AOK-Antibiotika-Ausschreibung

Bauernfeind: Hersteller bremsen Ausschreibung aus

Berlin - 25.11.2020, 07:00 Uhr

Erneut ist eine AOK-Ausschreibung für Arzneimittel vor der Vergabekammer gelandet. (x / Foto: CHROMORANGE / imago)

Erneut ist eine AOK-Ausschreibung für Arzneimittel vor der Vergabekammer gelandet. (x / Foto: CHROMORANGE / imago)


Im Juli hatte die AOK Baden-Württemberg schärfere Auflagen für die bundesweiten AOK-Rabattverträge angekündigt: Der Preis soll nicht mehr alleiniges Zuschlagskriterium sein, sondern auch Umwelt- und Sozialaspekte sowie die Liefersicherheit sollen berücksichtigt werden. Bei der im September gestarteten Antibiotika-Ausschreibung sorgen die neuen Vorgaben nun für Verzögerungen: Vier Pharmaunternehmen haben ein Nachprüfungsverfahren angestrengt. Kassenchef Johannes Bauernfeind ist enttäuscht: Die Firmen gingen gegen Kriterien vor, für die sich auch ihre Lobby seit Jahren stark mache. Pro Generika würdigt den neuen Weg der AOKen dennoch.

Ausgerechnet die Allgemeinen Ortskrankenkassen überraschten im vergangenen Sommer mit der Botschaft, bei ihren Rabattvertragsausschreibungen gehe es ihnen nicht mehr nur ums größtmögliche Sparen, sondern künftig auch um die Einhaltung von Umwelt- und Arbeitsschutzstandards sowie um Liefersicherheit. Schließlich stehen die AOKen mit ihrer Vorliebe für Exklusivverträge besonders in der Kritik, wenn es um die Suche nach Verantwortlichen für die nicht abebbenden Lieferengpässe bei Arzneimitteln geht. Mit ihrem Preisdruck zwängen sie die Pharmaindustrie zu immer mehr Kosteneinsparungen, lautet der gängige Vorwurf. Die Produktion ist bekanntlich längst nach Asien abgewandert, die Herstellungsorte haben sich konzentriert. 

Johannes Bauernfeind, Nachfolger von Christopher Hermann in seinen Funktionen als Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg sowie als Chefverhandler für die bundesweiten AOK-Rabattverträge, nutzte angesichts des wachsenden Bewusstseins für sichere Lieferketten und sozialverträgliche Arbeitsbedingungen die Gelegenheit, die AOKen als Vorreiter zu präsentieren. Schon bei der Ausschreibung der 24. Tranche der Generika-Rabattverträge setzten sie auf neue Anreize für die Unternehmen, die Liefersicherheit zu erhöhen sowie Arbeitsschutz- und Umweltstandards einzuhalten. Bauernfeind machte im selben Zuge klar, dass dies schärfere Bedingungen für die Pharmaindustrie bedeutet.

Als die AOK Baden-Württemberg im September mit „AOK Z1“ fünf Antibiotika-Wirkstoffe ausschrieb – Cefaclor, Cefuroxim, Ciprofloxacin, Clarithromycin und Roxithromycin – betonte er erneut: „Wir vergeben in ‚AOK Z1‘ nicht einfach an den günstigsten Anbieter. Wir lassen erweiterte Zuschlagskriterien einfließen wie etwa Länge der Lieferkette, Umweltaspekte und die Einhaltung örtlicher Vorgaben des Arbeitsschutzes.“ Damit, so Bauernfeind, setze man bei der Ausschreibung antibiotischer Wirkstoffe „neue Standards für Versorgungssicherheit und Umweltschutz“. Diese Merkmale, so hieß es, könnten in ihrer Summe einen Vergabebonus von bis zu 16 Prozent ausmachen. Dass bei den Antibiotika bis zu drei Bieter zum Zuge kommen können, ist allerdings keine Neuigkeit für diese Produktgruppe.

Die AOK ist überzeugt, bei ihrer Ausschreibung alles richtig gemacht zu haben: Es seien alle Vorschläge aufgegriffen worden, „die Vertreter der Politik und diverser Interessenverbände der Pharmahersteller regelmäßig propagierten, um die Abhängigkeit von fernöstlichen Herstellungsorten zu reduzieren, wo sich insbesondere die Wirkstoffproduktion konzentriere“.

Zuschläge erst nach einem Urteil

Doch offenbar kommt die neue Form der Ausschreibung nicht bei allen Antibiotikaherstellern gut an. Wie die AOK Baden-Württemberg mitteilt, haben inzwischen vier pharmazeutische Unternehmen Nachprüfungsanträge gegen das Ausschreibungsdesign gestellt. Zwar gebe es auch eine ganze Reihe von Bietern, die grundsätzlich als Vertragspartner der Sondertranche infrage kämen – doch die AOK dürfe erst dann Zuschläge erteilen, wenn die Vergabekammer über diese Nachprüfungsanträge entschieden hat. Genaueres zu den laufenden Verfahren kann die Kasse nicht verraten. Derzeit rechnet sie Anfang Dezember mit einem erstinstanzlichen Urteil. Sollte dieses nicht im Sinne der AOK ausfallen, wird sie sicherlich Rechtsmittel einlegen.

Geht es um den Status Quo oder nur ums Abstecken von Neuland?

Für AOK-Chef Bauernfeind ist diese Situation befremdlich: „Wir als Krankenkasse müssen uns jetzt gerichtlich gegen die Pharmaindustrie für deren Forderungen verkämpfen. Wir setzen uns also für die Durchsetzung von Kriterien ein, die die Industrie uns jahrelang abverlangt hat. Nur mit dem Unterschied, dass die Industrie jetzt von uns fordert, diese Kriterien wieder zurückzunehmen.“

AOK: Hersteller wollen Status quo erhalten

Die AOK wertet dies als klares Zeichen dafür, dass es den Herstellern lediglich um die Beibehaltung des Status quo gehe. „Die Hersteller ziehen es schon seit den 1970er- und 1980er-Jahren vor, in Fernost zu produzieren, und sie tun es wegen für sie weniger strenger Umweltschutzauflagen, möglicher Kosteneinsparungen und weniger restriktiver Auflagen des Arbeitsschutzes bis heute.“

Falls sich robuste Lieferketten und umweltfreundliche Produktionsbedingungen vertragsrechtlich nicht durchsetzen ließen, so Baden-Württembergs AOK-Chef weiter, sei die Politik gefordert, Maßnahmen für mehr Verlässlichkeit in der Arzneimittelproduktion in die Wege zu leiten. Bauernfeind: „Wir haben ein durchdachtes Konzept vorgelegt, an dem sich andere Kassen, die Vertreter der Politik sowie verantwortungsbewusste pharmazeutische Unternehmen orientieren können. Ich bin mir sicher, dass es sich mittelfristig behaupten wird.“

Pro Generika: AOK auf gutem Weg

Beim Branchenverband Pro Generika will man die juristischen Angriffe nicht überbewerten: Mit dieser Ausschreibung habe die AOK Neuland betreten, sagt Geschäftsführer Bork Bretthauer auf Nachfrage von DAZ.online. „Es war also damit zu rechnen, dass einzelne pharmazeutische Unternehmen dagegen vorgehen könnten. Dieses Recht kann ihnen niemand absprechen und es ist bei anderen Ausschreibungen bzw. in anderen Branchen auch so.“

Grundsätzlich würdigt der Verband aber den neuen Ansatz der Ortskrankenkassen: „Es ist richtig und gut, dass die AOK erstmals von ihrer Praxis abweicht, bei Ausschreibungen nur den günstigsten Preis als einziges Zuschlagskriterium anzusetzen. Denn dies hat ja mit zu den Engpässen bei Generika beigetragen, die heute ein stetiges Ärgernis für Patienten, Ärzte, Apotheker und Unternehmen sind.“ Richtig sei vor allem, dass künftig zusätzliche Kriterien zum Beispiel für mehr Versorgungssicherheit und mehr Umweltschutz in Ausschreibungen aufgenommen und mit Boni honoriert werden. „Zudem sollten regelhaft mehrere Unternehmen einen Zuschlag erhalten – nicht nur in einem Pilotverfahren.“

Auch Bretthauer kommt letztlich zu dem Schluss: „Sollten solche Ausschreibungen dann keinen Bestand vor Gerichten haben, liegt der Ball im Feld der Politik und muss das Vergaberecht angepasst werden.“



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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2 Kommentare

@ Ratatosk

von Heiko Barz am 25.11.2020 um 11:47 Uhr

Ratatosk hat ja so Recht! Die Doppelzüngigkeit der Kassenfunktionäre ist erschreckend übersichtlich. Wo ist die Bereitschaft der Politik - in diesem Fall z.B Ulla Schmidt die heute noch unbehelligt im Bundestag ihren Stuhl plattsitzt - damalige als besonders zukunftsweisende, sich aber heute als fast nicht mehr korrigierbare Fehler herausstellende, Manipulationen am Arzneimittel, verantworten zu müssen, hauptsächlich zum Nachteil der Gesundheit all derer, die sich der GESUNDHEITSKASSE anvertraut haben.
Wenn die Funktionäre der Gesundheitskasse das Werbe Budget, das für die auf den Fußböden der Handballhallen Deutschlands in kräftigem Grün und vor allem auf den Trikots der Handballnationalmannschften M/W deutlich ausgegeben wird, in Deutsche Arzneimittelproduktionen bei Rabattverträgen mit einfließen würde, dann gäbe es vielleicht in Zukunft keine durch Verunreinigungen „östlicher Matschküchen“ verursachte Nebenwirkungen der nach dorthin verlagerten Produktion.

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Neue Verträge

von ratatosk am 25.11.2020 um 9:08 Uhr

Der Weg wäre schon richtig, aber es kommt auf die Einzelheiten an. Wie sind so schwammige Dinge wie Umwelt und soziale Belange im Ausland rechtssicher definierbar und überprüfbar? Es ist im übrigen ja eine Bringschuld der AOK, hier Verbesserungen zu liefern, die in Zusammenarbeit mit der Politik diese desaströse Lage herbeigeführt hat.
Damit es nicht nur eine Nebelkerze bleibt, sollte man mit klaren Punkten der Lieferfähigkeit starten, dann muß die Politik einfach mal arbeiten, so schwer es hier Spahn und seinem Ministerium fallen mag, und die Problematik mit Gesetzen im Ausland angehen. Wiese maßen wir uns an zu sagen, wie lange in anderen Ländern gearbeitet werden darf ?
Zusätzlich könnte auch das BFARM mal ein paar Prüfungen von Wirkstoffen und Überprüfungen von Produktionsstätten vornehmen ! Hier sollte aber mal qualifiziertes Personal eingesetzt werden, da die Deutschen fast nie was finden, französische, englichsche Kontrollen finden sehr oft etwas !, einfach mal die vergangenen Meldungen durchsehen.

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