen und Ärzte sind qualifiziert für die Impfanamnese, den Ausschluss akuter Erkrankungen und die Aufklärung zur Impfung“, sagte der Präsident der Ärztekammer Nordrhein und CDU-Bundestagsabgeordnete Rudolf Henke demnach am Wochenende bei der Kammerversammlung in Düsseldorf.

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Besonders widersinnig seien die Modellversuche angesichts der aktuellen Herausforderungen der Corona-Pandemie und des derzeit knappen Grippeimpfstoff-Angebots. „Es besteht gerade bei der unzureichenden Belieferung der Praxen durch Apotheken die Gefahr, dass für die vorrangig zu Impfenden in Arztpraxen Impfdosen fehlen, die für Modellversuchsimpfungen verbraucht wurden“, so die Kritik der Mediziner:innen.

AVNR-Chef Thomas Preis sieht Modellprojekt als Erfolg

In der Praxis zeichnet sich jedoch offenbar ein anderes Bild ab, als die Ärztekammer suggeriert. In einer Pressemitteilung vom heutigen Montag informiert der Apothekerverband Nordrhein (AVNR), dass inzwischen sogar vereinzelt niedergelassene Ärzte auf das Angebot der Apotheken verweisen. Nordrhein ist der Verband, dem es zuerst gelungen war, mit einer Krankenkasse einen Vertrag für ein Modellprojekt zur Grippeimpfung in den Apotheken auszuhandeln. Partner ist die AOK Rheinland/Hamburg.

„Wir können jetzt bereits von einem Erfolg des Modellprojektes sprechen. Obwohl wir einschränkend feststellen müssen, dass sowohl Arztpraxen als auch Apotheken von Engpässen an Grippeimpfstoffen betroffen waren und weiterhin sind“, erklärt Thomas Preis, Vorsitzender des AVNR. „Das Modellprojekt Impfen in Apotheken beschäftigt uns Apotheker:innen aber zurzeit nicht so sehr, wie die Versorgung der Arztpraxen mit Grippeimpfstoffen.“

Mehr als vier Millionen Impfstoffdosen an Arztpraxen in NRW

Dass die Praxen wegen des Modellprojekts in Sachen Impfstoff zu kurz kommen könnten, schließt der AVNR aus. „Alle Arztpraxen, die rechtzeitig und ausreichend Impfstoffe bestellt hätten, sind entsprechend diesen Vorbestellungen auch schon beliefert worden. Wir mussten in den wenigen Wochen, seitdem die Impfstoffe verfügbar sind, schon so viel Impfstoffe ordern und an die Praxen ausliefern, wie sonst in einer ganzen Impfsaison, die von September bis in den März geht“, betont Preis. Viele Arztpraxen hätten darüber hinaus auch schon Nachbestellungen erhalten und würden ab Mitte November weitere Impfstoffe aus der nationalen Impfstoffreserve über die Apotheken erhalten.

Das sind die Prioritäten bei der Versorgung mit Grippeimpfstoffen:

  1. Der Sprechstundenbedarf, den Ärzte bereits im Frühjahr für GKV-Versicherte, die laut STIKO zur Risikogruppe gehören, geordert haben.
  2. Einzelimpfstoffe für sogenannte Satzungsimpfungen von GKV-Versicherten.
  3. Für Privatversicherte einzeln verordnete Impfstoffe.
  4. Impfstoffe für die Impfungen in der Apotheke im Rahmen des Modellprojekts.

Allein der Sprechstundenbedarf der Arztpraxen macht laut AVNR etwa 90 Prozent aller Impfstoffdosen aus. Nach Berechnungen des Verbands dürften die Arztpraxen in Nordrhein-Westfalen inzwischen bereits mehr als vier Millionen Grippeimpfstoffdosen erhalten haben. In Kürze kämen dazu weitere 1,2 Millionen aus der nationalen Impfreserve des Bundesgesundheitsministeriums. „Insgesamt stehen somit im Vergleich zum Vorjahr 30 Prozent mehr Impfstoffe in diesem Jahr zur Verfügung“, schreibt der AVNR. Zum Vergleich: Bis jetzt wurden dem Verband zufolge rund 200 Grippeschutzimpfungen in 25 Apotheken durchgeführt.

Apotheken sollen Hausarztpraxen beim Impfen entlasten

Für den weiteren Verlauf der Impfsaison gibt sich Preis optimistisch, dass sich das Angebot noch ausweiten lässt. „Die sehr positive Resonanz auf unser Modellprojekt und der erfolgreiche Start lassen den Schluss zu, dass wir in dieser Grippesaison vielleicht sogar auf 2.000 Grippeschutzimpfungen in Apotheken kommen könnten“, so Preis. „Trotzdem ist das in diesem Jahr nur ein kleiner Beitrag, den die Apotheken bei der wichtigen Grippeschutzimpfung leisten können, vergleicht man diese Zahl mit den gut vier Millionen Impfungen der Ärzteschaft in NRW.“ 

Langfristig sei es vorstellbar, dass Apotheker:innen künftig durch verstärktes Impfen die Hausarztpraxen mit dem zusätzlichen Impfangebot entlasten, so wie es viele andere europäische Länder bereits vorgemacht haben.  Ein weiteres Angebot sollte nach Vorstellungen des AVNR die Durchführung von Corona-Schnelltests in den Apotheken sein. In Österreich und in der Schweiz ist dies bereits möglich. Über die Umsetzung informierte am vergangenen Mittwoch eine beteiligte Apothekerin aus der Schweiz im DAZ/DAZ.online-Live-Talk.

Darüber hinaus legt der AVNR aktuelle Zahlen aus den Modellregionen vor. Demnach wurden bereits 250 Apotheker:innen aus insgesamt 125 Apotheken ärztlich geschult. Derzeit können 85 Apotheken mit dieser amtlichen Legitimation und diesem fachlichen Schulungshintergrund in den Modellregionen Düsseldorf/Umgebung, Duisburg/rechter Niederrhein, Essen/Mülheim/Oberhausen und Bonn-Rhein-Sieg-Kreis Grippeschutzimpfungen ergänzend zur Impfleistung der Ärzte anbieten. Eine aktuelle Übersicht der impfenden Apotheken in Nordrhein ist heute auf www.av-nr.de/die-apotheke/grippeimpfungen-in-apotheken veröffentlicht worden.



Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


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