Erste Orale Immuntherapie bei Erdnussallergie

EU lässt Palforzia gegen Erdnussallergie zu

Stuttgart - 04.01.2021, 09:15 Uhr

Plaforzia enthält Erdnussprotein und ist das erste Arzneimittel zu Behandlung von Erdnussallergie bei Kindern und Jugendlichen. Dennoch müssen sich die Allergiker weiterhin erdnussfrei ernähren. (Foto: imago images / Imaginechina-Tuchong)

Plaforzia enthält Erdnussprotein und ist das erste Arzneimittel zu Behandlung von Erdnussallergie bei Kindern und Jugendlichen. Dennoch müssen sich die Allergiker weiterhin erdnussfrei ernähren. (Foto: imago images / Imaginechina-Tuchong)


Mit Palforzia kommt das erste Arzneimittel gegen Erdnussallergie auch auf den deutschen Markt: Die Europäische Kommission ließ das Medikament für Kinder im Alter von vier bis 17 Jahren zu. Palforzia enthält Erdnussproteinpulver, wirkt  als orale Immuntherapie (Desensibilisierung) und erhöhte in Studien in einem Behandlungsregime mit steigenden Dosen die Toleranz gegenüber Erdnüssen: Mehr als 50 Prozent der Probanden tolerierten 1.000 mg Erdnussprotein, was etwa drei Erdnüssen entspricht. Mit Dauer der Erhaltungstherapie scheint die Toleranz zudem weiter zu steigen.

Nun steht die erste Behandlungsoption für Erdnussallergiker auch in der EU zur Verfügung: Die Europäische Kommission erteilte Palforzia® am 17. Dezember die Zulassung und folgte damit der Empfehlung des Humanarzneimittelausschusses zwei Monate zuvor. Zulassungsinhaber ist Aimmune, eine Tochter der Nestlé-Pharmasparte Nestlé Health Science. In den Vereinigten Staaten können Erdnussallergiker bereits seit knapp einem Jahr mit dem erdnussproteinhaltigen Arzneimittel therapiert werden, die FDA erteilten Palforzia am 31. Januar 2020 die Zulassung.

Eingesetzt werden darf Palforzia bei Kindern im Alter zwischen vier und 17 Jahren mit diagnostizierter Erdnussallergie. Die Anwendung kann jedoch bei Patienten, die 18 Jahre und älter sind, fortgeführt werden. Palforzia bringt allerdings keinen Freifahrtschein für Erdnussbutter und Peanut-Cookis: „Die Anwendung von Palforzia hat in Verbindung mit einer erdnussfreien Ernährung zu erfolgen“, lautet die Bedingung zur Indikation in der Produktinformation.

Wie häufig sind Erdnussallergien?

Der World Allergy Organization im Jahr 2017 zufolge hat sich die Prävalenz von Erdnussallergien in Nordamerika, dem Vereinigten Königreich und Australien innerhalb von zehn Jahren verdoppelt. Dort seien 1,8 Prozent (Nordamerika), 1,4 Prozent (UK) und 3 Prozent (Australien) der Kinder von Erdnussallergien betroffen. Laut Aimmune hat sich auch in Europa die Prävalenz bei Kindern zwischen 2005 und 2015 verdoppelt, die Häufigkeit von Krankenhauseinweisungen aufgrund schwerer allergischer Reaktionen habe sich versiebenfacht. Man schätzt, dass etwa 1,6 Prozent der Kinder in Europa mit einer Erdnussallergie leben.

Wie wirkt Palforzia?

Palforzia gibt es in sechs unterschiedlichen Dosierungen: Der Wirkstoff ist entfettetes Erdnussproteinpulver aus Arachis hypogaea L. (Samen), das in steigender Menge (0,5 mg, 1 mg, 10 mg, 20 mg, 100 mg, 300 mg) in Kapseln oder im Beutel (300 mg) enthalten ist. Das Prinzip der Behandlung ist eine Desensibilisierung, eine oralen Immuntherapie: Der Allergiker wird steigenden Dosen seines Allergens ausgesetzt, wodurch die Toleranz gegenüber Erdnüssen erhöht werden soll. 0,5 mg Erdnussproteinpulver entsprechen 1/600stel einer Erdnuss, somit entspricht die Erhaltungsdosis mit 300 mg Palforzia einer Erdnuss.

Drei Phasen: initiale Aufdosierung, Dosissteigerung, Erhaltung

Die Behandlung mit Palforzia erfolgt in drei aufeinanderfolgenden Phasen: initiale Aufdosierung, Dosissteigerung und Dosiserhaltung. Sowohl die initiale Aufdosierung wie auch jede Dosiserhöhung müssen ärztlich überwacht werden. Zudem sollte in einer Dosierstufe die initial ärztlich verabreichte neue Dosis und die dann zu Hause eingenommenen Kapseln aus derselben Charge sein, um Dosisschwankungen zu verhindern.

In der initialen Aufdosierungsphase nehmen die Allergiker an einem einzigen Tag und in jeweils 20- bis 30-minütigem Abstand 0,5 mg, 1 mg, 1,5 mg, 3 mg und 6 mg Palforzia ein. Wird die initiale Aufdosierung toleriert, startet vorzugsweise am darauffolgenden Tag die Phase der Dosissteigerung mit 3 mg Erdnussproteinpulver. Insgesamt gilt es elf Stufen zu meistern, beginnend mit 3 mg täglich für zwei Wochen. Bei Toleranz schließt sich eine Tagesgesamtdosis von 6 mg an, dann von 12 mg, 20 mg, 40 mg, 80 mg, 120 mg, 160 mg, 200 mg, 240 mg und 300 mg. Jede Dosisstufe dauert zwei Wochen. Sollte eine Stärke nicht vertragen werden, gilt es ärztlich individuell zu entscheiden, ob die Dosisstufe über mehr als zwei Wochen fortgeführt wird, die Dosis reduziert oder ein Aussetzen das Beste für den Patienten ist. Werden auch 300 mg toleriert, beginnt die Erhaltungsphase mit 300 mg täglich.

Ohne Kapselhülle einnehmen

Der Zulassungsinhaber weist in der Produktinformation explizit darauf hin, dass die Kapseln geöffnet werden müssen und das Pulver ohne Kapsel eingenommen wird: „Die Kapselhüllen dürfen nicht eingenommen werden. Das Einatmen des Pulvers muss vermieden werden.“ Aimmune rät, das Erdnussproteinpulver „auf einige wenige Löffel voll halbfester/cremig/breiiger Nahrungsmittel (z. B. Fruchtmus, Joghurt, Milchreis), gekühlt oder mit Raumtemperatur, entleert und gut vermischt werden“ und die Dosen immer zur gleichen Zeit einzunehmen.

Zwei Phase-3-Studien belegen Wirksamkeit

Den positiven Nutzen von Palforzia bei Erdnussallergikern hat Aimmune in zwei klinischen Phase-3-Studien (ARTEMIS und PALISADE) belegt. Beide Studien waren randomisiert, doppelblind und placebokontrolliert. Die Teilnehmer waren Erdnussallergiker, waren jedoch ausgeschlossen, wenn sie innerhalb der letzten 60 Tage vor Studienstart eine schwere bis lebensbedrohliche Anaphylaxie hatten oder an schweren bis unkontrolliertem Asthma litten. Vor Beginn der Studie und an deren Ende wurden die Teilnehmer einer doppelblinden, placebokontrollierten Nahrungsmittelprovokation (DBPCFC) unterzogen. Studienteilnehmer in PALISADE vertrugen zu Beginn weniger als 100 mg Erdnussprotein, in ARTEMIS weniger als 300 mg Erdnussprotein.

Primärer Endpunkt: 1.000 mg Erdnussprotein müssen toleriert werden

Nach der initialen Aufdosierung begann die Dosissteigerung bei 3 mg Palforzia, die je nach Verträglichkeit 20 bis 40 Wochen dauerte (300 mg). Bei PALISADE (499 Teilnehmer im Alter von vier bis 55 Jahren randomisiert, 374 erhielten Palforzia, 125 Placebo) erhielten die Probanden für sechs Monate eine Erhaltungstherapie mit 300 mg (oder Placebo). Bei ARTEMIS (175 Teilnehmer im Alter von vier bis 55 Jahren randomisiert, 132 erhielten Palforzia, 43 Placebo) nahmen die Probanden ihre Erhaltungsdosis im Rahmen der Studie über drei Monate ein.

In beiden Studien war der primäre Endpunkt der Anteil der Studienteilnehmer im Alter von vier bis 17 Jahren, die bei der Abschluss-DBPCFC eine einzelne Höchstdosis von mindestens 1.000 mg Erdnussprotein tolerierten und dabei höchstens leichte allergische Symptome zeigten (Desensibilisierungs-Ansprechrate). Als wichtige sekundäre Endpunkte waren die Desensibilisierungs-Ansprechraten nach Einzeldosen von 300 mg und 600 mg Erdnussprotein definiert.

Palforzia: Mehr als 50 Prozent tolerieren 1.000 mg Erdnussproteinpulver

In PALISADE tolerierten 50,3 Prozent der Erdnussallergiker unter Palforzia und 2,4 Prozent unter Placebo am Ende 1.000 mg Erdnussprotein. In ARTEMIS vertrugen 58,3 Prozent der Palforzia-Teilnehmer und 2,3 Prozent der Placeboprobanden eine Erdnussproteindosis von 1.000 mg. Auch 600 mg und 300 mg Erdnussprotein (sekundäre Endpunkte) wurden unter Palforzia besser toleriert als unter Placebo: 600 mg Erdnussprotein vertrugen 67,2 Prozent nach Palforzia und 4,0 Prozent nach Placebo (PALISADE) und 68,2 Prozent nach Palforzia vs. 9,3 Prozent nach Placebo (ARTEMIS). 300 mg Erdnussprotein vertrugen 76 Prozent nach Palforzia vs. 8,1 Prozent nach Placebo (PALISADE) und 73,5 Prozent nach Palforzia vs. 16,3 Prozent nach Placebo (ARTEMIS).

Anhaltende Wirksamkeit

Anhand der Studiendaten lässt sich auch eine anhaltende Wirksamkeit nach sechs, zwölf und 18 Monaten Erhaltungstherapie ableiten: Nach sechs Monaten tolerierten 63,2 Prozent (PALISADE) 1.000 mg Erdnussprotein, nach zwölf und 18 Monaten Erhaltung mit 300 mg Palforzia täglich vertrugen 79,8 Prozent und 96,2 Prozent eine Provokationsdosis mit 1.000 mg Erdnussprotein (ARTEMIS). Somit scheint eine andauernde Therapie mit Palforzia die Erdnussverträglichkeit weiter zu erhöhen.

Palforzia-Verordnung nur mit Adrenalin-Pen

Patienten, die Palforzia erhalten, muss Adrenalin zur Selbstinjektion verordnet werden. Zudem müssen sie mit der korrekten Handhabung des Auto-Injektors vertraut sein sowie mit ersten Anzeichen einer allergischen Reaktion. Palforzia setzt die Erdnussallergiker ihrem Allergen aus, Überempfindlichkeitsreaktionen sind somit zu erwarten. Die obligatorische Verordnung eines Adrenalin-Pens dient als Vorsichtsmaßnahme, falls es zu allergischen Reaktionen kommen sollte. Aimmune zufolge treten allergische Reaktionen zumeist in den ersten zwei Stunden nach Einnahme der Dosis auf und sind gewöhnlich leicht oder mäßig ausgeprägt, es können jedoch auch schwerere Reaktionen auftreten. Vor allem Patienten im Alter ab zwölf Jahren und/oder hoher Empfindlichkeit gegenüber Erdnüssen hätten möglicherweise ein höheres Risiko, während der Behandlung allergische Symptome zu entwickeln.

Welche Nebenwirkungen können unter Palforzia auftreten?

Zu den häufigsten Nebenwirkungen (unabhängig vom Schweregrad), die unter Palforzia-Therapie beobachtet wurden, zählen Bauchschmerzen (49,4 Prozent) und Rachenreizung (40,7 Prozent). Über Juckreiz und Übelkeit berichtete ein Drittel der Patienten, etwas seltener über Erbrechen und Nesselsucht (je 28,5 Prozent). Während der Dosissteigerung traten mehr Nebenwirkungen auf (85,7 Prozent) als während der Phasen der initialen Aufdosierung (45,1 Prozent) und der Erhaltung (57,7 Prozent). Im Median dauerte es vier bis acht Minuten, bis erste Symptome auftraten, sie verschwanden im Median nach 15 bis 30 Minuten.

Kinder vertragen Immuntherapie besser als Jugendliche

15,1 Prozent der Studienteilnehmer erlitten systemische allergische Reaktionen, meist von leichter bis mäßiger Ausprägung. Eine Anaphylaxie wurde bei 1,1 Prozent der Probanden beobachtet. Die Daten deuten darauf hin, dass Kinder die Immuntherapie besser vertragen als Jugendliche, sie hatten deutlich seltener systemische allergische Reaktionen (11,9 Prozent bei Kindern ≤ 11 Jahre, 21,9 Prozent bei Jugendlichen). Insgesamt brachen 10,5 Prozent der Teilnehmer die Studie aufgrund von Nebenwirkungen ab, systemische allergische Reaktionen führten in 1,6 Prozent der Fälle zum Abbruch der Behandlung.

Markteinführung im Mai 2021

Obwohl die Zulassung auf Kinder und Jugendliche im Alter zwischen vier und 17 Jahren begrenzt ist, darf die Behandlung auch bei über 18-Jährigen fortgeführt werden. Die Studie schloss Teilnehmer ein, die während der Behandlung 18 Jahre alt wurden. Sie sprachen in gleichem Maß auf Palforzia an, wie die jüngeren Studienteilnehmer.

Aimmune will eigenen Angaben zufolge Palforzia im Mai 2021 in Deutschland auf den Markt bringen.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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