BfArM-Beirat

Diese 22 Wirkstoffe sollen wieder in Europa produziert werden

Stuttgart - 07.12.2020, 14:45 Uhr

Das BfArM will eine Empfehlung für eine sichere Arzneimittelversorgung im ambulanten Bereich (vergleichbar der aktuellen Empfehlung für die Kliniken) erarbeiten. (Foto: pogonici / stock.adobe.com)

Das BfArM will eine Empfehlung für eine sichere Arzneimittelversorgung im ambulanten Bereich (vergleichbar der aktuellen Empfehlung für die Kliniken) erarbeiten. (Foto: pogonici / stock.adobe.com)


Es sind grundsätzlich gute Nachrichten, die aus dem Ergebnisprotokoll der zweiten Sitzung des neuen BfArM-Beirats zur Bewertung der Versorgungslage mit Arzneimitteln hervorgehen: In der Sitzung, die schon am 21. Oktober stattgefunden hat, hieß es demnach, dass sich die Versorgungslage mit COVID-19-relevanten Arzneimitteln im Vergleich zum ersten Halbjahr 2020 verbessert hat. Außerdem ist eine angekündigte Liste über 22 besonders relevante Wirkstoffe, die perspektivisch wieder in der EU produziert werden sollten, veröffentlicht worden.

Der Jour Fixe zu Lieferengpässen beim Bundesinstiut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist mittlerweile von einem „Beirat“ abgelöst worden. Am 21.Oktober ist das mittlerweile gesetzlich legitimierte und in der Besetzung erweiterte Gremium zum zweiten Mal zusammengekommen. Nun wurde das Protokoll dieser Sitzung veröffentlicht. 

In der ersten Sitzung des Beirats am 22. Juli war das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) als Gast mit anwesend gewesen. Dessen Arzneimittel-Fachmann Thomas Müller bat damals den Beirat, die Ziele des BMG – hinsichtlich der Verbesserung der Versorgungssicherheit im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft – zu unterstützen: Der Beirat sollte eine Zusammenstellung besonders relevanter Wirkstoffe erarbeiten, die perspektivisch wieder in der EU produziert werden sollen, um die EU unabhängiger von anderen Wirtschaftsräumen zu machen als sie es aktuell ist.

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Diese Liste wurde nun im Anhang des zweiten Sitzungsprotokolls veröffentlicht (Anlage zum Ergebnisprotokoll der zweiten Sitzung des Beirats nach § 52b Absatz 3b AMG). In dieser Liste finden sich 22 Wirkstoffe beziehungsweise Produkte, die dringend erforderlich seien, um die Notfallversorgung, den Operationsbetrieb und die intensivmedizinische Versorgung sicherzustellen:

  • Analgetika: Sufentanil, Morphin, Novaminsulfon
  • Sedativa: Midazolam, Propofol, Clonidin
  • Antiobstruktiva: Salbutamol, Dexamethason
  • Vasoaktive Substanzen: Noradrenalin (Arterenol), Adrenalin
  • Relaxantien: Rocuronium
  • Antibiotika: Meropenem, Piperazillin/Tazobactam
  • Gerinnung: Heparin
  • Infusionslösungen: Ionosteril, Glucoselösung 5 Prozent, NaCl, parenterale Ernährung
  • Beatmung: Stickstoffmonoxid, Atemkalk
  • Insulin: Insulin (schnellwirksam)
  • Antiarrhythmika: Metoprolol

In dem Protokoll heißt es zudem, dass die geplante Erarbeitung einer Empfehlung für eine sichere Arzneimittelversorgung im ambulanten Bereich (vergleichbar der Empfehlung für die Kliniken) davon unabhängig zu betrachten sei – sie soll parallel weiterverfolgt werden. Grundsätzlich nicht als versorgungsrelevant gelten laut dem Protokoll OTC-Arzneimittel, Arzneimittel mit einem Orphan-Status und neue Stoffe. 

Aktuell keine flächendeckende Bevorratung mit Norepinephrin möglich

Im Hinblick auf die kommenden Wochen und Monate der Corona-Pandemie wurde bei der Sitzung im Oktober seitens der Kliniken eine grundsätzlich gute Verfügbarkeit von benötigten Arzneimitteln festgestellt. Lediglich norepinephrinhaltige Arzneimittel seien zwar ausreichend verfügbar, erlaubten aber keine flächendeckende Bevorratung des durchschnittlichen Bedarfs über einen Zeitraum von drei oder mehr Wochen, heißt es. Die Verbände der pharmazeutischen Industrie hätten diese Situation bestätigt, sodass sich die Versorgungslage mit COVID-19-relevanten Arzneimitteln im Vergleich zum ersten Halbjahr 2020 verbessert habe.

Definition versorgungskritischer Wirkstoffe, Einrichtung einer „Clearing-Stelle“ 

Am 22. Juli hatte der Beirat außerdem beschlossen, den neu ins Arzneimittelgesetz aufgenommenen Begriff „versorgungskritische Wirkstoffe“ zu definieren und Kriterien für die Einstufung zu erarbeiten. Nun hat der Beirat beschlossen, „für die Definition versorgungskritischer Wirkstoffe die bisherigen Kriterien für die Selbstverpflichtung zur Meldung von Lieferengpässen anzuwenden“:

  • Der Wirkstoff steht auf der Liste der Wirkstoffe, für welche die Selbstverpflichtung zur Meldung von Lieferengpässen gilt oder
  • der Wirkstoff steht auf der Liste der Wirkstoffe, mit einem in der Vergangenheit eingetretenen Versorgungsmangel oder
  • eine Meldeverpflichtung besteht nach 52b Nr. 3a AMG an Krankenhäuser oder
  • das Arzneimittel hat einen Marktanteil von 25 Prozent und mehr oder
  • das Arzneimittel steht auf der Substitutionsausschlussliste.

Außerdem hat die Taskforce zur Sicherstellung der medikamentösen Versorgung in der Intensivmedizin sich auf die Einrichtung einer „Clearing-Stelle“ verständigt. Sie stehe in Fällen von versorgungskritischen Situationen in Klinken als Ansprechpartner zur Verfügung, um diese aufzulösen. Das BfArM werde die Funktion übernehmen. Genaueres befinde sich noch in der Abstimmung.

Liste von Fertigarzneimitteln, für die eine regelmäßige Datenübermittlung erforderlich ist

Am 22. Juli hatte der Beirat in seiner ersten Sitzung auch beschlossen, Kriterien für eine Liste von Fertigarzneimitteln, für die eine regelmäßige Datenübermittlung zur Beurteilung der Versorgungslage erforderlich ist, zu erarbeiten. Man hat sich nun auf solche Fertigarzneimittel geeinigt, 

  • für die in der Vergangenheit bereits ein Versorgungsmangel durch das BMG festgestellt wurde,
  • wie auch für die Arzneimittel, deren Wirkstoffe in der Liste der Wirkstoffe, die aufgrund eines erhöhten Versorgungsrisikos unter besonderer behördlicher Überwachung stehen, aufgeführt sind.

Nach Anhörung des Beirats könne unter bestimmten Voraussetzungen aber auch von der regelmäßigen Datenübermittlung abgesehen werden, wenn zum Beispiel die therapeutische Bedeutung des Arzneimittels abgenommen habe oder die Versorgungslage dies zulasse, heißt es. Das Projekt könne so nun in die konkrete Planungsphase gehen.

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Schließlich wurde auch der Stand aktueller Lieferengpässe diskutiert: Unter anderen wurden dabei für Venlafaxin sieben gemeldete Lieferengpässe von drei Unternehmen festgestellt; die Verfügbarkeit sei aber grundsätzlich gegeben. 

Für das zentral zugelassene Arzneimittel Revatio® 0,8 mg/ml Injektionslösung / Pfizer Limited (Sildenafil) sei hingegen keine Alternative verfügbar – für den US-Markt vorgesehene Ware aber zur Kompensation verfügbar: „die Maßnahme auf Basis einer § 10 Absatz 1a AMG – Gestattung, dass das AM mit Kennzeichnung des Vials in einer anderen als der deutschen Sprache in den Verkehr gebracht werden kann – wurde seitens des Unternehmers beantragt und vom BfArM befürwortet (Publikation auf BfArM Internetseite ist erfolgt)“. 

Ein Lieferabriss von Cyclophosphamid HEXAL® 500 mg und 2000 mg, Pulver zur Herstellung einer Injektions-/Infusionslösung wegen eines Qualitätsmangels konnte offenbar verhindert werden: „Die Kritikalitätsprüfung des BfArM und das Risk-Assessment des RMS befürworteten in Abstimmung mit der Landesbehörde die Freigabe der quarantänisierten Chargen.“ 
Ähnliches wird im Protokoll zu Flucytosin (Ancotil® intravenös) berichtet, das bei Säuglingen (inkl. Früh- und Neugeborene), Kindern und Erwachsenen zur Behandlung von Mykosen angewendet wird. 

Für Levodopa-Benserazid offene Lieferengpassmeldungen wurden im September 2020 als beendet gemeldet. Die Lieferfähigkeit sei über den gesamten Zeitraum der Verknappung (seit Ende 2018) mit stabilen Durchschnittswerten gegeben gewesen, heißt es.

Die nächste reguläre Sitzung des Beirats soll im Dezember 2020 stattfinden.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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